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Von Bernd Hüttner

Seit der Finanzkrise 2008/9 wird vermehrt über Ungleichheit, Reichtum und Kapitalismus debattiert. Selbst die Begriffe «Klasse» und «Klassengesellschaft» werden nun auch jenseits der Linken (wieder) verwendet. Klassen definieren sich – nach gängiger linker Lesart – über Besitz und Einkommen. Bei der Klassenzugehörigkeit geht es jedoch dem ökonomischen auch um kulturelles (Bildungsabschlüsse) und soziales Kapital (›Vitamin B‹). Selbst der Name, der Wohnort, die Sprache und der Geschmack können Marker für Klasse sein. In diesem Zusammenhang ist in den letzten Jahren vermehrt von «Klassismus» die Rede.
Unter Klassismus verstehen die Herausgeber*innen dieses Bandes eine «Unterdrückungsform», eine «Abwertung, Ausgrenzung und Marginalisierung entlang von Klasse». Klassismus beschreibe «die Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit» und «richtet sich gegen Menschen aus der Armuts- oder Arbeiter*innenklasse, zum Beispiel gegen einkommensarme, erwerbslose oder wohnungslose Menschen oder Arbeiter*innenkinder» (S. 11). Klassismus ist für Seeck und Theissl kein moralischer oder kulturalisierender Begriff, der auf Teilhabe an etwas abzulehnendem orientiert, sondern ein kritischer im Rahmen einer Theorie, die sich ganz bewusst für eine parteiische Position entscheidet. Sie haben 26 sehr verschiedene Beiträge zusammengetragen. Der Bogen reicht von Interviews und aktivistischen Erfahrungen über theoretische Diskussionen bis hin zu persönlichen Essays.
Die Frage, wie im Alltag, am Arbeitsplatz und in politischen Gruppen solidarisch und antiklassistisch gehandelt werden kann, ist in diesem Band zentral, denn in den – gewiss notwendigen – theoretischen Auseinandersetzungen mit Klasse und Klassismus fehle häufig die Verbindung zur politischen Praxis. Die Linke sei wiederum von Aktiven mit Mittelschichtsherkunft geprägt: Klassenprivilegien seien oft unsichtbar und es werde zu wenig über sie gesprochen.
Klassismus lediglich als Diskriminierungsform zu verstehen, ohne die (Um-)Verteilungsfrage zu stellen, greife bei weitem zu kurz und stehe, so der Tenor der meisten Beiträge, einer emanzipatorischen und antiklassistischen Politik entgegen. Nötig sei auch eine radikale linke Arbeiter*innen- und Erwerbslosenbewegung – besonders um das Klassenbewusstsein zu schärfen. Mit den DGB-Gewerkschaften, die ihren Sozialpartnerschaftsvertrag mit den Arbeitgeberverbänden pflegten, um den Unternehmen bloß nicht zu sehr weh zu tun, werde es keine wirkliche Veränderung der Ausbeutungsverhältnisse und Ungleichheiten in der Gesellschaft geben.
Mehrere (autobiografische) Annäherungen aus Leipzig oder der Schweiz berichten von Versuchen mittels gemeinsamer Ökonomie oder auch im gemeinsame Arbeiten im Kollektiv Privilegien umzuverteilen. Insgesamt ein wichtiges Buch zu einem immer noch relativ unbekannten «Thema». Die erste, vierstellige Auflage soll schon nahezu ausverkauft sein. Glückwunsch!

Francis Seeck & Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen, UNRAST-Verlag, Münster 2020, 280 Seiten, 16 EUR (Leseprobe als PDF)

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