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Von Herbert Klemisch, Wissenschaftsladen Bonn

Am 28 November 2020 wäre Friedrich Engels, neben Karl Marx populärster Kritiker des Kapitalismus, 200 Jahre alt geworden. Die Herausgeber Lucas, Pfriem und Westhoff würdigen den ebenso großen wie umstrittenen Denker, Publizisten und Politiker im jetzt erschienenen Buch «Arbeiten am Widerspruch». In dem Sammelband bearbeiten die Autorinnen und Autoren vier zentrale Aspekte des vielfältigen Werks des Wuppertaler Fabrikantensohns.
Die Aufsatzsammlung ist in vier Abschnitte gegliedert: «1. Leben, Suchen, Emanzipieren», «2. Weltanschauung, Religion, Materialismus», «3. Arbeiten, Leben, Geschlechterverhältnisse», «4. Wissenschaft, Utopie, Zukunft». Was hinter diesen Überschriften steckt, wird deutlicher, wenn man sich den aktuellen Problemen zuwendet, von denen die meisten Aufsätze ausgehen. Das sind neben Umwelt- und Klimakrise, die Wohnungspolitik, die Technikentwicklung und das Verhältnis Mensch-Natur, die Geschlechterverhältnisse, die Dominanz marktradikaler («neoliberaler») Wirtschaftspolitik und -theorie, die Wahrnehmung einer gesamtgesellschaftlichen Transformationssituation.
Die wichtigsten Schriften von Engels, auf die Bezug genommen wird, sind u.a. die «Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie» (1844), «Die Lage der arbeitenden Klasse in England» (1845), «Zur Wohnungsfrage» (1872/1873), «Dialektik der Natur» (1873-1883; 1885/1886), «Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft» (französisch 1880, deutsch 1882), «Der Ursprung der Familie, des Eigentums und des Staats» (1884).
Besonders unkonventionell ist die Auseinandersetzung dreier Wissenschaftlerinnen (Uta von Winterfeld, Adelheid Biesecker, Frigga Haug), die sich über einen Briefwechsel untereinander an Engels und seine Einschätzungen der Geschlechterverhältnissen und sein Naturverständnisses annähern, mit der Frage, wie eine Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft möglich sei. Der Genossenschaftstheoretiker und -praktiker Burghard Flieger überprüft Engelsʼ Schrift zur Wohnungsfrage daraufhin, «inwieweit diese sich nutzen lässt, Anstöße für zukunftsfähige wohnungsgenossenschaftliche Konzepte zu finden» (335). Lösungsansätze wie das Errichten neuer Wohnungen durch Bauarbeitergenossenschaften, genossenschaftlicher Wohnungsbau als städtische Problembearbeitung und staatliche Aktivitäten zur Unterstützung genossenschaftlicher Selbsthilfe, sind aber nur indirekt aus den Analysen und Handlungsvorschlägen von Engels abzuleiten.
Insgesamt handelt es sich um eine anregende Lektüre nicht nur für kritische Ökonom*innen und Sozialwissenschaftler*innen. Sie zeigt, dass Engels in seiner Zeit Fragen aufgeworfen hat, die auch heute noch nach wissenschaftlichen Antworten rufen und die insofern in praktischer Absicht nutzbar gemacht werden können. Der Band gliedert sich ein in die Aktivitäten der Stadt Wuppertal zum 200. Geburtstag ihres bekannten Sohnes, immerhin gehören zwei der Herausgeber zu den Kuratoren. Die lesenswerten Beiträge gehen aber durchaus über eine lokale Würdigung hinaus.

Rainer Lucas, Reinhard Pfriem, Hans-Dieter Westhoff (Hrsg.): Arbeiten am Widerspruch – Friedrich Engels zum 200. Geburtstag; Metropolis Verlag, Marburg 2020, 596 S., 48,00 Euro

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