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Von Herbert Klemisch

Der Industriesoziologe Günter Voß arbeitet sich mit diesem Buch an dem Werk von Shoshana Zuboff «Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus» ab. Er referiert die Ergebnisse dieses über 700 seitigen Standardwerks und konfrontiert die zentralen Thesen mit den von Voß selbst geprägten Begriffen des «Arbeitskraftunternehmers» und des «arbeitenden Kunden».

Die sozioökonomische Studie von Zuboff behauptet nicht weniger als die sukzessive Herausbildung einer neuen Logik kapitalistischer Wertschöpfung. Waren die Ressourcen des traditionellen Kapitalismus menschliche Arbeitskraft, Boden und Geld, so sind die neuartigen Ressourcen des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts nach Zuboff die vielfältigen persönlichen Hervorbringungen von Menschen bei ihren täglichen Handlungen und deren digitale Erfassung. Dies bedeutet ein von Zuboff als «Verhaltensüberschuss» bezeichnetes, unerschöpfliches, aber bis vor kurzem ökonomisch nicht systematisch beachtetes Potenzial von Informationen, das sich abgreifen, datentechnisch aufbereiten und sich nach und nach als neuer Rohstoff erweiterten ökonomischen Verwertungen zuführen lässt. Die Pioniere einer solchen neuen kapitalistischen Ökonomie sind die hinlänglich bekannten Konzerne des Big Tech wie Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft sowie einige chinesische Unternehmen.

Voß verortet die Effekte der Digitalisierung auf das Subjekt in Anlehung an die alten Konzepte einer kapitalistischen Landnahme, die sich auf die jeweiligen Subjekte als Nutzende richtet. Richtete sich Landnahme früher auf die Inbesitznahme von Ländern, Gütern, Waren und Arbeitskraft, so sei es heute der Nutzer, der seinen Rohstoff als Beschäftigte oder private Person dem Landnahmeprozess zur Verfügung stellt. Es geht letztlich um die Gestaltung der persönlichen Lebensführung, auf die sich die Digitalisierung durchgreifend auswirkt.

Gegenwehr ist angesagt, aber Formen der Verweigerung seien schwierig. Meist werden es diffuse, fast unsichtbare Formen der Verweigerung sein; von Behinderung, Störung der Aneignung bis zu Sabotage. Letztlich wären auch Gruppen des «Digitalen Fastens» eine Möglichkeit des Protests. Man kann also sehen, dass Widerstand anderer Organisationsformen bedarf. Nicht das traditionelle Kollektiv der Arbeiterklasse, sondern eine bewegliche, hoch individuelle oder kleine soziale Gruppenformation sind adäquate Formen. Das macht aber den Kampf gegen den Überwachungskapitalismus nicht einfacher.

Insgesamt ein äußerst anregender und sehr informativer Band nicht nur für SozialwissenschaftlerInnen, sondern für alle die schon lange geahnt haben, dass der digitale Kapitalismus besonders perfide mit uns Nutzern umgeht, die ihm eigentlich die Ressourcen erst in Form unserer Arbeit am PC-Bildschirm, Handy etc. zur Verfügung stellen. Es liefert viele Gedankengänge zur Funktionsweise des digitalen Kapitalismus und hält Argumente bereit, sich gegen diesen Prozess zur Wehr zu setzen.

Günter G. Voß: Der arbeitende Nutzer – Über den Rohstoff des Überwachungskapitalismus; Campus Verlag, Frankfurt/M 2020, 174 Seiten, 24,95 EUR

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