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Von Peter Streiff

Als Enteignung wird meist die kapitalistische Praxis verstanden, mittels gewaltsamer Methoden oder trickreicher Handelsverträge kommunalen Besitz in Privateigentum umzuwandeln. Aber auch die antikapitalistischen Auseinandersetzungen und Kämpfe, die auf Vergesellschaftung von Privateigentum setzen, könnten als Enteignung verstanden werden. Dies schreibt die «Widerspruch»-Redaktion in der Einleitung zu ihrem neuen Heft und skizziert damit ein breit angelegtes Themenfeld.

In insgesamt 20 Beiträgen diskutieren unterschiedliche AutorInnen sowohl methodisch als auch theoretisch verschiedene Ansätze zur Eigentums- und Enteignungsfrage. Dabei wird inhaltlich unter anderem auf Karl Marx, Rosa Luxemburg und die Commons-Forscherin Elinor Ostrom Bezug genommen, mit David Harvey die «Akkumulation durch Enteignung» diskutiert und feministische Debatten gegen die Aneignung des weiblichen Körpers und der unbezahlten Sorgearbeit beleuchtet.

Bei den vorliegenden «Beiträgen zu sozialistischer Politik», wie es im Untertitel heißt, sei bewusst eine möglichst offene Perspektive gewählt worden, um Enteignung als «vielschichtiges Phänomen» zu diskutieren. Dass Enteignungskämpfe immer noch primär von oben geführt werden, widerspiegle sich zwar im Verhältnis der vorliegenden Beiträge, so die Redaktion, denn erfolgreiche «Kämpfe und Zukunftsvorstellungen von Selbstermächtigung und anderen Eigentumsverhältnissen» seien doch noch eher dünn gesät.

Dennoch macht die Widerspruch-Redaktion mit «Enteignen fürs Gemeinwohl» als gewählten Titel deutlich, wo ihre Sympathien liegen: So werden im ersten Beitrag die Erfolge des Roten Wien mit einem «Wohnbau als Sozialisierung von hinten» in Bezug gesetzt zur aktuellen Berliner MieterInnenbewegung, die mittels Volksbegehren die Wohnungen der großen Immobilienkonzerne vergesellschaften will. Rückblickend auf das 17. Jahrhundert in England diskutieren Urs Marti-Brander und Philippe Kellermann in ihren Beiträgen die Konzepte des «liberalen Kommunitariers» John Locke, der «Commons als eigentliche Grundlage der menschlichen Existenz, der individuellen Freiheit und einer demokratischen Gesellschaft» verstanden habe.

Deutlich aktueller sind zwei Artikel, die sich um Genossenschaften drehen. Zum einen wirft Gisela Notz einen Blick auf die zunehmende Zahl an Neugründungen in Deutschland und hofft, dass die genossenschaftliche Selbsthilfe in den kommunalen Reformdebatten zukünftig einen Rolle spielen werde. Zum anderen berichtet Nora Komposch von migrantischen Care-ArbeiterInnen in New York, die sich als Mitglieder in «Workers Cooperatives» viel sicherer fühlen, da sie neben besseren Löhnen auch individuelle und kollektive Selbstermächtigung erfahren.

Acht teilweise sehr ausführliche Rezensionen runden das gehaltvolle und abwechslungsreiche Heft ab.

Julia Klebs (verantw.), Redaktion Widerspruch: Enteignen fürs Gemeinwohl – Widerspruch 75, Beiträge für eine sozialistische Politik; 224 Seiten, Rotpunktverlag, Zürich, Oktober 2020, 18 EUR

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