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Mein Beitrag zur großen Vergesellschaftungskonferenz sei eine kleine Geschichte aus dem Mieten- und Privatisierungswahnsinn. Ich verrate nicht zu viel: Sie hat kein gutes, aber ein utopisches Ende. Denn es waren einmal 23 Häuser in Berlin-Kreuzberg. Sie befanden sich (und befinden sich zum großen Teil bis zum heutigen Tage) im sog. Zeitungsviertel und in SO36. Auf einer Landkarte markierten die Bewohnerinnen und Bewohner die Standorte ihrer Häuser.

Um diese 23 Häuser trug sich einstmals, in anderen Zeiten, in einem anderen Jahrtausend, Unerhörtes zu: 1993 wurden sie verschenkt! Mit einer Schenkungsurkunde belegten die Fürsten der Stadt ihren Großmut und überantworteten der GSW, einer ihrer damals noch für treu gehaltenen kommunalen Haushälterinnen, das Eigentum an den Häusern und damit auch die Verantwortung für die Häuser und die darin lebenden Menschen.1 Allein: Die GSW erwies sich als ebenso böse Zauberin wie alle anderen großen Haushälterinnen. Nicht nur kümmerte sie sich nicht um die Häuser und ihre Bewohner. Nein, sie bemühte sich nach Kräften, die Mieterinnen auszusagen, ihnen abzupressen, was abzupressen war und ihnen nichts zurückzugeben oder gar zugutekommen zu lassen. Doch reibungslos lief das nicht ab.

Denn als die Bewohnerinnen und Bewohner von dieser Abmachung irgendwann Wind bekamen, forschten einige nach und stießen dabei auf die bis dahin geheim gehaltene Schenkungsurkunde. Die Empörung war groß! Und ganz wehrlos waren die Leute nicht – bewaffnet mit dem Hinweis auf derart skandalöses Treiben der Obrigen. Sie taten sich zusammen und taten das, was sie tun konnten: Sie berichteten der Welt von ihrem Schicksal und vom Treiben der bösen GSW.

Von den Berichten der Bewohnerinnen und Bewohner von damals mag vieles nicht mehr direkt auffindbar sein, aber mit ihrem Blog fanden sie Eingang in das unlöschbare Archiv aller Internetseiten auf der ganzen Welt. Eines Tages bekamen die Leute aus den 23 Häusern auch noch eine Geheimnotiz aus dem königlichen Archiv zugesteckt, die belegte, dass sie mit ihren 23 Häusern nicht alleine waren. Im ganzen Fürstenreich Berlin, weit über die Grenzen Kreuzbergs hinaus, hatte die böse Zauberin sage und schreibe 631 Häuser geschenkt bekommen.2

Die böse Zauberin bekam ob dieser ganzen Enthüllungen tatsächlich kalte Füße und versuchte zu fliehen: Mit Hilfe der Landesfürsten entkam sie aus dem Reich der kommunalen Fürsorge ins Zauberreich des Privateigentums. Ganz heimlich konnte das jedoch nicht von statten gehen. Der Zauber gelang nur mit Hilfe einer Privatisierungsurkunde, in der Versprechungen festgehalten sind, mit denen alle Gegenzauber gebannt werden sollten.3 Allerdings wurden diese Versprechungen nie eingehalten.

Wieder wehrten sich die Mieterinnen und Mieter. Eines der 23 Häuser, die Schlesische Straße 25, das die böse Zauberin mittlerweile leergezaubert hatte – anstatt die Bewohner zu nähren und zu versorgen, wie die Urkunden es ihr eigentlich geboten, wurde besetzt. Dort kämpften nun tapfere Mieterinnen und Mieter gemeinsam mit vielen ihrer Freundinnen und Freunde gegen die Privatbüttel der Zauberin ebenso wie gegen die uniformierten Schläger der Landesfürsten. Alle anderen Häuser und noch viele andere Bewohner des Reiches, die genug hatten vom Treiben der Hexe und der selbstherrlichen Fürsten, unterstützten die Besetzerinnen und Besetzer im mittlerweile landesweit liebevoll “Schlesi” genannten Haus. Doch die böse Zauberin konnte ihren Kopf wieder aus der Schlinge ziehen. Sie nahm all ihre Häuser und warf sich einer noch viel größeren und böseren Zauberin in die Arme, die die Ausplünderung der Menschen nicht nur im Fürstentum Berlin sondern im ganzen Königreich organisierte: Deutsche Wohnen nannte sie sich, was als Programm und zugleich als Drohung zu verstehen war.

Aber weil die Deutsche Wohnen noch viel größer und böser war als die GSW zuvor, waren eben noch viel mehr Menschen bedroht als zuvor. Und die Menschen wurden wütend ob dieser Unbill. Sie kamen nicht nur in Kreuzberg oder Berlin, sondern nun im ganzen Land zusammen und berieten und demonstrierten gegen die Privateigentum und Obrigkeit. Im hohen Norden, wo die Häuser auf den Hafen schauen genauso wie im tiefen Süden, wo sie die hohen Berge im Blick haben. Darüber hinaus kamen die Menschen auf eine verwegene Idee: Warum holen wir uns nicht die Häuser wieder zurück?? Denn die bösen großen Haushälterinnen waren sämtlich ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.

Es ging jetzt auch nicht mehr nur um 23 Häuser in Kreuzberg oder 631 in Berlin, die einstmals verschenkt worden waren. Nein, es ging um die Häuser aller bösen Haushälterinnen, die mehr als 3.000 Häuser an sich gerissen hatten. Die wütenden Menschen nannten ihre Idee “Deutsche Wohnen & Co. enteignen”, trugen das Wort davon hinaus ins Land und sammelten überall erfolgreich Stimmen für ihre Idee. Doch die eitlen Fürsten bemühten sich nach Kräften, den Unwillen ihrer Untertanen in eine Kommission zu kanalisieren. Und auch wenn die Deutsche Wohnen mittlerweile von einem bösen Monster namens Vonovia gefressen worden war und Vonovia nun das größte Mietenmonster von allen war: Namen sind Schall und Rauch. Aber Häuser sind zum Wohnen da – und nicht um die Bewohnerinnen und Bewohnerinnen darin zu quälen.

Mittlerweile sind einige der 23 Häuser ganz kaputt und abgerissen. Andere sind weiterverkauft, für Reiche renoviert und Wohnung für Wohnung weiterverkauft. In der Folge ist dann die mehr oder weniger vorgeschobene Eigenbedarfskündigung der mittlerweile häufigste Kündigungsgrund gegen langjährige Mieterinnen und Mieter: Eine teuer erworbene Wohnung muss geräumt und mit zahlungskräftigeren Mieter_innen besetzt oder leer und daher noch teurer weiterverkauft werden, damit der ganze Zirkus sich weiter dreht und profitabel bleibt.

Ebenso immer noch beliebtes Geschäftsmodell: am Verfall entlang bewirtschaften und die Mieten im Rahmen des gesetzlich möglichen gnadenlos erhöhen. Der Mietenspiegel tut als Mieterhöhungsrechtfertigung das seine dazu: Stabile Bestandsmieten finden gar keinen Eingang in die sog. ortsübliche Vergleichsmiete, die deshalb auch so heißt und eben nicht Durchschnittsmiete. In vielen der GSW23-Häuser wohnen mittlerweile die erwachsenen Kinder mit in den Wohnungen derjenigen Leute, die sich einst gewehrt haben anlässlich der dreisten Geschichte mit den verschenkten Häusern. Denn Ausziehen kann sich heutzutags niemand mehr leisten.

Vor diesem Hintergrund ist nach wie vor von utopischem Wert, was schon vor mehr als zehn Jahren Fazit der Leute von GSW23 war:

Häuser verschenken geht geht also offensichtlich. Das haben wir immerhin jetzt gesehen und gelernt. Sogar 23 auf einmal. Warum also nicht einfach die betroffenen Häuser der GSW dort, wo diese sich nicht an den Vertrag gehalten hat, wieder wegnehmen und diesmal den richtigen Leuten schenken?!

Wir haben nichts dagegen, wenn die Stadt Häuser verschenkt. Wenn, dann aber doch bitte an die Leute, die drin wohnen. Und zwar am besten in einer Form, die das Haus endgültig der Spekulationssphäre entzieht und soziales Wohnen langfristig garantiert, wie etwa das Mietshäusersyndikat.

  1. vgl. den GSW23-Blogbeitrag zum “Einbringungsvertrag” 1993 []
  2. vgl. den GSW23-Blogeintrag “Breaking News: GSW23 ist Teil von Berlin631” []
  3. vgl. GSW23-Blogbeitrag zum Privatisierungsvertrag 2004 []

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