Eine Rezension von Herbert Klemisch
Die Diskussion um Mängel der öffentlichen Daseinsvorsorge entzündet sich aktuell an vielen Gegenstandsbereichen. Da ist das marode Straßen- und Schienennetz, schlechte Luft und fehlende Wohnungen besonders in den Metropolen, die mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie die Defizite der Mobilität im ländlichen Raum oder die mangelhafte Versorgung mit Kindergarten-, Schul und Ausbildungsplätzen. Die Gesellschaft ist in eine Phase zugespitzter Infrastrukturkonflikte eingetreten.
Die Autor*innen präsentieren in diesem Buch die Ergebnisse des Forschungsprojektes «Gemeinwohl-relevante öffentliche Güter», das an der Universität Tübingen von 2020 bis 2023 durchgeführt wurde. In den Beiträgen wird aus sozialwissenschaftlicher Sicht rekonstruiert, wie de Politisierungs- und Transformationsprozesse in einzelnen Handlungs- oder Politikfeldern verlaufen. Im abschließenden Kapitel wird ausgelotet, wie die Perspektive einer staatlichen Gewährleistung bestimmter Leistungen bei Infrastrukturkonflikten aussehen kann. Dabei werden insbesondere die Beteiligungs- und Einflussmöglichkeiten sogenannter schwacher Interessen diskutiert.
Als Gegenstand wurden Konflikte in drei Politikfeldern ausgewählt. Es geht um Wohnen, Gesundheitsversorgung und saubere Luft. Die Versorgung mit ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum in den großen Städten ist das erste Konfliktfeld. Der zweite Konflikt thematisiert die mangelhafte ambulante medizinische Versorgung im ländlichen Raum. Der dritte Infrastrukturkonflikt ist wieder im großstädtischen Bereich angesiedelt und stellt die Frage, wie dort saubere Luft als Gemeingut verankert werden kann.
Bei allen drei analysierten Konflikten um gemeinwohl-relevante öffentliche Güter sind diejenigen Gruppen, die besonders von Versorgungsmängeln betroffen sind, in den Aushandlungsprozessen zur Verbesserung ihrer Situation benachteiligt. Das gilt für Mieter*innen mit geringem und mittlerem Einkommen in der Diskussion um bezahlbaren Wohnraum, für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, deren Interessen an einer ärztlichen Versorgung nur mangelhaft vertreten werden oder für Kinder und ältere Menschen, die ihr Bedürfnis nach sauberer Luft in den Großstädten nur stark eingeschränkt artikulieren können. Dennoch können auch solche Interessen mit Hilfe von Rechtsbeiständen oder Umweltverbänden oder Mietervereinen sich Gehör verschaffen.
Hier hätten die Autor*innen mit positiven Beispielen noch mehr hilfreiche Anregungen geben können. So bleibt die Analyse zwar wissenschaftlich korrekt, aber doch eher akademisch und die Ergebnisse erwartbar. Denn klar ist, dass sich die öffentliche Kritik der Unter- und Fehlversorgung meist an den Staat richtet, der diese Kritik jedoch oft zurückweist.
Johanna Betz / Hans-Jürgen Bieling / Andrea Futterer / Matthias Möhring-Hesse / Melanie Nagel (Hg.): Konflikte um Infrastrukturen – Öffentliche Debatten und politische Konzepte, transcript Verlag, Bielefeld 2023, 230 Seiten, 40 Euro (Das Buch ist open access hier) )