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Eine Rezension von Bernd Hüttner

«Der Sozialstaat ist unbezahlbar.» «Die Löhne sind zu hoch.» «Wachstum kommt allen zugute.» «Private Unternehmen sind effizienter als der Staat.» «Hohe Steuern bremsen die Wirtschaft.» Derlei Behauptungen sind überall in den Medien und der Politik zu lesen und zu hören. Sie haben mehr Markt zum Ziel, und sie sind Ausdruck eines seit mindestens Anfang der 1980er zunehmend politisch gewollten und staatlich durchgesetzten neoliberalen «Zeitgeistes», der auf unternehmerische «Freiheit», Konkurrenz, Privateigentum und «Eigenverantwortung» setzt. Als Resultate hatte er für sehr viele vor allem mehr Ungleichheit und mehr Vereinzelung und weniger soziale Sicherheit und gesellschaftlich weniger Umverteilung «nach unten» zur Folge.

Das hier vorliegende Buch besteht, gegliedert in acht Kapitel, gut zur Hälfte aus Kolumnen, die von 2015 bis 2019 in der Zeitschrift lunapark21 bzw. von 2020 bis 2023 dann in der Zeitschrift OXI. Wirtschaft anders denken erschienen sind. In diesen wurden neoliberale Behauptungen über Arbeit, Staat, Finanzen und Soziales unter die Lupe genommen. Verfasst wurden sie von den hauptamtlichen Gewerkschaftern Schreiner und Eicker-Wolf, die jahrelang zusammen auch den Blog Blickpunkt WiSo verantwortet haben. Die beiden wollten mit ihren Texten aufzeigen, weshalb diese Behauptungen falsch sind oder in die Irre führen; wem sie schaden und wem sie nutzen und auch, welche Denkmuster und Annahmen hinter ihnen stehen. Es lohnt sich, gegen derlei Behauptungen und Feindbilder zu streiten. Und zwar auch und gerade dann, wenn sie im vermeintlich objektiven Gewand der Wissenschaft daherkommen. Die Dominanz des Neoliberalismus und des Kapitals ist, das haben die letzten Jahre gezeigt, angreifbar. Es ist möglich und nötig, neoliberale Märchen anzugreifen, wie sie in Bildern vom zu teuren Hängemattenstaat, von halsstarrigen Gewerkschaften oder von faulen Armen existieren.

Was dieses Buch nicht zum Thema hat, und auch nicht haben will, ist die Attraktivität des Neoliberalismus für viele, und damit auch sein Erfolg. Diese bleiben unerklärt, was auf eine zentrale Schwäche solcher (vor allem gewerkschaftlicher) Lesarten des Neoliberalismus verweist. Denn viele haben ökonomisch von ihm sehr wohl profitiert, und seine kulturellen Ausformungen wie etwa Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung dürften heute hegemonial sein. Aber das ist ein anderes Thema.

Ein Sachregister mit vielen Schlagworten, von Abwertung bis Zentralbank, erleichtert die Nutzung des Buches. Dieses eignet sich gut dafür, an Eltern, Kinder, Freund*innen oder Nachbarn verschenkt zu werden, da es populär (-wissenschaftlich) geschrieben ist.

Und: lunapark und OXI wurden beide in 2023 eingestellt, und das nicht, weil sie ihre selbstgewählte Aufgabe als erledigt ansahen.

Patrick Schreiner / Kai Eicker-Wolf: Wirtschaftsmärchen. Hundertundeine Legende über Ökoniomie, Arbeit und Soziales; papyrossa Verlag, Köln 2023, 270 Seiten 19,90 Euro

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