Putins Macht ist stabil, doch der Kriegskurs ist umkämpft und gerät vor allem von rechts unter Druck. Eine Veränderung der Eliten scheint weit wahrscheinlicher als eine Bewegung von unten.
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Als Ergänzung zu dem Macht-Text noch einige Bemerkungen. Dieser Tage wird in Russland erstaunlich intensiv über den Rückzug Aleksej Kudrins aus dem Rechnungshof debattiert. Eine Deutung ist, dass er sich auf eine Kandidatur für das Präsidentenamt vorbereite. Das scheint aber unwahrscheinlich. Offensichtlich ein Traum der Liberalen. Die Debatte über die Hintergründe dieses Schrittes ist aber nicht unbedeutend.
Kudrin ist ein beinharter Neoliberaler, das zeigen auch seine Artikel zu theoretischen Aspekten der Staatsfinanzen. Wichtiger aber ist, dass er ein strategisch denkender Kopf ist. Er war Finanzminister, hat dann einen regierungsnahen think tank zu Zukunftsfragen geleitet und ist dann zum Chef des Rechnungshofes ernannt worden. Darüber hat er versucht, die Haushaltspolitik zielorientiert zu beeinflussen. Er hat immer wieder kritisiert, dass die Nationalen Projekte nicht effektiv geführt werden, auch wenn diese als solche für ihn als Neoliberalen ein Greul gewesen sein müssen. Er hat auch die Tätigkeit der Staatskonzerne kritisch durchleuchtet. Zuletzt hat er so die Ablösung des Chefs von Roskosmos Rogozin vorbereitet, den er öffentlich für eine laxe Umsetzung der aus den Präsidentenerlassen resultierenden Aufgaben kritisiert hatte. Wenn er jetzt als Berater zum Jandex-Konzern wechselt, wird davon ausgegangen, dass dieser als Kern eigenständiger Entwicklungen im Bereich IT profiliert werden soll.
Andere Kommentator*innen gehen davon aus, dass sich damit das Ausscheiden der verbliebenen, aber sehr einflussreichen Liberalen, insbesondere der Zentralbankchefin Elvira Nabiullina und des Chefs der Sberbank German Gref, andeute.
Welche dieser oder anderer Varianten eintritt, ist momentan völlig offen. Zumal dabei auch ein Faktor wirkt, der hier kaum wahrgenommen wird. Zwar ist die Bewegung gegen den Krieg völlig in den Untergrund gedrängt (gerade wurde die navalnynahe Jugendstruktur Vesna per Gerichtsbeschluss zur terroristischen Organisation erklärt) oder in die Emigration gezwungen worden, dafür scheinen sich die sozialen Auseinandersetzungen wieder zuzuspitzen. Es wird zunehmend von Streiks und anderen Aktionen im Zusammenhang mit ausstehenden Lohnzahlungen und ungerechtfertigten Entlassungen berichtet. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen bei Lieferdiensten. Es sind damit drei Faktoren, die den Versuchen der Befriedung durch staatliche Sozialleistungen entgegenwirken – diese Arbeitskämpfe (so klein sie von hier aus erscheinen mögen), das Chaos der Mobilisierung (das zur Folge hatte, dass Putin sagte, man müsse die Kaderarbeit der bewaffneten Kräfte insgesamt einer Revision unterziehen) und der Abfluss von intellektuellem Potential durch Emigration vor allem junger und qualifizierter Arbeitskräfte. Letzteres nimmt offensichtlich bedrohliche Ausmaße an. Ob sich daraus unter den gegebenen Bedingungen eine Gegenmacht zu den im Beitrag beschriebenen von verschiedenen Teilen der Eliten getragenen Tendenzen ergibt, ist offen. Man sollte das aber als Potenzial in Rechnung stellen. Dies spricht auch dafür, Kontakte zu gewerkschaftlichen und linken Kreisen in Russland aufrecht zu erhalten.