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Neulich in der FAZ, eine Besprechung unserer Tagung “Richtige Literatur im Falschen”. Teaser: Die Begriffe „Marxismus“ und „brillant“ nennt der Artikel an einer Stelle in einem Atemzug – im Wissenschafts(!)teil. Ich könnte den Artikel hier einfach nur verlinken, denn “Dieser Artikel wurde Ihnen von einem Abonnenten geschenkt und kann daher kostenfrei von Ihnen gelesen werden.” Dem Spender sei ein Trullala! Zur Sicherheit aber auch nochmal Copy&Paste hierher:

Wer im Stich lässt seinesgleichen

Bei falscher Antwort Klassenkeile: Ein Netzwerk von Schriftstellern und Wissenschaftlern trägt den linken Streit um die Identitätspolitik aus.

Von Eva Tanita Kraaz

Wer die abgewandelte Adorno-Sentenz „Richtige Literatur im Falschen“ als Namen benutzt, setzt sich ein hohes, ja ein unmögliches Ideal. Die Leser, die das Zitat erkennen, wissen, dass von etwas die Rede ist, das es nicht gibt. Erstaunlicherweise ist das Netzwerk, das der Schriftsteller Enno Stahl und der Sozialwissenschaftler Ingar Solty 2015 gegründet haben, auch nach sechs Tagungen und weiteren Einzelveranstaltungen unter der Unerreichbarkeit der eigenen Ziele keineswegs zusammengebrochen. Fortwährend strebt man an, eine engagierte Literatur zu fördern, die sich dem Realismus „im Sinne einer welthaltigen und gegenwartsbezogenen Literatur“ verschreibt. Auf den Treffen führt man literarische Autoren mit Forschern aus Politik-, Sozial- und Literaturwissenschaft zusammen.

Die Wissenschaft ist für einen aktuellen gesellschaftskritischen Input zuständig – für die Analyse des „Falschen“ also. Die Literatur bringt darauf bezogene Versuche des „Rich­tigen“ mit, also Berichte aus der Schreibwerkstatt, fertige Texte oder literaturhistorische Es­says. Das Plenum diskutiert dann über den politischen Gehalt und die „Kunsthaftigkeit“ der Literarisierungsstrategien. In dieser Rollenverteilung traf sich das Netzwerk unlängst auch im idyllischen Haus Rüschhaus nahe Münster. Auf dem Programm stand die Klassenfrage, genauer: „Klassenpolitik und literarische Praxis“. In der Literatur hat der Klassenbegriff hierzulande spätestens seit 2016 Konjunktur, als sich das Genre der Autosoziobiographie durch die deutsche Übersetzung von „Rückkehr nach Reims“ etablierte – einem Buch, das der Tagungsdiskussion als fixer Referenzpunkt diente. Darin beschreibt der Soziologieprofessor Didier Eribon, wie er in Paris einen Schutzraum für seine marginalisierte Identität als schwuler Mann fand und wie ihm erst spät bewusst wurde, dass es gerade diese kosmopolitische Umwelt war, die seine in Reims zurückgelassene Familie abgehängt hatte, wie man heute sagt, sozioökonomisch, politisch und persönlich.

Intersektionale Forschungsansätze
Mit Eribon wird seitdem die These illustriert, linke Intellektuelle hätten ihre ganze Energie für diskriminierte Minderheiten aufgewendet und deshalb ihren Kontakt zur Arbeiterklasse verloren. In der allgemeinen Ratlosigkeit über die internationalen Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien bot diese Behauptung einen Erklärungsansatz, der für ein materialistisches Programm warb und gleichzeitig die Wichtigkeit der kulturellen Sphäre, des früher so genannten Überbaus, bekräftigte.

Die Rückbesinnung auf Klassenpolitik stößt auf Widerstand bei denjenigen, für die Identitätspolitik kein Schimpfwort ist. Der Konflikt entzweit derzeit nicht nur linke Gruppen, sondern wird auch auf wissenschaftlichem Terrain ausgetragen und bestimmte den Verlauf der Tagungsdiskussion. Denn intersektionale Forschungsansätze, die grundlegend für identitätspolitische Forderungen sind, hatten „class“ von Anfang an in den klassischen Dreiklang der Diskriminierungskategorien zwischen „race“ und „gender“ integriert, also keineswegs ausgeblendet.

Dass Klasse mit anderen Identitätsmerkmalen gleichgeordnet wird, ist für marxistische Kritiker wie den Netzwerkgründer Solty gerade der Stein des Anstoßes. Sie behaupten, dass mit der Hervorhebung der Differenz der Subjekte deren Vereinzelung weiter befördert werde. Solty schilderte den Aufstieg des von ihm so bezeichneten „Intersektionalismus“ als Ge­schichte der Niederlagen linker Bewegungen und forderte, Klasse als Kampfbegriff zu restituieren. In diesen marxistischen Tenor stimmten die anderen beiden Vertreterinnen der Sozialwissenschaft ein, Bafta Sarbo und Eleonora Roldán Mendívil. Alle drei Vorträge waren rhetorisch und argumentativ brillant. Aus den Postcolonial oder Gender Stu­dies selbst, in denen Intersektionalitäts­forschung überwiegend betrieben wird, kam niemand zu Wort. So gab die Referentenauswahl eine performative Antwort der Klassenpolitiker auf die identitätspolitische Frage nach Repräsentation.

Ungleichgewicht in der Diskussion
In unglücklicher Weise spielte diese Einseitigkeit mit der Hierarchisierung der Professionen zusammen, die das Setting der Netzwerkberatungen unausgesprochen voraussetzt. Die Prämisse, dass der wissenschaftliche Input das literarische Engagement fördern soll, degradiert in ver­querer Dialektik die Literatur zum intellektuell nachgängigen ausführenden Organ. Diese Implikation unterliefen zwar die suggestiven, verschlungenen und ge­nuin literarischen Essays, die Monika Rinck oder Luise Meier im Saal vortrugen. Doch weder dieser Gegenbeweis noch die Überzahl der Referate aus der Literatur kratzten am Ungleichgewicht in der Diskussion zugunsten der marxistischen So­zialwissenschaft. Der Kritik ausgeliefert waren daher solche literarischen Ansätze, die autobiographisch durch eine diskriminierte Identität beglaubigt waren. Anke Stelling und Daniela Plöggner trugen etwa eine literarische und feministische Analyse des sozialen Typus „später Vater“ vor. Stelling nutzte eine weibliche Perspektive, um über das Patriarchat zu reflektieren. Bemängelt wurde daraufhin ihre einseitige Beleuchtung einer Opferidentität. Dieses abfällige Urteil erneuerte sich, als der abwesende Autor Christian Baron für seine nicht ganz unähnliche autobiographische Herangehensweise einhellig als „platt“ abgewertet wurde.

In der Abenddiskussion mit Moritz Baßler und Iuditha Balint aus der Literaturwissenschaft sowie den Autorinnen Lu­ise Meier und Kathrin Röggla klangen die Prämissen dieser Wertung nach. Die titelgebende Frage „Literarische Intersektionalität, literarische Klassenpolitik?“ wurde verdrängt von Ad-hoc-Prüfungen auf li­terarische Qualität. Markterfolg und Main­stream drohten in diesem Exerzitium bereits zu Kriterien zu werden, um Bücher als trivial abzustempeln und für gesellschaftskritische Zwecke zu verwerfen, als Balint widersprach: „Trivialliteratur ist in ihrer Auswirkung nicht trivial.“ Gerade ästhetisch wenig herausfordernde, publikumsstarke Literatur birgt dann ein gesellschaftstransformierendes Potential. Doch auch dieser wertvolle Einwurf hatte einen Beigeschmack, denn er führte die auf dem Podium losgetretene Rede von der Trivialliteratur fort – einem Begriff, der schon seit den späten Sechzigerjahren in der Forschung höchst umstritten ist. Er lässt sich nicht objektiv bestimmen, sondern beruht auch auf den Deutungsansprüchen un­durchsichtiger Ge­schmackshegemonien. Seine Rehabilitation musste im marxistischen Kontext der Tagung besonders irritieren.

Die Beschwörung des „Richtigen im Falschen“ erfüllte sich also schicksalhaft: Auch im Haus Rüschhaus konnte es das Richtige nicht geben. Das angeeignete Zi­tat im Namen des Netzwerks liest sich retrospektiv als Ankündigung. Es entpuppt sich als Fluch und Segen zugleich. Als Eingeständnis der Notwendigkeit des Scheiterns lindert es die vorhersehbare Frustration vermutlich. Vielleicht ist so die fortwährende Hingabe an den Versuch erst möglich. Dieses fehlerfreundliche Kal­kül begünstigt jedoch im Zweifel auch eine gewisse Bequemlichkeit. Anders ist die Disparität der Positionen auf der Ta­gung kaum verständlich.

Siehe auch:

Richtige Literatur im Falschen? Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik
Enno Stahl / Ingar Solty (Hg.)
Verbrecher Verlag, Broschur, 320 Seiten, lfb Texte 3
Preis: 21,00 €
ISBN: 9783957321633

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