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In der Schweiz gibt es 3,8 Millionen Autos, ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel wird weggeworfen. Die Gegenwart, noch verschärft durch Corona, ist gekennzeichnet von einem eklatanten Auseinanderklaffen von Möglichkeiten und vergleichsweise trister, wenn nicht katastrophaler Realität. In vielen Bereichen ist das Produktivitätsoptimum erreicht, die Menschheit ist reich an Ressourcen, technischer Expertise und sozialen Erfahrungen. Dieser Reichtum wird aber nur von wenigen angeeignet, Hunger und Klimawandel existieren weiter und die Ungleichheit steigt überall an. Politisch gibt es global, trotz vieler Proteste, z.B. nehmem am 14. Juni 2019 in der Schweiz eine halbe Million Menschen am Frauenstreik teil, einen reaktionären Rollback («Trumputinismus»). In den Ländern des globalen Nordens tritt erst langsam ins Bewusstsein, dass der Großteil der geleisteten Arbeit unbezahlt stattfindet, Care in Indikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt nicht vorkommt und diese damit, wie die (neo-)klassische Volkswirtschaftslehre insgesamt, für eine emanzipatorische Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse unbrauchbar sind.
Dringend nötig aus vielerlei Gründen sei deswegen, so Ringger und Wermuth, der Bruch mit der Kapitallogik. Nur so sei mehr Gemeinwohl, Solidarität und Kooperation möglich. Ihr Vorschlag ist eine Erneuerung und Ausweitung des «Service Public», was wohl nur unzureichend mit «öffentlicher Dienst» eingedeutscht werden kann. Sie buchstabieren dies auch anhand u.a. der Sektoren Wohnen, Mobilität, Gesundheit und Pflege aus. Finanziert werden soll das ganze durch eine andere Steuerpolitik, die Reiche stärker belastet und z.B. durch eine einmalige Klima-Corona-Abgabe, die mit einer vergleichsweise moderaten Besteuerung (3 Prozent auf Vermögen von über 1 Million Franken) immense Summen erbringen würde.
Fast alles, was die beiden darlegen, etwa die frappierende und politisch gewollte Ungleichheit und vieles, was sie vorschlagen, ist auch von anderen bereits beschrieben worden. Neu und interessant ist ihre Fokussierung auf Care-Tätigkeiten und ihr Plädoyer für eine Care-Politik, die sich, so ihr Vorschlag, zumindest in der Schweiz auf eine alte Tradition der kommunalen Selbstverwaltung und des (zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen) Vereinswesens stützen könnte.
Offen bleibt, wie oft, die wichtige Frage, wer das alles umsetzen soll: Parteien, soziale Bewegungen, fortschrittliche KapitalistInnen und ihre SympathisantInnen in der öffentlichen Verwaltung? Dazu sagen die beiden Autoren sehr wenig.
Auf der Website www.service-public-revolution.ch finden sich Blogbeiträge zum Buch, weitergehendes zum Thema auch auf der Website des ThinkTanks www.denknetz.ch, dessen engagierter Sekretär Ringger bis 2020 war.

Beat Ringger, Cédric Wermuth: Die Service-public-Revolution. Corona, Klima, Kapitalismus – eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit; Rotpunkt Verlag, Zürich 2020, 216 Seiten, 15 EUR

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