Kaum hatten einige rechts-bürgerliche Professoren und Senioren, die sich früher mal in „der Wirtschaft“ oder im Journalismus tummelten, mit der „Alternative für Deutschland“ eine Partei gebildet, die aus dem sich ausbreitenden Unbehagen am Euro politisches Kapital schlagen wollen, schwappte auch in anderen politischen Segmenten diese und jene Aufwallung hoch, doch den Euro in Frage zu stellen. Als wolle man aus der Gefahr seines Scheiterns noch eine linke Politik machen! Dabei ist in der politischen Himmelsmechanik völlig klar: Wer jetzt in Deutschland eine „Strategie“ der Euro-Abschaffung entwirft, wird – sollte es tatsächlich zum großen Zusammenbruch kommen – mit in Haftung genommen für die Millionen Opfer, Verarmten und zusätzlichen Arbeitslosen und öffentlich an den Pranger gestellt. Und trägt damit lediglich dazu bei, die tatsächlich Verantwortlichen zu entlasten: die Kapitaleigner und Spekulanten sowie die europäischen „Eliten“, die Verhältnisse geschaffen haben, die sie am Ende nicht mehr beherrschen konnten. Eine solche Feigenblatt-Rolle sollte kein linker Politiker ernstlich übernehmen wollen.
In einer aktuellen Studie zur Krise des Euro schrieben Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas:
Die Vorherrschaft Deutschlands in den Exportmärkten und seine fehlende Bereitschaft, sein wirtschaftspolitisches Modell zu ändern, die Art der Konditionalität, die mit den Anpassungsprogrammen in den Krisenländern verbunden ist und die falsche Anpassung an sich bewirken einen schnellen Anstieg der Kosten eines Verbleibs in der Europäischen Währungsunion.“
Der Nutzen, der für die Länder mit der Einführung des Euro verbunden war, werde geringer und reduziere sich weiter. Deshalb die Folgerung:
Da die wirtschaftlichen Kosten der Mitgliedschaft zunehmen und der Nutzen abnimmt, müssen tatsächlich einige Länder einen Austritt erwägen.“ (Schlussfolgerungen der Studie; die Studie [engl.])
Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht mag es naheliegen, eine solche rationale Abwägung vorzuschlagen, Kosten und Nutzen zu bilanzieren und dann entsprechend zu handeln. Tatsächlich jedoch ist die Entwicklung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht ein Vorgang, den man einfach mal so rückgängig machen kann, ein Spiel, in dem man, wie bei „Monopoly“, gegebenenfalls „zurück auf Los“ geht. Über ein Dutzend Jahre nach Einführung des Euro kann man nicht einfach zur „Währungsschlange“ zurückkehren und nach ihrer Wiedereinführung die neu-alten Kleinwährungen abwerten lassen. Erstens wären dann die ursprünglichen Probleme, wie sie zur Einführung des Euro geführt hatten, wiederhergestellt; die Geschichte der „Währungsschlange“ in den 1980er und 1990er Jahren war gerade keine Zeit der Stabilität, sondern eine beständiger Krisen und Unsicherheiten.
Zweitens würde dies das eigentliche Problem der EU, das strukturelle Übergewicht der deutschen Wirtschaft, nicht beseitigen. Die mit der Wirtschafts- und Währungsunion verbundene Deindustrialisierung anderer EU-Länder ist nicht von heute auf morgen rückgängig zu machen. Nach einer mehrjährigen Phase der Verwerfungen würde wieder eine „D-Mark-Zone“ entstehen – und „dann gehören wir eben zur D-Mark-Zone“, wie ein polnischer Finanzstaatssekretär vor einiger Zeit auf einer Konferenz sagte. Nur wäre die eben weltwirtschaftlich betrachtet deutlich schwächer, als es die Euro-Zone ist. Und ob dies im Interesse der Kapitaleigner und Herrschenden der anderen EU-Länder läge, ist sehr fraglich.
Drittens sind die Schulden innerhalb der Euro-Zone in Euro notiert, so dass die aus dem Euro austretenden Länder nach Abwertung der „neuen“ nationalen Währung noch mehr zur Schuldentilgung aufwenden müssten, als im Rahmen des Verbleibs im Euro; die Verarmung der Lohnabhängigen und der ärmeren Bevölkerungsteile würde also durch den Euro-Austritt nicht gestoppt, sondern voraussichtlich vergrößert. Ob die schwachen Regierungen der kleinen EU-Länder einfach ein Schulden-Moratorium verhängen könnten, wie es der argentinische Präsident Kirchner vor zehn Jahren in der „Tango-Krise“ machte, ist äußerst fraglich. Es hinge vor allem von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Viertens würden die globalen Spekulantennetzwerke über diese Währungen erst recht herfallen, es sei denn, sie werden als Binnenwährungen konzipiert, die nicht oder nur sehr bedingt konvertierbar sind – das aber wäre ein Rückfall in eine Lage, wie sie in Europa nach dem ersten Weltkrieg hergestellt worden war, mit nur begrenzt tauschbaren Währungen und scharfen Grenzkontrollen. Und daran kann keine Kapitalfraktion in Europa, aber auch kein EU-Bürger, der die Praxen der vergangenen Jahre genießt, interessiert sein.
Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist darüber hinaus zu fragen, ob es für eine Austrittslösung die sie tragenden politischen und sozialen Kräfte gäbe. Wenn die Einführung des Euro als Geschäft auf Gegenseitigkeit zwischen den verschiedenen Kapitalgruppen und den Machtkomplexen innerhalb EU-Europas gemacht wurde, so wäre der Austritt aus dem Euro eine Aufkündigung dieser Gegenseitigkeit. Im Rahmen der Krisenbewältigungspolitik wurden bei Wahlen bisher in allen Krisenländern die für die Krise zunächst verantwortlichen Regierungen abgewählt – ganz gleich, ob sozialdemokratisch oder konservativ – und anschließend aber wieder Regierungen gewählt, die für die Akzeptanz der Bedingungen der „Troika“ und die Annahme der verschiedenen „Memoranden“ und „Rettungspakete“ eintraten. Es besteht eine faktische Grundvereinbarung zwischen den Kapitalgruppen der Euro-Länder und ihren Regierungen über die Erhaltung des Euro, die wiederum über Wahlen abgesichert ist. (Allerdings sind in solchen Wahlen vielerorts, so in Ungarn oder in Griechenland, die Positionen einer extremen, ja quasi-faschistischen Rechten erstarkt. Das könnte die derzeitige Stabilität der Schulden-Regime längerfristig aushöhlen – mit zu den 1930er Jahren durchaus vergleichbaren Folgen.) Daran haben auch noch so große außerparlamentarische Protestbewegungen, Demonstrationen oder Kundgebungen bislang nichts ändern können.
Unter einer kapitalismuskritischen historischen Perspektive könnte man dazu feststellen, dass die Herrschenden der anderen EU- beziehungsweise Euro-Länder sich inzwischen – die einen mehr, die anderen (noch) weniger – in Kompradoren des deutschen Machtkomplexes verwandelt haben. Das Interesse, als solche an den Gesamtpositionen der EU in der Weltwirtschaft von heute zu partizipieren, dürfte auf absehbare Zeit größer sein, als sich auf sich allein gestellt den Unwägbarkeiten der globalen Wirtschaftsentwicklungen auszusetzen. Da rangieren die Arbeitslosen, absichtsvoll Verarmten und Notleidenden in den Krisenländern auf einem nachrangigen Platz. Und eine Linke in Europa, die machtvoll eine andere politische Weichenstellung zu erwirken in der Lage wäre, ist derzeit nicht zu sehen. Dessen ungeachtet gilt: Ein solidarisches Europa gibt es nur mit dem Euro, einem erneuerten, auf neue Grundlagen gestellten, nicht durch seine Zerstörung.
Dieser Artikel erschien zuerst im Blättchen.
RT @ifg_rls: Euro: Warum Linke aus POLITISCHEN Gründen nicht aussteigen sollten t.co/a6hSl13vzp
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