Mainstream-Medien werfen die Frage nach einer „Ökowende“ bei der CDU auf. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe braucht zur Zeit keine ausstehenden Interview-Wünsche zu beklagen. Gegenüber der “Welt” sagte er gestern (30.3.): „Die Kernenergie ist lediglich eine Brückentechnologie ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir wollen keine neuen Kernkraftwerke. Aber wir wollen … auch keinen übereilten Ausstieg wie er von Rot-Grün geplant war. Wir wollen einen Umstieg auf die Erneuerbaren Energien – mit Augenmaß und wirtschaftlichem Sachverstand.“
Dass der Atomkonsens von Rot-Grün ein Einknicken vor den Energiekonzernen war, haben die Linken oft gesagt. Dass sie es wiederholen, ist völlig ok. Dass die Atomenergie keine „Brückentechnologie ins Zeitalter der erneuerbaren Energien“ ist, haben viele von ihnen auch häufig gesagt. Das aber muss fundiert neu erklärt werden angesichts notwendiger Auseinandersetzung mit CDU-(nahen) Kreisen und mit dem Schweigen unter europäischen Linken, auch seitens der Europäischen Linkspartei. Sie könnten von manchen Sozialdemokraten lernen. Einige Zitate aus dem letzten Buch von Hermann Scheer[1] belegen dies und sollten Nachdenklichkeit bewirken: „Bei Brücken zu erneuerbaren Energien muss es sich um kurze Übergänge und Begleitstrategien handeln, die den Weg zum Energiewechsel ebnen und diesen sogar vorantreiben. Zur den Begleitstrategien gehören alle Ansätze zur Förderung des Energiesparens und der Steigerung der Energieeffizienz …“[2] Atomkraftwerke und CCS-Kraftwerke aber seien „Brückensperren“[3], – „Energietechnologisch und nach Effizienzkriterien betrachtet, sind Atom- und Kohlekraftwerke wesentlich komplizierter zu handhaben als erneuerbare Energien; unter dem Gesichtspunkt von Klimaschutz und Energiesicherheit sind sie unnötig, und die sozialen Kosten sind untragbar. Tatsächlich geht es den Stromkonzernen mit Atom und Kohlekraftwerken allein um die Bewahrung bzw. Verlängerung des konventionellen Energiesystems und – bei der Atomenergie in einigen wichtigen Ländern – noch um die ganz andere Frage: Die Rolle als Atomwaffenland oder eines, das sich die Option auf den Besitz von Atomwaffen offenhalten will.“[4]
Auch in Deutschland werden noch immer Atomwaffen gelagert. Dass u. a. den deutschen Atomanlagen „Fehlerfreundlichkeit“ (Christine und Ulrich Weizsäcker) fehlt, ist erwiesen. Und das Drama um Fukushima bestätigt mit allem Schrecken: „Weil nicht passieren darf, was passieren kann, darf eine solche Technik nicht eingesetzt werden, wenn die Folgen außerhalb jeglicher tragbaren menschlichen und wirtschaftlichen Verantwortungsmaßstäbe liegen. Gleiches gilt für das Problem des Atommülls, der seine Gefährlichkeit erst nach hunderttausend Jahren verliert.“[5]
„Wirtschaftlicher Sachverstand“ aber hat in der Logik des Herrn Gröhe nichts mit Gesellschaft zu tun. Die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Nutzung von Atomenergie ziehen seinen wirtschaftlichen Sachverstand in Zweifel. Und er erklärt wider jegliche gesellschaftliche Verantwortung: „Mit den Gewinnen aus der Laufzeitverlängerung die Förderung erneuerbarer Energien zu finanzieren, bleibt eine richtige Idee.“
Das ist sie aber nur, wird ausgehend von den Interessen der Energiekonzerne gedacht. Mit diesen sind die herrschenden Produktions- und Konsumtionsstrukturen unserer Gesellschaft verquickt. Deren führende Akteure kalkulieren ebenso wie die Energiekonzerne mit falschen – da die gesellschaftlichen Reproduktionsaufwendungen (u. a. für Atomenergie) marginalisierenden – Preisen. So spricht Gröhe für einen relevanten Teil des Unternehmerlagers, wenn er „bezahlbare Strompreise für einen wettbewerbsfähigen Industriestandort“ Deutschland mit AKW-Betrieb verbindet.
Andererseits fürchtet auch er – sei es aus Gründen der Wahltaktik – die Atomenergie-Fetischisten um Westerwelle und resümiert: „Für die Energiewende werden alle Parteien an einem Strang ziehen müssen.“
DIE LINKE. muss das gar nicht, denn sie muss eine Energiewende als Herzstück eines sozialökologischen Umbaus wollen. Außer ihr dominieren in allen Bundestags-Parteien die Anhänger von zentralisierten Großkraftwerken im Energiebereich – Stichworte „Desertec“ und „Seatec“ für erneuerbare Energien – und einer Auffassung von „wirtschaftlichem Sachverstand“, die diesen von nachhaltigen Lösungen sozialer, ökologischer und globaler Probleme trennt. An derartigen Lösungen kann letztendlich nur arbeiten, wer selbst bereit ist, „zukunftsfeindliche Energienutzung, grenzenlose Mobilität, die Kultur der chronischen Verfügbarkeit von allem radikal zurückzunehmen“ – anders zu leben.
Die Worte von Harald Welzer aus der FAZ vom 20.3. (Seite 21) werben für Glaubwürdigkeit in der Auseinandersetzung „mit unserer Leitkultur der Verschwendung und Verantwortungslosigkeit“ (ebenda). Dass auch DIE LINKE. ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, zeigen ihre Wahlergebnisse vom letzten Wochenende. Das Diskussionsangebot der Sprecher/innen ihrer AG Wirtschaftspolitik zu linker Wirtschaftskompetenz sollte als eine Chance, daraus zu kommen, angenommen werden.
[1] Hermann Scheer, Der Energethische Imperativ. 100% jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zur realisieren ist, München, 2010
[2] siehe dort, S. 87
[3] siehe dort, S. 88
[4] siehe dort, S. 89-90
[5] siehe dort 91