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Nunmehr hat sich auch der Arbeitskreis Europa der Friedrich-Ebert-Stiftung zu “EU2020” geäußert und mit folgenden Aussagen Realitätssinn bewiesen: a) die EU braucht ein neues „Leitbild …, das sich abwendet von der Dominanz des reinen Wachstumswettbewerbs der auslaufenden Lissabonstrategie“; b) die Europäische Kommission knüpft mit ihrem Vorschlag zur neuen „EU 2020-Strategie“ an die „gescheiterte alte Lissabonstrategie an, anstatt diese kritisch aufzuarbeiten. … So besteht die Gefahr, dass die ökologische Neuorientierung der Kommission in Bezug auf die ‚EU 2020-Strategie’ lediglich instrumentellen Charakter hat … Ein tatsächlicher Paradigmenwechsel von einer kompetitiven Überbietungsstrategie hin zu einer qualitativen Wohlstandsstrategie ist … nicht zu erkennen“;  c) „die ‚Offene Methode der Koordinierung’ (OMK) ist ungeeignet, eine wirkliche Abstimmung zwischen den Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten untereinander … und mit der europäischen Ebene … zu bewirken“; d) „während marktschaffende Politikinstrumente wie die vier Binnenmarktfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht durch ihren Primärrechtsstatus und die Direktwirkung des EU-Rechts quasi Verfassungsrang genießen, müssen Politiken, die europäisch und national auf die Korrektur von Marktergebnissen zielen… in Abhängigkeit von diesen primärrechtlichen Vorgaben formuliert werden“.

Das ist zweifellos interessant. Erst recht, wird bedacht, dass diese Tatsachen wesentlich mit SPD-Regierungspolitik zu tun haben, was im Papier keine Erwähnung findet.

Die Schlussfolgerungen und Vorschläge offenbaren weiteren Realismus, der in Vorschläge mündet, die linke Auseinandersetzung erfordern. Genauer:

1): „Eine funktionierende ‚EU 2020-Strategie’ kann politische Lösungen für die dringlichsten Anliegen der Menschen in der EU – wie etwa die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Erhalt bzw. die Steigerung des Wohlstandsniveaus und die Verhinderung zunehmender Armut – voranbringen, die im nationalen Alleingang durch die einzelnen Mitgliedstaaten gar nicht mehr umsetzbar sind.“

Interessant ist die Umdeutung des Ziels – Armut zu bekämpfen – in vermeiden, dass Armut zunimmt. Auch stellt sich die Frage, was „Steigerung des Wohlstandsniveaus“ bedeutet.

2) „Das Instrument einer integrierten Gesamtstrategie ist auch deswegen der bloßen inkrementellen Aneinanderreihung einzelner Initiativen vorzuziehen, weil nur sie das Gewicht hat, die fortdauernde Marginalisierung der sozialen Dimension der europäischen Integration zu überwinden. Die EU braucht schon deshalb eine ‚EU 2020-Strategie’, um die aus den Fugen geratene Balance zwischen Wirtschaftsinteressen und Belangen sozialer Sicherheit wiederherzustellen.“

Wenn von „Balance wiederherstellen“ die Rede ist, werden dennoch soziale Spaltungen akzeptiert, ökologische Zerstörung und eine Ausbeutung des globalen Südens, den es im FES-Papier nicht gibt.

3) „Die EU braucht keine Wettbewerbsstrategie, sondern eine nachhaltige Wohlstandsstrategie. Sozialer, ökologischer und ökonomischer Fortschritt müssen gleichrangige Leitbilder einer solchen Strategie sein, die Nachhaltigkeit, Beschäftigung sowie soziale Kohäsion ins Zentrum ihrer Bemühungen rückt. Dabei müssen diese Ziele als eigenständige Ziele betrachtet und priorisiert werden. Denn oft genug sind Gute Arbeit, sozialer Fortschritt und ökologische Nachhaltigkeit eben nicht einfach Nebenprodukte steigender Wettbewerbsfähigkeit, sondern müssen erst gegen Verwertungsinteressen erkämpft werden. Wirtschaftswachstum als reine Zuwachsfunktion ökonomischer Messgrößen hat in einem solchen Leitbild lediglich dienende Funktion: Steigert ein Aufschwung die Nachfrage nach Arbeitskräften oder verringert ein höherer Wachstumspfad das Wohlstandsgefälle zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten in der EU, so müssen die Maßnahmen einer nachhaltigen Wohlstandsstrategie dieses Wachstum stärken.“

Aber das heißt de facto eben doch Primat wirtschaftlicher Interessen und unzulängliche Auseinandersetzung mit „Wachstum“.

4) „ … bei der Bewertung der Entwicklung einer Volkswirtschaft sollten neben den unabdingbaren Produktivitätsfortschritten auch andere Wohlstandsfragen, wie etwa die Verbesserung der Qualität von Arbeit, die gerechte Verteilung der Zugewinne aus Produktivitätsfortschritten oder ökologisch nachhaltige Produktions- und Verbrauchsmuster Berücksichtigung finden.“

Es geht also um die Abschwächung von Diskrepanzen zwischen Ökonomischem, Sozialem und Ökologischem, nicht um Schritte zu einer anderem Wirtschaft und Gesellschaft.

5)  „Die Einbindung der Gebiete der sozialen Eingliederung und des Sozialschutzes und eine Kombination mit der OMK könnte deren Verbindlichkeit und Wirksamkeit in den Beschäftigungs- und Sozialpolitiken erheblich steigern … Weitergehende Vorschläge, wie ein Sozialer Stabilitätspakt, der die Sozialausgabenquote der Mitgliedstaaten an die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit knüpft, könnten der Verwirklichung einer sozial-ökologischen Wohlstandsstrategie noch weitergehende Impulse geben.“

„Sozial-ökologisch“ ist nicht überzeugend, denn es fehlt hier das Ökologische.

6) „Auch die Zivilgesellschaft muss wirksam und nach Möglichkeit entscheidungsrelevant in die ‚EU 2020-Strategie’ eingebunden werden. … Denkbar sind hier ein formalisierter Vorschlag zu ihrer Einbindung in die Berichts- und Evaluierungspraxis der Politikkoordinierung auf nationaler wie supranationaler Ebene, die bislang im Ermessen der Ministerial- und EU-Bürokratie liegt.“

Ja, das könnte neue Handlungsräume erschließen.

Ergo: Der FES-Arbeitskreis hat ein interessantes Diskussionsangebot vorgelegt, das konstruktive linke Kritik in zwei Richtungen verdient: Erstens gilt es, Inkonsequenzen aufzuzeigen; zweitens die Diskussion zu führen, wie die genannten Ansätze zur Stärkung sozialer, ökologischer und demokratischer Interessen unterstützt werden können, wie sie in nachhaltige Schritte zu struktureller Rückdrängung sozial und ökologisch zerstörerischer Prozesse, hin zu einer anderen Gesellschaft münden können.



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