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„Die neue Wirtschaftsstrategie muss vor allem auf nachhaltiges Wachstum zielen. Das kann gelingen. Entscheidend ist jedoch, dass die Governance  neu gestaltet wird. Die 2020-Strategie benötigt ein echtes Benchmarking, einen Europäischen Sachverständigenrat und mehr Forschungsmittel im Budget der Europäischen Union“, erklären die Europa-Experten der Bertelsmann-Stiftung unmittelbar vor dem heutigen informellen EU-Gipfel. Sie unterstützen damit eine zunehmend stärker werdende Tendenz im offiziellen EU-Diskurs, die ein „effektives Monitoring, ein echtes Benchmarking und ein verstärktes Verantwortungsgefühl“ für den Erfolg der Lissabon-Nachfolgestrategie einfordert. Dabei ist mit „Erfolg“ vor allem ein Gewinn an globaler Konkurrenzfähigkeit und Gewicht in der internationalen politischen Arena gemeint, weshalb ihre Bilanz der Lissabonstrategie kritisch ausfällt. Neu von „Bertelsmann“ sind die Ideen des „Naming and Praising“, des europäischen Sachverständigenrates, und des F+E-Ausweises von Budgetpositionen. Wären die politischen Ziele gerechte Problemlösungen und das Vorgehen demokratisch und solidarisch, könnten diese Innovationen von links aus nur begrüßt werden.

Sie sollen gemäß “Bertelsmann” das Governance-Problem lösen helfen, denn die Offene Methode der Politikkoordinierung und die Arbeit mit „Best Practices“ litten unter den nationalstaatlichen Strategien und fehlenden Sanktionsmöglichkeiten seitens der Europäischen Kommission. Doch weil das Benchmarking richtig sei und die EU-Mitgliedstaaten sich nicht auf eine stärkere Rolle der Europäischen Kommission in der Überwachung der Agenda-Ziele einlassen wollten, sollen nun „Naming and Praising“ helfen: „Die besten Mitgliedstaaten werden jährlich benannt, gelobt und zudem mit zusätzlichen EU-Mitteln ausgestattet, die sie ausschließlich für die Ziele des EU-2020-Prozesses verwenden dürfen. Damit würde die Lissabon-Nachfolgestrategie zum umgekehrten Stabilitäts- und Wachstumspakt – verbunden mit einem modernen pädagogischen Ansatz. Nicht die Schlechten werden bestraft, sondern die Guten belohnt. Anreize statt Sanktionen ist die Devise.“ Das Europäische Parlament solle sich „als Katalysator für eine breite öffentliche Debatte“ zur EU2020 verstehen. Das Berichtswesen und die Rolle der Europäischen Kommission im Best-Practice-Verfahren würden verändert, denn die Ergebnisse nationalstaatlicher Regierungspolitik werten und bewerten würde ein unabhängiger europäischer Sachverständigenrat – gemäß deutschem Vorbild. „Die Kommission sollte den Staats- und Regierungschefs einen solchen Europäischen Sachverständigenrat initiativ vorschlagen, und als dessen Kernaufgabe die objektive Evaluation der Lissabon-Nachfolgestrategie definieren … In regelmäßigen Evaluationsberichten berichtet der ESVR über den Stand der Umsetzung des EU-2020-Prozesses, bewertet die Beiträge und Fortschritte der einzelnen Mitgliedsländer, und unterbreitet der Kommission Vorschläge zur Umsetzung des ‚Naming and Praising’. … Den Kern des Rates bilden fünf europaweit reputierte Sachverständige, denen ein adäquat ausgestatteter wissenschaftlicher Stab zuarbeitet. Die ‚fünf europäischen Weisen’ sollten bekannte Professoren, Think-Tanker oder akademisch reputierte Einzelpersönlichkeiten sein, die für die wissenschaftliche Qualität und Objektivität der Ratsarbeit stehen und bürgen. Kontrolliert würde der Rat durch ein ‚Board’ bekannter europäischer Persönlichkeiten, das gleichzeitig das Gesicht des Rates für die europäische Öffentlichkeit wäre. Elder Statesmen wären hier ebenso gefragt, wie andere populäre Europäer, die den Ergebnissen des Rates Aufmerksamkeit und Renommee verschaffen können. Um von der hohen Reputation der Europäischen Zentralbank zu profitieren, sollte die Geschäftsstelle des ESVR bei der EZB in Frankfurt a.M. residieren, die gleichzeitig auch logistisch und fachlich zuarbeitet.“

Die Symbolik sagt viel, auch dass zivilgesellschaftliche Akteure nicht genannt werden. Die Funktionen und Kompetenzen von Europäischem Rat, Europäischer Kommission, Europäischem Parlament oder der Staats- und Regierungschefs würden nicht verändert, allerdings Analyse und Bewertung objektiviert.

Objektivierung und  Orientierung auf gesteigerte Konkurrenzfähigkeit gehen sehr wohl zusammen. Beide brauchen spezifische Forschung, wofür in der EU zu wenig Geld ausgegeben und viel zu wenig getan würde, nationalstaatlich und EU-weit. Daher solle „für jeden geeigneten Einzelposten im EU-Budget ein fester Prozentsatz an Forschungsmitteln festgelegt“ werden.

Damit würde auch den Bürger/innen und Sozialpartner/innen Konkurrenzfähigkeit als gemeinsame vorrangige Priorität regierender und EU-Politik demonstriert. Schließlich hänge der Erfolg der neuen Strategie wesentlich von ihnen ab. „Die EU-2020-Strategie muss den Europäern klar machen, dass es jetzt darum geht, der Welt zu zeigen, wie auf kreative Weise qualitatives Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, sozialer Ausgleich und Nachhaltigkeit zusammengebracht werden können. Die Zeiten schnöden Wachstumsdenkens sind vorüber. Die Europäer wollen eine gesellschaftliche Fortschrittsagenda, deren Ziel eine soziale Marktwirtschaft für Europa ist. Genau daran muss ‚EU 2020’ arbeiten“ und sie droht, sozial und ökologisch zerstörerische Prozesse weiter zu forcieren.

2 Responses to “Bertelsmann-Stiftung for new governance (5. Folge zu EU2020)”

  1. Vorab: Ich bin Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung und einer der Mitautoren der ziterten Studie …
    Zum Kommentar unserer Vorschläge nur die folgende Ergänzung: Bezgl. der Bedeutung demokratischer Partizipation und zivilgesellschaftlicher Beteiligung in der Europapolitik stimme ich dem Tenor Ihres Kommentars vollständig zu. Wie wichtig für uns neue Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements für Europa sind, zeigt unser “BürgerForum Europa”, mit dem wir eine solche neue Form europapolitischer Bürgerbeteiligung entwickelt und ausprobiert haben. Die Erfahrungen damit waren mehr als spannend und ermutigend. Das dort erarbeitete “BürgerProgramm Europa” ist in vielen Aspekten integrationsfreundlicher und -mutiger als unsere Europapolitik, und eine interssante Agenda für die Post-Lissabon-Phase der EU. Wer sich selbst davon überzeugen mag, findet das Programm und weitere Infos zum BürgerForum auf: www.buergerforum2009.de
    Besten Gruß,
    Robert Vehrkamp

  2. Judith Dellheim sagt:

    Vielen Dank für die Anmerkung und den Link. Mir schien, dass die Bertelsmann-Stiftung in letzter Zeit der BürgerInnenbeteiligung nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zukommen lässt wie noch vor einigen Monaten. Das kann eine falsche Wahrnehmung sein.
    Mich interessiert an der BürgerInnenbeteiligung insgesamt und insbesondere an der europäischen, ob und wie Menschen darüber Identitäten und Solidarität – vor allem mit den sozial Schwächsten – entwickeln. Ergo: europäische BürgerInnenbeteiligung als Aneignung der Probleme anderer, insbesondere Schwächerer, und als Ausprägung europäischer Identität und was bedeutet das für die Verhältnisse zwischen den Menschen?
    Beste Grüße
    Judith Dellheim

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