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Seit Mitte November gibt es Bewegung in der offiziellen EU-Debatte, sogar interessante Ideen. Allerdings bleiben hier die wirklich innovativen, auf gerechte Problemlösungen orientierten Vorschläge von sozial und ökologisch Engagierten eher außen vor. Regierende und Verwaltende nehmen bevorzugt zur Kenntnis, was mit globaler Konkurrenzfähigkeit und eigener Sicherheit zu tun hat.

“… in zehn bis zwanzig Jahren muss Europa mit neuen ökonomischen Supermächten konkurrieren, die auch politische Ansprüche stellen. Und da werden wir keine gleichberechtigte Rolle spielen können, wenn wir zum Beispiel in den internationalen Steuerungs- und Koordinationsgremien, etwa im Internationalen Währungsfonds oder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, nicht als Europäische Union vertreten sind und somit nicht mit einer Stimme reden können.“ So urteilt z. B. Günter Verheugen, der nach 10jährigem Amt in der Europäischen Kommission dieses Wirkungsfeld nunmehr verlässt und mit Spannung auf den morgen stattfindenden informellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs „zur Lage der Europäischen Union“ blickt. An dessen Vorabend wollen heute auch die EU-Experten der Bertelsmann-Stiftung ein Strategiepapier vorstellen. Der inoffizielle Gipfel geht auf eine Initiative von Herman van Rompuy zurück, den Vorsitzenden des Europäischen Rats.

„Aus den Anschlägen des 11. September und der Finanzkrise von September 2008 ist eine neue Weltordnung entstanden, die erbarmungslos für die (überholten) nationalen Illusionen der meisten EU-Mitgliedsländer ist“, schreibt nun Guy Verhofstadt, Vorsitzender der ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament, an van Rompuy. Er verweist darauf, dass das erwartete Wirtschaftswachstum der Eurozone für 2010 nur 0,9 % des BIP beträgt, während das für China 10 %, für Indien 7 %, für Brasilien 4,8 % und für die USA 4,4 % erreicht. „Spätestens 2050 besteht die G7 nicht mehr länger aus den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada sondern aus China, Indien, Brasilien, Russland, Mexiko, Indonesien und den USA …
Die sogenannte Lissabon-Strategie sollte die EU zum ‚wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt’ machen. Dieses Ziel wurde nur unzureichend erreicht. Wir haben, um nur ein Beispiel zu geben, unseren Rückstand bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung in keiner Weise aufgeholt.“ Fürwahr: die EU bleibt bei 1,77 % ihres BIP, während Japan 3,39 % und die USA 2,66 % investieren. Als wesentlichen Grund dafür sieht Verhofstadt die viel zu unverbindliche Methode der offenen Koordinierung an, die Dominanz nationalstaatlicher Wirtschaftsstrategien. „Europas Wirtschaft wird nicht als Gesamtheit angesehen“, insbesondere nicht bei Reformen der Arbeitsmärkte und der sozialen Sicherungssysteme. „Nur eine umfassende sozialwirtschaftliche Steuerung für die Union kann die Wirtschaft Europas auf den Weg hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Wachstum zurückbringen.
Natürlich gilt dies noch mehr für die Eurozone, in der die beteiligten Länder durch eine gemeinsame Währung unauflösbar miteinander verbunden sind.“

Was das unter den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen bedeutet ist klar: Stärkung von Kapitalpositionen. Und genau das will Verhofstadt und noch mehr: „Was es auch sei, ob es um Haiti geht, um Griechenland oder um den dramatischen Verlauf von Kopenhagen – der Grund für das Misslingen ist immer derselbe: Die einzelnen Länder der EU behalten die Fäden in der Hand, und Europa besitzt weder die Macht noch die Instrumente, um einen einstimmigen Ansatz möglich zu machen, geschweige denn sie durchzusetzen. In der Tragödie, die Haiti trifft, waren die einzelnen Mitgliedsländer sehr großzügig. Das ist gut, dennoch wäre ein ‚EU-Fast’, also gemeinschaftliche europäische humanitäre Einsatzkräfte, sehr viel schneller und effizienter gewesen. Die Idee einer europäischen Koordinierung der europäischen Zivilschutzkräfte in den Mitgliedstaaten ist nicht neu. … Aber 2003 wie auch 2006 gab es Mitgliedstaaten, die ein solches ‚EU-Fast’ oder ein ‚Europe Aid’, wie es in Barniers Bericht genannt wurde, nicht wollten – offiziell, weil sie gegen die Einbeziehung militärischer Mittel in zivile Projekte waren. In Wirklichkeit bewahren sie, indem sie diese Hilfe in den eigenen Händen behalten, die Illusion, dass sie Einfluss und Prestige in den betroffenen Ländern und in den spezialisierten internationalen Einrichtungen bewahren.“

Die Problemlage ist deutlich: Wer, um die eigenen Interessen zu realisieren, den globalen Akteur EU braucht, muss an mehr nach innen und außen repräsentierter und realisierter Einheitlichkeit interessiert sein. Diese Einheitlichkeit aber kann nicht die Gemeinsamkeit mit den Interessen der sozial und ökologisch Sensibilisierten sein, die solidarisch mit den sozial Schwächsten und Schwachen sein wollen. Es geht Verhofstadt und Co. um Gemeinsamkeit unter Herrschenden mit weiterem Blick und längerfristigem Interesse. Da sind Repressionen und Militarisierung selbstverständlich.

Das sollte wissen, wer von links aus nach einer europäischen Wirtschaftsregierung ruft. Wer linke Politik betreiben will, muss Interessen analysieren und die Frage diskutieren, wie Menschen mobilisiert werden können, sich die Interessen Schwächerer und künftiger Generationen anzueignen und dafür einzutreten, dass die erweiterten eigenen Interessen verwirklicht werden.

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