Feed on
Posts
Comments

Hurrelmann_GenerationY_K1_140312.inddNach den Babyboomern (geboren 1955-1970) und der Generation X (geboren 1970-1985) hat das Feuilleton und die Jugendsoziologie nun die Generation Y ausgerufen. Diese Generation der derzeit ungefähr 18-30 Jährigen stellen der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann (geb. 1944) und der halb so alte Journalist Erik Albrecht in ihrem Buch vor. Sie werten vor allem Literatur bzw. bereits vorliegende Studien und Umfragen aus, Albrecht hat wohl auch Interviews geführt.

Quantitativ umfasst diese Generation ca. 12 Millionen Personen, also 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, während die Babyboomer eineinhalb Mal so viele sind (der Peak war 1964, in diesem Jahr gab es 1,4 Millionen Geburten). Die Anzahl der über 65-Jährigen beträgt heute über 20 Millionen, ebenso die der unter 20-Jährigen. Die geringe Anzahl der Angehörigen der Y-er-Kohorte und ihr derzeitiger geringer Einfluss darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, so eine der zentralen Thesen des Buches, dass diese Generation auch irgendwann (verspätet) die Geschicke Deutschland entscheidend prägen wird. Zweitens, und weit wichtiger, werden die Bedürfnisse und Vorstellungen dieser Generation Bildung, Freizeit, Politik und vor allem Familie, Beruf und die gesamte Arbeitswelt verändern. Nicht zuletzt ist und war die Jugend schon immer ein Seismograph für anstehende Veränderungen.

Die Generation Y ist frühreif bei Medien, Konsum und Freizeit, und aufgrund der prekären ökonomischen Rahmenbedingungen und wegen ihrer eigenen Wünsche bei Beruf und Familiengründung so spät dran, wie noch keine Generation vor ihr. In sich ist sie heterogen, viele sind auch durchaus sehr egoistisch. Die beiden Autoren untergliedern in 30 Prozent egozentrische Leistungselite, weitere 30 Prozent pragmatische IdealistInnen, weitere 20 Prozent „robuste MaterialistInnen“ und die restlichen beschreiben sie als zögerlich, unauffällig, wenn nicht resignierte Teilkohorte.

Alle Y-er stünden, jenseits von individuellen Prägungen durch Herkunft und Erziehung, vor vielen persönlichen und gesellschaftlichen Paradoxa. So sei vielen unklar, wann man erwachsen wird und vor allem, an was man das dann merken würde. Für viele sei es nahezu unmöglich geworden, nicht so zu werden, wie die eigenen Eltern, zumal diese in den wohlhabenden Schichten eh als Vorbilder angesehen werden. Oder es sei allerorten vom noch ansteigenden Fachkräftemangel die Rede, während doch konkret überall an Bildung gespart werden.

Aus der politischen und gesellschaftlichen Realität, die im bisherigen Leben der Y-er durchgängig von Krisen, angefangen von 9/11, über diverse Kriege, die Finanzkrise bis zu Fukushima geprägt war, ziehen diese bemerkenswerte Konsequenzen: „Nichts ist mehr sicher. Aber es geht immer irgendwie weiter“. Es ist permanent Krise, also warum sich aufregen, außerdem ist jene meist anderswo, oder dort zumindest schlimmer.

So werden diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu „Egotaktikern“. Sie haben erfahren, dass in ihrem Leben wenig planbar ist, ja wollen sich vielleicht oftmals auch (noch) gar nicht festlegen. Sie erfassen schnell und mit bemerkenswert hoher Sensibilität die Situation. Dann handeln sie so, dass sie möglichst viel Gewinn für sich selbst daraus haben, und sich gleichzeitig noch möglichst viele weitere Optionen offen halten. Sie setzen angesichts der Höhe ihrer erwartbaren Rente notgedrungen auf (lebenslanges) Lernen, Netzwerken und Flexibilität, während sie sich gleichzeitig im Hier und Jetzt stark an formalen Abschlüssen ausrichten. Sie wollen Beteiligung und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sie wollen Nutzenmaximierung und Stressreduktion, wollen Sicherheit und Genuss, sie verausgaben sich, ja müssen dies vielleicht oftmals und wollen doch gleichzeitig entschleunigt und gesund leben, und grade die Männer, auch Zeit für ihre Kinder haben.

Wer kann ihnen dieses immanent-widersprüchliche auch verdenken, addiert man noch die Mega-Trends des absehbaren Endes der Ressourcen oder zumindest des Wachstumswahns und den ja schon laufenden kompletten Umbau des Generationenvertrages hinzu? Dies kann einzelne nur überfordern: Kollektives, womöglich auf Dauer gestelltes Handeln ist- im völligen Gegensatz zu den Babyboomern und den vorhergehenden 68ern (geboren 1940-1955) – nicht vorgesehen. Diese Generation, und das ist für emanzipatorische Politik oder Bildungsarbeit wichtig, nimmt die traditionellen Parteien nicht ernst und diese erreichen jene auch nicht.

Spannend dürfte der Fortgang in der Arbeitswelt werden (vgl. Parment 2013). Die Y-er haben Ansprüche an Arbeitgeber, die müssen angesichts des Fachkräftemangels reagieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Prognose bewahrheitet, die Debatte um die Zunahme berufsbedingter psychischer Krankheiten deutet eher in eine andere Richtung.

Das Buch genügt sicher nicht strengen materialistischen Kriterien: So wird etwa das Verhältnis von Kontinuität und Bruch nicht näher untersucht (gab es auch nicht früher generationenprägende Krisen oder schlicht: Neues?). Was ist mit der Bedeutung von Eliten und ihrer Reproduktion? Hurrelmann/Albrecht nennen die Y-er „heimliche Revolutionäre“. Es bleibt jedoch zu unklar, inwiefern der von ihnen konstatierte Wandel über das normale Maß an kultureller Innovation hinausgeht. Wer etwas über das Leben und damit auch die politische Kultur der Bundesrepublik erfahren will, dem und der sei die Lektüre dieses ansprechend komponierten und flüssig geschriebenen Buches jedoch dringend empfohlen.

Bernd Hüttner

Erik Albrecht/Klaus Hurrelmann: Die heimlichen Revolutionäre: Wie die Generation Y unsere Welt verändert; Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2014, 255 Seiten, 18,95 EUR

Anders Parment: Die Generation Y: Mitarbeiter der Zukunft motivieren, integrieren, führen; Gabler Verlag, Wiesbaden 2013, 169 Seiten, 44,99 EUR

One Response to “Pragmatische Egotaktiker mit Statusinkonsistenz: Die Generation Y”

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline