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Am 8. Und 9. Dezember fand in Brüssel ein Workshop des Netzwerkes transform! zu den Herausforderungen der gegenwärtigen Krise in der EU statt. Der Zeitpunkt erwies sich als gut gewählt. Gerade hatten Merkel und Sarkozy ihre Vorstellungen von einer künftigen EU deutlich skizziert. Diese Skizze ist nicht besonders erhebend. Geht es doch um ein autoritäres Staatssurrogat ohne greifbare demokratische Legitimation. Und gerade haben 26 Regierungen beschlossen, sich ein Zwangsregime zu verordnen, das die Umverteilung von unten nach oben zur Staatsdoktrin erhebt – die 27. Regierung hat dem nur nicht zugestimmt, weil ihr die Umverteilungsdynamik nicht weit genug ging. Großbritannien ging es allein um die Privilegierung der dort beheimateten Finanzwirtschaft – die Beschlüsse bedeuten für Cameron einfach, dass nicht genug Kapital nach London fließt.

Die Diskussion auf dem Workshop bewegte sich dementsprechend zwischen Kritik an den Wegen der in der Krise beschritten wurden und den anstehenden Veränderungen in der EU auf der einen Seite und der Frage nach tragfähigen Strategien der Linken auf der anderen Seite. Natürlich konnte die zweite Frage nicht erschöpfend beantwortet werden. Das war auch nicht Ziel des Workshops. Es ging vielmehr darum, die zentralen Handlungsfelder zu prüfen und die politisch-konzeptionellen wie auch theoretischen Fragestellungen auf ihre Problemadäquatheit zu überprüfen.

Inzwischen ist es weit über das linke politische Feld hin Konsens, dass die weltweit beschrittenen Wege der Krisenbekämpfung jeweils zu einer unmittelbaren Vertiefung der Krise geführt haben. Die kurzen Atempausen wurden nicht genutzt, um krisenauslösende Faktoren ernsthaft anzugehen, schon gar nicht die Frage der Überakkumulation in bestimmten Bereichen zu lösen und einen den globalen Herausforderungen entsprechenden Konversionsprozess einzuleiten. Daran ändern auch die jüngsten Gipfelbeschlüsse nichts. Diese offensichtliche gegenseitige Blockade verschiedener Interessen wäre zu beschreiben und auf seine Konsequenzen für alternative Strategien hin zu analysieren. In zwei entscheidenden Punkten ist die linke Debatte nicht vorangekommen – wir wissen nicht genau, wer wir eigentlich sind, noch wissen wir genau, wer eigentlich die Kontrahenten sind. Die Finanzialisierung hat die Konsequenzen jeglicher Lösungswege in einen diffusen Raum verlagert, in dem jegliche Regulierungen oder Schuldenschnitte in ihren Folgen über den Erdball und über die Breite des sozialen Spektrums hinweg gestreut werden. Zentral dabei sind die Privatisierungen und die damit verbundenen Zwänge zur privaten Absicherung für das Alter. Dieser Zwang füttert die Finanzmärkte und schafft Angst und (wenn auch) widerwillige Akzeptanz seiner Bewegungen. Das neue Zwangs- und Angstregime der EU versucht, diese widerwillige Akzeptanz zu stabilisieren und notfalls repressiv durchzusetzen.

So ist es verständlich, dass alternative institutionelle Vorschläge einen breiten Raum der Diskussion einnahmen. Veränderungen der Rolle der EZB, Demokratisierung der Entscheidungsprozesse in der EU, Schaffung eines öffentlichen Banksystems sind dabei ja bereits bekannte Standards.

In der Diskussion wurde angemerkt, dass wir ja die richtigen Konzepte in großer Zahl hätten, allein deren Akzeptanz bei den Massen fehle. Allerdings kann man die Frage auch anders herum formulieren – wenn unsere Konzepte und Vorschläge von breiten Massen nicht akzeptiert werden – vielleicht sind sie dann nicht der Situation entsprechend, also in diesem Moment falsch? Denn eine abstrakte Wahrheit dürfte es nicht geben. Vorschläge, die unter bestimmten Umständen richtig sind, können unter anderen Umständen falsch sein. Die massive Betonung der praktischen Wirkungslosigkeit von Vorschlägen, die abstrakt gesehen von vielen Menschen geteilt werden (z.B. die Vergesellschaftung der Banken), sollte dazu anregen, die Vorschläge selbst mit großer Ernsthaftigkeit auf ihre Realisierungsbedingungen hin zu befragen. Es zeigt sich, dass diese Bedingungen viel stärker zum Ausgangspunkt der Strategiebildung selbst gemacht werden müssen. Rosa Luxemburg beschrieb dies einmal mit der Forderung, in der Politik mit lebendigen Kräfteverhältnissen zu rechnen und nicht Wunschkataloge abarbeiten zu wollen. Prinzipienfestigkeit ohne die Fähigkeit, diese Prinzipien in Relation zu den lebendigen Kräfteverhältnissen zu stellen und davon ausgehend Teilschritte zu bestimmen, entwertet Prinzipien. Wenn also im Finanzsektor auch Öffentlich vor Privat gehen soll, was heißt das dann für die Gestaltung dieses Öffentlichen – zumal wenn man aus einer gesellschaftlichen Minderheitenposition agieren muss? Wie und wo kann man Entscheidungsprozesse tatsächlich in diesem Sinne beeinflussen? Das funktioniert vor allem parlamentarisch auf der kommunalen Ebene und außerparlamentarisch durch massenhaften Protest. Es geht nicht um ein bloßes zeitliches Zusammenfallen, sondern um eine gegenseitige Verstärkung beider Seiten linker Politik. Real stehen sich aber beide Bereiche nach wie vor relativ fremd gegenüber. Nehmen wir wieder Bezug auf die Krisenproblematik wäre eine Verknüpfung beider Seiten in der Deprivatisierung und öffentlichen Aneignung des öffentlichen Eigentums ein wichtiges vermittelndes Element zwischen diesen Welten. Gleiches gilt in noch höherem Maße für Bürgerhaushalte, die an dem Hauptfeld gegenwärtiger Auseinandersetzungen, die Haushaltspolitik, ansetzen könnten. Nur fundiert durch starken außerparlamentarischen Druck kann etwa eine Kommunalfraktion gerade auf haushaltspolitischem Gebiet in den Konflikt mit Aufsichtsbehören und anderen Kraktionen gehen – sie muss es dann aber auch wollen. Nur in einer solchen Konstellation erhalten auch Forderungen, wie „die Banken aus dem Markt zu nehmen“ irgend einen Sinn.

Der Workshop sparte diese vermittelnden Momente weitgehend aus. Statt der Bürgerhaushalte wurde lediglich ein Schuldenaudit angesprochen, mit dem „illegitime Staatsschulden“ identifiziert werden sollten. Beides muss kein Gegensatz sein – aber das eine ohne das andere ist wirkungslos.

Es ist ein großes Verdienst des Workshops, derartige Schwächen linker Strategiebildung deutlich werden zu lassen. Angesichts der konzertierten Politik fast aller EU-Mitgliedsstaaten, wie sie auf dem Gipfel vereinbart wurde, muss wieder neu gedacht werden. Die Internationale von Oben ist begründet und hat ihre Instrumente geschaffen und schafft sich neue. Angesichts dieser Situation ist das massenhafte Nein der entscheidende Ausgangspunkt für jegliche Linke Politik. Dieses Nein muss sich im Protest auf der Straße, genauso aber in der gestaltenden Politik in Kommunen niederschlagen. Ein wichtiger Vorschlag auf dem Workshop war, den Austausch von Erfahrungen zwischen Linken der verschiedenen Länder durch Veranstaltungsreihen auf der „untersten Ebene“ zu aktivieren. Gerade organisierte die Nicos Poulantzas Gesellschaft aus Griechenland eine entsprechende Reihe gemeinsam mit der rls in Deutschland.

Mit den Gipfelbeschlüssen haben alle Regierungen den sozialen Frieden gekündigt. Sie hätten das nicht tun müssen. Damit haben sich Bedingungen grundlegend geändert. Die Karten sind neu gemischt.

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