sind die „Gewinner des EU-Emissionshandels“. Das beweist erneut und neu die britische Umweltschutzorganisation “Sandbag Climate Campaign“. Sie hat in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem BUND die Studie „Der Klimagoldesel: Wer sind die Gewinner des EU-Emissionshandels“ veröffentlicht. Dass dieser den Kampf gegen die globale Erwärmung erschwert und die Finanzkrise befördert, wurde schon mehrfach bewiesen. Allerdings wurden noch nie so fundiert die größten Profiteure des Emissionshandelssystems in Deutschland entlarvt. Dafür kann und sollte den Autoren sehr gedankt werden. Sie zeigen, dass ThyssenKrupp, die Salzgitter-AG, der Zementhersteller Lhoist, BASF und andere große Unternehmen der Stahl-, Zement-, und Chemieindustrie mit dem Emissionshandel „ein Millionending drehen“.
Allein die zehn größten Profiteure des Emissionshandels verfügen über 60,2 Millionen überschüssige Emissionszertifikate. Das entspricht fast der Menge an Treibhausgasen, die Schweden jährlich ausstößt. Dieser Überschuss hat einen geschätzten Gesamtwert von 782 Millionen Euro – bei einem durchschnittlichen Zertifikatepreis von etwa 13 Euro. Die Liste der Top Ten wird angeführt von ThyssenKrupp mit überschüssigen Zertifikaten im Wert von über 250 Millionen Euro“, heißt es auf der Website des BUND.
Gegen die sozial und ökologisch verheerenden Praktiken dieses Konzerns in Lateinamerika mobilisieren Menschenrechtler/innen, Klima- und Umweltschützer/innen. Dazu sagt die Studie leider nichts. Die Finanzmärkte, auf denen die Emissionshandel-Winner aktiv sind, blendet Sandbag leider ebenfalls aus. Dabei offenbart manche Analyse, dass Umweltverschmutzung, Finanzmärkte und Kohlenstoffmärkte verquickt und in konkreten Konzernen verdichtet sind. Und dennoch sollten Linke die Studie nicht „nur“ lesen, sondern auch öffentlich diskutieren und für strategische Arbeit nutzen.
Die Studie kritisiert Regierungshandeln in Deutschland und in der Europäischen Union: Die EU kontrolliert die Hälfte ihrer CO2 Emissionen durch das Emissionshandelssystem EU ETS. Dies könne nicht recht funktionieren, weil anfangs Emissionszertifikate im Wert von mehreren Billionen Euro unentgeltlich an die größten Verschmutzer verteilt worden seien, wofür der Begriff „grandfathering“ gebraucht würde (Studie S. 5). Die Regierungen, darunter die Bundesregierung, haben festgelegt, wem sie welche Verschmutzungsrechte zuteilen wollen, wobei die einzelnen Länder Vorschläge durch EU-Institutionen genehmigen lassen mussten.
Die Festlegungen und Vorschläge gingen in der Regel vom Primat der Konkurrenzfähigkeit der eigenen Unternehmen aus. So entschied sich Deutschland für die Strategie, seine Schwerindustrie mit großzügigen Zuteilungen von Emissionszertifikaten zu erfreuen. Der Energiesektor erhielt ein vergleichsweise geringes Gutschriften-Kontingent. Dennoch sind unter den Top Ten auf den Plätzen 7 und 8 zwei staatliche Energieversorger: die Stadtwerke München und Trianel. Das zum Thema „Verstaatlichung der Energieunternehmen als Problemlösung“ …
Die mit den zugeteilten Emissionszertifikaten beglückten Unternehmen profitierten also von protektionistischen Maßnahmen einer Regierung, die sonst jeglichen Protektionismus geißelt. Diese Unternehmen werden durch den BUND und Sandbag „Klimanutznießer“ genannt. Für sie ist das EU ETS eine zusätzliche Einnahmequelle. „Das Flagschiff der EU-Klimapolitik und seine Mechanismen entpuppen sich als Klimagoldesel“. (Sandbag, S. 6)
Die Top Ten sind: ThyssenKrupp, ArcelorMittal, Salzgitter, Dillinger Hütte, Lhoist, BASF, Stadtwerke München, Trianel, Dow Chemical, Royal Dutch Shell. Die
kostenlosen Zuteilungen bewahrten Unternehmen bisher vor der Notwendigkeit, aktiv ihre Emissionen zu reduzieren und stellten sogar eine mögliche Einkommensquelle dar. Dies half auch dabei, Produktionsverluste während der Rezession sowie gestiegene Strompreise zu kompensieren.“ (Sandbag, S. 7). Damit widerlegt Sanbag z. B. den Präsidenten der Wirtschaftsvereinigung Stahl, der da sagt: “Schon heute zahlen die Stahlerzeuger erhebliche CO2-Aufschläge auf den Strompreis”. (ebenda)
Die Studie bleibt nicht bei den Top Ten, sondern deckt auf: Die Mehrheit der Industriesektoren verfügt über einen Überschuss an Emissionszertifikaten, insbesondere die Klimakiller der Eisen-, Stahl-, Zement- und Chemieindustrie. Dem Energiesektor mangelt es an Zertifikaten und so fungieren seine Unternehmen als Hauptkäufer im Emissionshandel. So wird garantiert, dass der Emissionspreis positiv ist.
Die meisten Energiekonzerne kaufen Zertifikate, um den Anforderungen des ETS zu entsprechen, und geben die Kosten dafür an die Verbraucher weiter. Somit liegt nahe, dass die Deutschen unwissentlich die mit Überschüssen versorgten Industriesektoren subventionieren, welche ihre überschüssigen Zertifikate einfach gewinnbringend abstoßen können, ohne selbst in Emissionsreduktion zu investieren.“ (ebenda, S. 7).
Da die Teilnehmer am ETS von registrierten Projekten in Entwicklungsländern im Vergleich zum EU-Emissionshandel billigere Emissionsgutschriften kaufen können, kommt ein weiteres Problem hinzu: Neun der zehn Klimanutznießer verwenden billigere Emissionsgutschriften dafür, unterhalb der Deckelung zu bleiben. Sie sparen die teueren EU-Zertifikate oder verkaufen sie profitabel (Sandbag, S. 8). Sie setzen also Zertifikate zur Steigerung eigener Konkurrenzfähigkeit ein, nutzen und mehren die Finanzmärkte, destabilisieren Wirtschaftsleben und untergraben den ideologisch gepriesenen „freien Wettbewerb”, denn: Die internationalen Emissionsgutschriften stammen meist aus Industriegasprojekten in Indien und China, aber eben auch aus Projekten in Industrien, die mit dem ETS unterliegenden Firmen konkurrieren.
Die Klimanutznießer haben auf diese Weise 20,6 Millionen internationale Emissionsgutschriften mit einem geschätzten Wert von 247,1 Millionen Euro verwendet … 70% dieser Gutschriften stammen aus Indien und China, während 7,1 % aus EU-Mitgliedsländern kommen … Die Klimanutznießer gaben 5,8 Millionen Euro für Emissionsgutschriften von direkten internationalen Konkurrenten aus Indien und China aus … 2,2 % dieser Gutschriften kamen aus deutschen JI Ausgleichsprojekten[1].“ (Sandbag, S. 8)
Ein Grund mehr, sich – wie Sandbag und der BUND fordern – intensiver mit der Problematik zu befassen.
Traurigerweise ist in der jetzigen Phase wenig an den sich bei den Klimanutznießern anhäufenden Überschüssen zu ändern. Um einen „Kater“ („hangover effect“) nach dem Rausch der vielen überschüssigen Zertifikate zu vermeiden, empfehlen wir folgende Maßnahmen: 1. Engagement für das EU ETS … ; 2. Deutschland fordert die EU auf, sich zu einem Emissionsreduktionsziel von 30 % zu bekennen …; 3. Unterstützung von ‚Zertifikatsstilllegung’ …; 4. Umsichtigen Gebrauch von Emissionsgutschriften …“ (ebenda, S. 8-9).
Das macht in der parlamentarischen und Verwaltungsarbeit durchaus Sinn: aber das ETS begünstigt nun einmal von seiner Konstruktion her die ökonomisch Stärkeren, was für die Menschen und das Klima gar nicht gut ist. Die Linken in den Parlamenten und Verwaltungen können daran (gegenwärtig) nichts ändern. Also bleibt die Diskussion der Frage, wie sie dennoch etwas mit den Bevölkerungsmehrheiten und insbesondere den sozial Schwachen in deren Interesse und für die natürlichen Lebensbedingungen tun können. Da kommen die Linken an den Fragen nach sozialen, ökologischen und demokratischen Standards, Einflussnahme auf öffentliche Finanzen nicht herum. Die Bedingungen, um entsprechend gesellschaftspolitische Kräfteverhältnisse verändern zu können, werden vor allem vor Ort, in der Kommune und Region geschaffen oder eben nicht.
In diesem Sinne sollte die Sandbag-Studie wirklich gründlich ausgebeutet werden.
[1] „Die so genannten nationalen Ausgleichsprojekte (domestic offset projects oder national projects) sind ein neuer Mechanismus … Nationale Ausgleichsprojekte können als eine Art “unilaterale JI-Projekte” angesehen werden: Auch sie generieren Emissionszertifikate, jedoch wird die Projektaktivität im jeweiligen Investorland, also ohne Beteiligung eines anderen Landes, durchgeführt. … JI sind im Kyoto-Protokoll niedergelegt und entsprechend sind die generierten Zertifikate international handel- und verwendbar. Die Fragen, welche Klimaschutzprojekte zulässig sind und wie viele Emissionszertifikate generiert werden, werden durch das Völkerrecht (Kyoto-Protokoll und Beschlüsse der Vertragsparteien), das EU-Recht (Ergänzungsrichtlinie) sowie nationales Recht (ProMechG) geregelt. Nationale Ausgleichsprojekte würden hingegen alleine auf EU-Recht bzw. nationalem Recht beruhen. In welchem Rahmen die generierten Zertifikate verwertbar wären, hinge von der konkreten Ausgestaltung ab.“ (www.jiko-bmu.de/basisinformationen/einfuehrung_cdm_und_ji/besondere_projektarten/nationale_ausgleichsprojekte/doc/154.php)
[…] Keinen Platz allerdings im Leitmedium grüner Männerphantasien bekommt die Kritik an derartigen Inwertsetzungsszenarien, wie sie spätestens seit dem weltweiten Handel von CO2-Zertifikaten wohl ausformuliert ist und […]