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Am 17.6.2010 war es soweit: Der Europäische Rat hat die Fortsetzung der Lissabonstrategie beschlossen, „die neue Strategie der Europäischen Union für Beschäftigung und intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“. Mit der Debatte, die über Monate hinweg im Blog begleitet wurde, haben sich zwei Tendenzen weiter verstärkt: Die Interessen „der Wirtschaft“ und der Wohlhabenden haben trotz Eingriffe in die Finanzmärkte insgesamt weiter an Gewicht gewonnen. Dabei wurden sogar soziale und ökologische Vorhaben der Europäischen Kommission geopfert, vor allem die Ziele zur Armutsbekämpfung. Es wird auf mehr wirtschaftliche Überwachung und Steuerung gesetzt und zugleich auf Strukturreformen, die das Gewicht der besser funktionierenden Märkte im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben erhöhen sollen – „Die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung stellt … eine wesentliche und dringende Priorität dar.“ Und so heißt es: „Die Strategie wird Europa dabei helfen, die Krise zu überwinden und gestärkt aus ihr hervorzugehen, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit, die Produktivität, das Wachstumspotenzial, den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Konvergenz stimuliert. Mit der neuen Strategie wird auf die Herausforderung einer Neuausrichtung der Politik reagiert – weg von der Krisenbewältigung, hin zur Einführung mittel- bis längerfristiger Reformen, mit denen Wachstum und Beschäftigung gefördert werden und die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, unter anderem durch die Reform der Altersversorgungssysteme, gewährleistet wird.“

Die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme aber ist eine Ursache der Finanzkrise. Gegen diese sollen gemäß Regierungsdenken nun Überwachung und makroökonomische Steuerung helfen.

Jubelnd geht es weiter: „Alle Mitgliedstaaten sind bereit, erforderlichenfalls zusätzliche Maßnahmen zur Beschleunigung der Haushaltskonsolidierung zu ergreifen. Dabei sollte wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierungsstrategien, bei denen vor allem Zurückhaltung bei den Ausgaben im Mittelpunkt steht, Vorrang eingeräumt werden.“ Damit ist klar, wofür das Geld nicht reicht: Für Sozialausgaben, für die Entwicklungshilfe und den Umwelt/Klimaschutz. Im EU-Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung klingt es lapidar und im Widerspruch zum Kommissionsvorschlag: „Die soziale Eingliederung soll insbesondere durch die Verminderung der Armut gefördert werden, wobei angestrebt wird, mindestens 20 Millionen Menschen vor dem Risiko der Armut oder der Ausgrenzung zu bewahren. … wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, ihre nationalen Ziele auf der Grundlage der am besten geeigneten Indikatoren und unter Berücksichtigung ihrer nationalen Gegebenheiten und Prioritäten festzulegen.“ Damit ist die vereinbarte Armutsgrenze von 60% der durchschnittlichen Einkommen entsorgt. Brutal folgerichtig gibt es auch keine konkrete Verpflichtung, um die Lage der global Schwächsten zu verbessern, und man erklärt angesichts eigener Rückstände bei der konzipierten Hilfe und der wachsenden Probleme nur: „Die Europäische Union ist weiterhin entschlossen, dazu beizutragen, dass die Millenniums-Entwicklungsziele bis 2015 auf der ganzen Welt erreicht werden.“ Das werden sie nie und nimmer.

Und ebenso konsequent verantwortungslos äußert man sich weiterhin zur Klimaproblematik: „Die EU sagt zu, einen Beschluss zu fassen, wonach sie bis 2020 eine Reduktion um 30 % gegenüber dem Niveau von 1990 erreichen will – und zwar als ihr bedingtes Angebot im Hinblick auf eine globale und umfassende Übereinkunft für die Zeit nach 2012 –, sofern sich die anderen Industrieländer zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen verpflichten und die Entwicklungsländer einen ihren Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten entsprechenden Beitrag leisten.“

Wäre es nicht so dramatisch, könnte nun ironisch gefragt werden: Warum sollte die EU auch vorangehen, da man doch mit „EU2020“ vorwärts schreiten will? Aber vorwärts schreiten bedeutet nach heftigem Streit unter den Regierenden, „die gravierendsten Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum auf EU-Ebene anzugehen, einschließlich derjenigen, die mit dem Funktionieren des Binnenmarkts und der Infrastruktur zusammenhängen“. Deshalb wird nach mehr und neuer Gemeinsamkeit verlangt, bei der „Wiederherstellung der Solidität und Stabilität des europäischen Finanzsystems“, bei der „Transparenz des Bankensektors“, der „Regulierung der Finanzdienstleistungen für nachhaltiges Wachstum“, in allen gemeinsamen Politiken, in einer künftigen gemeinsamen Energie- und in einer neuen Industriepolitik.

Interessant sind die Einführung einer Bankenabgabe, von Abgaben und Steuern für Finanzinstitute, die Verschärfung der haushalts- und wirtschaftspolitischen Überwachung. Ab 2011 sollen die Mitgliedsstaaten ihre Haushaltsentwürfe in Brüssel vorlegen, bevor sie in den nationalen Parlamenten verabschiedet werden („Europäisches Semester“). Die „präventive als auch die korrektive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts – mit Sanktionen im Zusammenhang mit dem Konsolidierungspfad auf das mittelfristige Ziel“ werden verstärkt – für alle Mitgliedstaaten, unabhängig ihrer Zugehörigkeit zur Eurozone. Allerdings soll es bei deren Mitgliedern noch einen Zahn schärfer sein, weshalb die „Entwicklung eines wirksamen Überwachungsrahmens“ auf die Tagesordnung gesetzt ist. Zu diesem gehören „vollständig unabhängige Statistikämter“ und weitere scheinbar unpolitische Institutionen, die einfach pragmatisch begründet werden können. Sie sind demokratischer Kontrolle entzogen und entsprechend der aufgezeigten Logik eher „der Wirtschaft“ verpflichtet als den Interessen der Allgemeinheit, die die der sozial Schwachen nun weiter marginalisieren darf.

Damit gehen eine Zunahme von Repression und eine Verstärkung gesellschaftlicher Hierarchien einher.

Der Zustand der Linken macht es ihnen selbst noch schwerer, zu entwickeln und umzusetzen was nun vonnöten ist: eine Strategie der Demokratisierung, insbesondere für „Reclaim the Budget“, und zugleich der Solidarisierung mit den in der EU und global Schwächsten. Diese wäre mit dem Kampf gegen ökologische Zerstörung auf das Engste zu verbinden. Das Europäische Sozialforum in Istanbul wird immer wichtiger.

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