Es ist zweifellos ein Verdienst der Rosa-Luxemburg-Stiftung und wesentlich ihres Referenten für Antisemitismus und jüdisch linke Geschichte und Gegenwart, Florian Weis, die drei Bände „Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken“ herausgegeben zu haben. Im 2. Band ist u. a. von Paul Friedländer die Rede (S. 35, 36). Doch das ist nicht jener Paul Friedländer, der im Zentrum des Buches „Bonzos Auge“ steht. Aber auch dieser mit dem Kosenamen Bonzo gehört zu den Jüdinnen und Juden in der internationalen
Linken. Das Buch seines Sohnes, Thomas Friedländer, wird hier auch und insbesondere jenen empfohlen, die sich wie Weis & Kolleg*innen als Historiker*innen für diese Akteure interessieren. „Bonzos Auge“ lässt an tragischen Lebensgeschichten teilhaben, berührt, wühlt auf und provoziert – nicht zuletzt Nachkommen von Bonzos Gefährtinnen und Gefährten. Der folgende kurze „Werbe-Text“ für das Buch ist mit einem vierfachen „Danke“ an den Autor verknüpft.
Das erste große Danke gilt der enormen Leistung, realisiert zu haben, was sich Walter Kaufmann, ein Kamerad von Bonzo, wünschte bzw. erwartete: „Mit dieser einen Person, Bonzo, wird sich ein Blick auf die Zeit öffnen – eine Allgemeingültigkeit wird sich kristallisieren.“ (S. 149). Diese eine Person ist liebevoll und zugleich akribisch vorgestellt. Ihre Biografie ist mit deutscher, jüdischer, europäischer und Weltgeschichte verknüpft: Ein armer jüdischer Junge in/aus Berlin setzt sich zunehmend bewusst und immer widerspruchsvoll mit seiner familiären, lokalen, gesellschaftlichen und internationalen Umwelt auseinander, will intervenieren, verändern. Der Autor lässt Bonzo erfahren, mit ihm fühlen und daher auch leiden: keine geborgene Kindheit, jüdische Sozialisierung und gesellschaftliche Diskriminierung, Verfolgung, Widerstand, Flucht nach Großbritannien, Internierung und Ausschiffung nach Australien, Mitwirkung am Kampf der Alliierten gegen Nazi-Deutschland, Entscheidung für ein Leben in der DDR, die ihre Versprechen nicht einlöste; eine „Partei neuen Typus“, die die jüdisch-kommunistische Bewegung nicht an- bzw. aufnehmen wollte und/oder konnte; wissenschaftliche Leistungen und späte Anerkennung; Krankheiten, Depressionen. Bonzos Leben aber war viel reicher als Kampf, Schmerz und enttäuschte Hoffnung, es war Freude, Liebe und Erfüllung in der eigenen Familie, die Achtung und Zuneigung der wirklichen Mitstreiter*innen, Freund*innen.
Das zweite große Danke an den Autor geht mit Bewunderung für seine Offenheit einher. Zum einen lässt Friedländer das Zusammenleben mit Bonzo und das Nachdenken über ihn aus der Perspektive des Sohnes nachvollziehen und verstehen. Das hilft auch den Nachkommen von Bonzos Gefährten, eigene Probleme neu zu sehen, besser damit umzugehen. Zum anderen öffnet Friedländer auch anhand der eigenen Person „einen Blick auf die Zeit“, ermöglicht allgemeingültige Rückschlüsse auf gesellschaftliche Realität und Geschichte, insbesondere der DDR, der Wende- und der Nullerjahre.
Ein drittes großes Danke bezieht sich auf die ermöglichte Teilhabe an der grandiosen Suche nach Spuren von Bonzo und seinen Verwandten. Friedländer legt verschüttete Überbleibsel frei, knüpft von Neuem Familienbande, stellt Schicksale und Lebenswelten vor und in Zusammenhänge, weitet die Sicht auf Leben im Gestern und Heute. Er lässt partizipieren an der Rekonstruktion des Verhaltens von Personen in Verwaltungen und im juristischen System der Nazis, in der alten und gegenwärtigen Bundesrepublik. Das eröffnet eine weitere Dimension für die Sicht auf die Zeit: da ist z. B., der Rechtsanwalt, der für den Konkursverwalter von geraubtem jüdischen Eigentum Kosten spart und sich dafür brüstet (S. 316). Da sind die Zumutungen und Schikanen von Opfern der Nazis, die in der Bundesrepublik bescheidene Entschädigungen für erlittenes Unrecht geltend machen wollen (S. 319ff). Da sind dann viele Jahre später auch Angestellte, die die Spurensuche unbürokratisch, schnellst- und bestmöglich unterstützen.
Das vierte große Danke ist für die Nachdenklichkeit, die der Autor mit seiner Erzählung und seinen Reflektionen zu Bonzo provoziert: da äußert er Unverständnis darüber, dass Bonzo Tante Liselotte die erbetene Hilfe verweigerte, um in der DDR für ihr von den Nazis „arisiertes“ Geschäft entschädigt zu werden (S. 293). Da fragt der Sohn, wie Bonzo sich angesichts der „Zeitenwende“ 1989/90 und danach verhalten hätte (S.101). Aber er lässt wenig Raum für die Überlegung, ob sich nicht auch Bonzo wie mehrere seiner Gefährten mit der verbliebenen Energie für den Erhalt und die Demokratisierung der DDR eingesetzt hätte, für die Transformation der SED zur PDS, für lebendigen Antifaschismus aus der Perspektive eines kritischen Sozialisten … Wenn ich das Buch richtig verstanden habe, hat auch Bonzo den „Realsozialismus“ überwinden wollen – in durchaus widersprüchlicher Verbundenheit mit einer ideellen und politischen Strömung, die sich an Marx und Luxemburg orientiert, die die Gesellschaft und vor allem sich selbst fortwährend kritisiert.
Doch ungeachtet der spezifischen Leser*innen-Perspektive bedeutet die Lektüre des Buches großen Gewinn und vielleicht motiviert ein Besuch der Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ noch zusätzlich dazu.
Edition Schwarzdruck (Verlag) 978-3-96611-027-3 (ISBN), 27 Euro
Seiten, 2023 1. Erstveröffentlichung,