Feed on
Posts
Comments

Von Sebastian Klauke

Gelegentlich bekommt man in den verschiedenen, vor allem akademischen geprägten Diskussionen schon den Eindruck, dass Deutschland und andere westliche Staaten keine Klassengesellschaften seien oder Klasse eine weniger folgenreiche analytische Ebene für das Verständnis der gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnisse sei. Umso erfreulicher und überaus nützlich ist die vorliegende Übersetzung eines Artikels und eines Interviews des 2019 viel zu früh an Krebs verstorbenen US-amerikanischen marxistischen Soziologen Erik Olin Wright.

In sprachlich wunderbarer Klarheit legt er seinen eigenen Ansatz der Klassenanalyse dar, der für eine integrative Perspektive dreier Ebenen wirbt: Klasse aus individueller Sicht, Klasse verstanden als ‚Chancenhortung‘ und schließlich Klasse ‚als Ausbeutung und Herrschaft‘. Hier verbindet Wiright die Marxsche Perspektive mit der von Max Weber. Das anschließende Interview gibt Aufschluss über seinen eigenen Werdegang, insbesondere in intellektueller Hinsicht und verdeutlich nochmals die wichtigsten Punkte seiner Klassentheorie. Deutlich wird, dass Wright ganz offen als Marxist die soziologische Klassenforschung vorantrieb und dennoch in den Vereinigten Staaten durchaus anerkannt war. Den Band beschließt ein Nachwort des Soziologen Oliver Nachtwey, der Wright in bestem Sinne kritisch würdigt und auch klar die Lücken seiner Theorie benennt: das sind in erster Linie die Geschlechterverhältnisse. Zugleich bietet Nachtwey einen biographischen Abriss, der auch die analytische Entwicklung Wrights umfasst. Alles in allem ein gelungener, lesenswerter Band, der plausibel den Stellenwert von Klassentheorie und -analyse vor Augen führt. Das Buch ist gleichermaßen als Diskussionsgrundlage für akademische wie auch bewegungsorientierte Zusammenhänge geeignet. Dass das Buch im Suhrkamp Verlag erschienen ist, lässt an frühere Zeiten denken, als der Verlag die Heimat vieler solcher Veröffentlichungen war. Möge der Band große Verbreitung finden, er hat es in jeder Hinsicht verdient.

Eric Olin Wright: Warum Klasse zählt. Mit einem Nachwort von Oliver Nachtwey, aus dem Amerikanischen von Philipp Hölzing, Suhrkamp, Berlin 2023, 111 Seiten, 16 Euro.

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline