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rosa_loveMit seinem Beitrag in der Jungen Welt hat Georg Fülberth schon viel zur Würdigung des ökonomischen Hauptwerkes von Rosa Luxemburg gesagt.
Tatsächlich – das Buch ist hochaktuell. Vielleicht sollte man den Untertitel viel stärker in den Vordergrund rücken: „Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus“. Neben den von Fülberth angeführten Gründen ließe sich noch sagen, dass im Unterschied zu Lenins Imperialismustheorie, die sehr auf die Breite des Übergangs in eine neue Etappe des Kapitalismus orientiert, Luxemburg in ihrer Schrift eher in die Tiefe geht. Sie untersucht vor allem im dritten Abschnitt gründlichst die Prozesse, in denen andere, vorkapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsformen dem Kapital unter- und eingeordnet bzw. zerschlagen werden. Sie schließt damit an die Untersuchungen zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals bei Marx an, beschreibt aber letztlich Prozesse, nicht mehr ursprüngliche Akkumulation sind. Sie vollziehen sich vor dem Hintergrund anderer ökonomischer Bedingungen und anderer Kräfteverhältnisse und damit auch anderer Handlungsmöglichkeiten. Vor allem betrifft dies natürlich das Handeln der Arbeiterklasse in den „Metropolen“, ihre Solidarisierung mit den von der imperialistischen Expansion Betroffenen. Es geht so also um Fragen von Übergängen in der gesellschaftlichen Entwicklung, die bis heute aktuell sind.
Diese Lesart wird auch durch die politischen Aktivitäten Luxemburgs in dieser Zeit gestützt: 1911 wurde mit der Marokkokrise die neue Etappe der Entwicklung des Kapitalismus überaus– und gleichzeitig die Hilflosigkeit der Sozialdemokratie deutlich. 1912 versuchte die Führung der Partei, durch ein Geheimabkommen mit der Fortschrittlichen Volkspartei und den Verzicht auf Reichstags-Kandidaturen zu einer Stichwahl parlamentarische Gewinne zu erreichen – was misslang. In beiden Fällen argumentierte Luxemburg vehement und radikal. Sie stellte fest: „Die Frage des Militarismus und Imperialismus stellen heute die Zentralachse des politischen Lebens dar, in ihnen und nicht etwa in der Frage der Ministerverantwortlichkeit und anderen rein parlamentarischen Forderungen liegt der Schlüssel zur politischen Lage.“ Diese Verbindung von Theorie (denn die von ihre aufgeworfene Frage nach der Reproduktion ist wie sagt, wirklich ein „verwickeltes“ Problem), politischer Praxis und Lehrtätigkeit an der Parteischule der SPD macht das Besondere und Reizvolle an diesem Buch bis heute aus. Dazu gehört nicht zuletzt auch der zweite Abschnitt der „Akkumulation“, in der sie eine sehr fundierte Auseinandersetzung zur Entwicklung der theoretischen Auffassungen zur Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus liefert. Zu ergänzen wäre dann noch, dass sie in der „Antikritik“, die sie als Reaktion auf die Kritiken an ihrem Buch verfasste, interessante Ausführungen zu Fragen der Forschungsmethoden und zur Rolle der Mathematik in kritischer Wissenschaft anbietet.
In diesem Jahr werden nach langen Vorarbeiten nun auch endlich weitere bisher unveröffentlichte ökonomische Schriften von Rosa Luxemburg in deutscher Sprache erscheinen. Michael Krätke gibt diesen Band unter dem Titel „Rosa Luxemburg als Ökonomin“ im Karl Dietz Verlag Berlin heraus. (Hier vorbestellen!) Wir dürfen gespannt sein, welche weiteren Ideen sich dort finden werden.
Lassen wir zum Abschluss Luxemburg selbst sprechen. Sie schließt ihr Buch mit folgenden Worten:
„Die geschichtlichen Notwendigkeiten der verschärften Weltkonkurrenz des Kapitals um seine Akkumulationsbedingungen verwandeln sich so für das Kapital selbst in ein erstklassiges Akkumulationsfeld. Je energischer das Kapital den Militarismus gebraucht, um die Produktionsmittel und Arbeitskräfte nichtkapitalistischer Länder und Gesellschaften durch die Welt- und Kolonialpolitik sich selbst zu assimilieren, um so energischer arbeitet derselbe Militarismus daheim, in den kapitalistischen Ländern, dahin, den nichtkapitalistischen Schichten dieser Länder, d. h. den Vertretern der einfachen Warenproduktion, sowie der Arbeiterklasse fortschreitend die Kaufkraft zu entziehen, d. h. die ersteren immer mehr der Produktivkräfte zu berauben, die letztere in ihrer Lebenshaltung herabzudrücken, um auf beider Kosten die Kapitalakkumulation gewaltig zu steigern. Von beiden Seiten schlagen aber die Bedingungen der Akkumulation auf einer gewissen Höhe in Bedingungen des Untergangs für das Kapital um.
Je gewalttätiger das Kapital vermittelst des Militarismus draußen in der Welt wie bei sich daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die Tagesgeschichte der Kapitalakkumulation auf der Weltbühne in eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.
Der Kapitalismus ist die erste Wirtschaftsform mit propagandistischer Kraft, eine Form, die die Tendenz hat, sich auf dem Erdrund auszubreiten und alle anderen Wirtschaftsformen zu verdrängen, die keine andere neben sich duldet. Er ist aber zugleich die erste, die allein, ohne andere Wirtschaftsformen als ihr Milieu und ihren Nährboden, nicht zu existieren vermag, die also gleichzeitig mit der Tendenz, zur Weltform zu werden, an der inneren Unfähigkeit zerschellt, eine Weltform der Produktion zu sein. Er ist ein lebendiger historischer Widerspruch in sich selbst, seine Akkumulationsbewegung ist der Ausdruck, die fortlaufende Lösung und zugleich Potenzierung des Widerspruchs. Auf einer gewissen Höhe der Entwickelung kann dieser Widerspruch nicht anders gelöst werden, als durch die Anwendung der Grundlagen des Sozialismus, – derjenigen Wirtschaftsform, die zugleich von Hause aus Weltform und in sich ein harmonisches System, weil sie nicht auf die Akkumulation, sondern auf die Befriedigung der Lebensbedürfnisse der arbeitenden Menschheit selbst durch die Entfaltung aller Produktivkräfte des Erdrundes gerichtet sein wird.“ (S.410f.)

Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. In: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke. Band 5: Ökonomische Schriften, Berlin 1985 S. 6-411
Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals oder Was die Epigonen aus der Marxschen Kritik gemacht haben. Eine Antikritik. In: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke. Band 5: Ökonomische Schriften, Berlin 1985. S. 413–523

2 Responses to “100 Jahre Luxemburgs „Akkumulation des Kapitals“”

  1. Eine Anmerkung zu dem lesenswerten Beitrag:
    Luxemburgs „Landnahme“-Konzept muss zwar kritisiert, aber kann (leicht) korrigiert werden, weil seine Autorin die Grundverhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise in ihrer historischen Entwicklung untersuchte und die Akteure des Akkumulationsprozesses mit ihren Interessen und Handeln offenlegte. So zeigte sie, warum mehrwertproduzierende und -zirkulierende Gesellschaftsmitglieder an Produktivkraftentwicklung bei Freiheit in der Gleichheit interessiert sein können.

  2. […] war und nach wie vor ist (vgl. mein Bei­trag in ak 592, den Bei­trag von Judith Dell­heim, Lutz Brangsch, die Doku­men­ta­tion der RLS-Tagung und den Mit­schnitt eines Vor­trags zum zwei­ten Band des […]

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