„Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung“, „entschlossenes Handeln für mehr Wachstum und Beschäftigung“, „raschere Fortschritte im Hinblick auf die Ziele der Strategie Europa 2020 machen“, „intensiver an die Reformen herangehen, die in die länderspezifischen Empfehlungen von 2011 aufgenommen wurden“, „Maßnahmen auf Unionsebene … ergreifen …, um die Vollendung des Binnenmarkts in allen Bereichen, sowohl intern als auch extern, voranzubringen und Innovation und Forschung zu fördern“ – das sind die bezeichnenden Keywords zur Wirtschaftspolitik in den EU-Gipfeldokumenten vom 1. und 2. März. Das überrascht nicht, denn am „Rande der Tagung“ wurde der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ unterzeichnet. All dem war dann die Vorbereitung auf das anstehende Treffen der G20 und die UN-Konferenz „Rio+20“ nachgeordnet. Dass dabei „besonderes Gewicht auf wachstumsfördernde Maßnahmen und Reformen gelegt“ wurde, sollte nicht verwundern. Ebenso wenig dürfte erstaunen, dass die vereinbarten „Leitlinien für künftige Maßnahmen der EU zur Unterstützung“ des „Arabischen Frühlings“ insbesondere von den eigenen Interessen ausgehen. Diese sind widersprüchlich, auch bezüglich einer künftigen EU-Mitgliedschaft Serbiens. Aber immer geht es um die eigene “Sicherheit”.
Die Arbeitsthese der Autorin lautet: In der Finanz-, Euro- und Wirtschaftskrise versuchen die in der EU Herrschenden bei wachsenden globalen Problemen und „Unsicherheiten“ die eigene „Sicherheit“ – darunter Ressourcenversorgungssicherheit – und die eigenen Positionen in der globalen Konkurrenz zu verteidigen bzw. zu stärken. Sie nutzen die Krise für dafür erforderliche soziale und ökonomische Transformationen und wollen zugleich die Rolle des „Wirtschaft und Gesellschaft steuernden Marktes“ als auch des „Wirtschaft und Gesellschaft sichernden Staates“ stärken. Hinter dem „Markt“ stehen vor allem die ökonomisch Führenden, hinter dem „Staat“ die Verwalter der Gesellschaft, in der die ökonomisch Stärksten wesentlich kulturell und politisch führen. Die Folgen sind schwindende soziale und demokratische Standards bzw. angepeitschte Konkurrenzverhältnisse und wachsende Repression. Die widersprüchlich angestrebte ökologische Modernisierung soll und wird die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht notwendig bekämpfen. Die Zerstörung schreitet dramatisch fort. Permanent findet ein Widerstreit von Tendenzen zu europäischer Integration und Desintegration statt, von Stärkung und Schwächung der EU-Kapitalfraktionen, von wachsendem und relativiertem Gewicht deutscher Kapitaleliten bzw. deutschen/deutschdominierten Kapitals. (siehe dazu auch in mehring1) Die sozialen und globalen Spaltungen wachsen und damit auch Spannungen, die wiederum mit sozialen und politischen Repressionen, mit Überwachung, Kontrolle und Gewalt beantwortet werden.
Etwas detaillierter: Der Europäische Rat will einen „zweigliedrigen Ansatz“ verfolgen, „der sowohl Maßnahmen zur Gewährleistung der Finanzstabilität und der Haushaltskonsolidierung als auch Maßnahmen zur Förderung des Wachstums, der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung umfasst.“ Den Worten nach soll die Lissabon-Nachfolgestrategie „EU2020“ die „Richtschnur für das Handeln der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union sein, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, die Bedingungen für Innovation, Forschung und Entwicklung zu verbessern, unsere Klimaschutz- und Energieziele zu erreichen, das Bildungsniveau zu verbessern und die soziale Inklusion insbesondere durch die Verminderung der Armut zu fördern.“ Allerdings schließt gerade der zuerst genannte Ansatz notwendige Maßnahmen aus: die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze und damit Innovationen, Forschung und Entwicklung zur Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme.
Der Europäische Rat billigt die fünf im Jahreswachstumsbericht 2012 der Europäischen Kommission genannten Prioritäten für Maßnahmen auf EU- und Mitgliedsland-Ebene: „Inangriffnahme einer differenzierten, wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung, Wiederherstellung einer normalen Kreditvergabe an die Wirtschaft, Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Bewältigung der sozialen Folgen der Krise und Modernisierung der Verwaltungen.“ Die hier erlangten bisherigen Fortschritte befriedigen die EU-Institutionen nicht. Die Europäische Kommission hatte im Rahmen des etablierten „Warnmechanismus“ zur Realisierung der wirtschaftspolitischen Ziele einen Bericht vorgelegt und „auf bestimmte, durch makroökonomische Ungleichgewichte in einigen Mitgliedstaaten hervorgerufene Probleme und potenzielle Risiken hingewiesen.“ Dass diese vielfach Folgen herrschender Politik bzw. nicht die primären gesellschaftlichen Probleme und Risiken sind, sollte ebenfalls nicht verwundern.
„Steuerpolitische Maßnahmen können zur Haushaltskonsolidierung … beitragen“, heißt es ohne Orientierung auf die Mobilisierung von Steueraufkommen zwecks Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und sozialen Spaltungen. Nach wie vor sollen soziale Probleme insbesondere über Arbeitsmarktflexibilisierung gemildert werden: „Im Einklang mit den Schlussfolgerungen vom 17. Februar 2012 und unter Achtung der Rolle der Sozialpartner und der nationalen Systeme für die Lohnbildung sollten die Mitgliedstaaten
– verstärkt darauf hinwirken, dass es für Arbeitgeber einfacher und attraktiver wird, Mitarbeiter einzustellen; hierzu kann es erforderlich sein, die Lohnfestsetzungsmechanismen zu verbessern;
– Hindernisse, die der Schaffung neuer Arbeitsplätze entgegenstehen, beseitigen
– und eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben, insbesondere im Hinblick auf eineverstärkte Beteiligung junger Menschen, Frauen und älterer Arbeitnehmer.“
Die von Arbeitslosigkeit Betroffenen und Bedrohten sollen daher nach wie vor ihre Beschäftigungsfähigkeit erhöhen. Die anhaltende Ausrichtung auf Flexibilisierung und Liberalisierung wird im Juni 2012 über weitere Richtlinien Verstärkung erfahren. Sie geht einher mit allgemeinem Druck auf Tempo und Tun: „Nach Auffassung des Europäischen Rates kann erhöhter Gruppendruck zu mehr Eigenverantwortung und Verantwortungsbewusstsein unter den Staats- und Regierungschefs beitragen, was die Rolle des Rates und der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Weiterentwicklung des Binnenmarkts und der Einhaltung der Binnenmarktvorschriften anbelangt.“ Im Juni wird es sich dann auch um ökonomische und ökologische Effizienzkriterien drehen, um Energiebesteuerung, gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftssteuer, die Finanztransaktionssteuer, die überarbeitete Zinsertragsrichtlinie und insgesamt um Banken- und Finanzmarktregulierung.
Die Positionen zu G8, G20 und Rio+20 gehen von der Grundidee aus, dass zwar Globalisierung einen „Preis“ hat, auch für die Winner, aber dass die Übereinkünfte bei G8, G20 und Rio+20 den eigenen Interessen und Prinzipien entsprechen sollen – auch wenn damit globale Probleme weiter wachsen.