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An der Humboldt-Universität zu Berlin gehaltene Reden anlässlich des Europatages sind meist interessant, so auch die des EU-Binnenmarktkommissars Michel Barnier vom 9. Mai. Wahlerfolge der extrem Rechten und populistischer Organisationen, Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen der EU, Überwachung von Menschen ohne EU-Pass, Euro- und Schuldenkrisen, AKW-Stresstest-Debatten trüben zu Jahresbeginn offiziell verkündeten Optimismus und steigern Interesse an grundsätzlichen Erklärungen. Barniers Statement kommt dem nach und geht weit über das hinaus, was man von einem Ressortkommissars erwarten kann. Bereits die Reihung seiner ausgemachten fünf „unbequemen Herausforderungen“ überrascht: 1. „Bevölkerungsentwicklung und Mobilität“, 2. „Energieverbrauch und Klimawandel, 3. „die Wirtschaft“, 4. „unser Einfluss im Ausland, unsere Diplomatie, unsere Sicherheit“ und 5. die „demokratische Legitimierung Europas“. Die Ausführungen gipfeln im finalen Bild der Europäischen Union als „Föderation der Nationalstaaten“ und in der Aussage, nicht mehr als fünf Jahre Zeit zu haben, „um die Weichen für unser Schicksal zu stellen“ angesichts eines tendenziell abnehmenden globalen Gewichts der EU. „Wir brauchen die Nationen, um den Nationalismus zu bekämpfen. Und gleichzeitig brauchen wir Europa, um die Globalisierung zu bewältigen, ihr ein menschliches Antlitz zu verleihen, kurz: sie zu meistern.“

Bemerkenswert ist, dass für die Mainstream-Medien das besonders „Spannende“ die Idee eines Präsidenten/einer Präsidentin der EU ist, der/die dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission vorsitzt. Für die Linken sollte hingegen „spannender“ der Versuch sein, die öffentliche „Europa-Diskussion“ neu zu befördern und sich dabei auf das zu besinnen, worauf man lange stolz sein durfte: die Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedsländer einander näher zu bringen.

Die Linken sollten also das Angebot zur Diskussion aufgeschlossen und kritisch annehmen und konkret auf die beiden „Initiativen im Bereich der Außenmaßnahmen“ Barniers eingehen, auf „die Schaffung einer europäischen Katastrophenschutztruppe“ und „die Schaffung eines weltweiten Netzes europäischer Konsulate“. So wäre klar zu sagen: JA zu einer „Europäischen Katastrophenschutztruppe“, die im Katastrophenfalle auch den Nachbarländern der EU Hilfe erweist und ohne jeden Link zu Personen-Überwachung und Militär sein soll. JA zu einem „weltweiten Netz europäischer Konsulate“, das auch Menschen in Not die Türen zur Europäischen Union öffnet.

Auch wäre klar die Diskussion der Frage zu bejahen, wie die EU ihr „Zivilisationsmodell anpassen und zukunftsfähig machen“ kann – als Zivilisationsmodell für einen globalen Akteur EU, der soziale, ökologische und globale Probleme demokratisch, solidarisch und gerecht lösen hilft.

Barniers Rede selbst ist hochgradig ambivalent: Da ist zum einen der positive Bezug auf Frontex mit seinen unmenschlichen Praktiken und andererseits die Aussage, dass „wir eine starke EU-Politik auf humanistischer Basis im Bereich Immigration und Integration [brauchen], die die Würde des Menschen achtet und den freien Personenverkehr ermöglicht, ohne dass die Entwicklungsländer ihrer geistigen Elite beraubt werden.“ Da ist zum einen die Position, dass „wir unsere Produktions-, Konsum-, Anbau- und Konsumtionsgewohnheiten ändern [müssen]“, ohne dafür an andere Bedingungen zu stellen und andererseits das Setzen auf Marktinstrumente, die bereits versagt haben. Da ist zum einen die Forderung nach mehr Solidarität und Regulierung im Euroraum, komplettiert um den Vorschlag, den Eurogruppen-Vorsitz und das Wirtschaftskommissar-Amt zusammenzulegen, zum anderen die Orientierung auf Wachstum, was in der EU und für die EU eine Orientierung auf Konkurrenz ist. Der Widerspruch wird noch zugespitzt, wenn es einerseits heißt, dass die EU mit offener Wirtschaft keine große Freihandelszone sein dürfe und andererseits, dass neue Konkurrenzfähigkeit geschaffen werden müsse. Da wird dann weiter einerseits schön über gemeinsame Kultur und Identität geredet, andererseits werden diese mit militärischer Stärke, „echter europäischer Verteidigungspolitik“ und der Forderung zur Arbeit an der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ verbunden.

Gleich mehrere Gründe für die Linken, endlich zu beraten, wie aus dem Katalog „Charta der Prinzipien für ein anderes Europa“, ein Programm und vor allem linke Europa-Politik werden können, die Europa nach links bewegen. Die Akteure im Europäischen Sozialforumsprozess verdienen also kritisch-solidarische Stärkung.

Dazu sollte auch und insbesondere ab 22.5. in Paris und am 26.6. in Hannover beraten werden.

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