In der Europäischen Union stehen 134 Atomkraftwerke. Die EU-Energieminister/innen wollen die AKW nun einer Sicherheitsprüfung unterziehen. Auch hoffen sie auf kooperatives sich-Anschließen der Regierenden in Russland und in der Türkei. Darin stimmten sie am Dienstag beim Treffen mit dem EU-Energiekommissar überein. Oettinger erklärte, dass die Risiken der Anlagen bei Naturkatastrophen und Terrorangriffen neu bewertet werden müssen. Bis Juni sollen dafür Kriterien vorliegen. Die Prüfungen sollen in der zweiten Jahreshälfte erfolgen.
Von einer Ausstieg-aus-der-Atomenergie-Debatte kann nicht die Rede sein. Die Regierenden sehen sich weiterhin eher Energiekonzernen als den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Die Konzernspitzen reden von Modernisierung der AKW-Systeme und warnen vor steigenden Strompreisen infolge von AKW-Abschaltung. So müsse man laut E.on-Chef Johannes Teyssen über die Kühlsysteme und die Stromversorgung in den Atomkraftwerken nachdenken. Die deutschen seien sicher. Die durch die Bundesregierung verkündete vorläufige Abschaltung der sieben ältesten AKW könne Störungen bewirken.
Man ist hier weitgehend geistig im Jahre 1957 verblieben, als die „Römischen Verträge” unterzeichnet und damit die Europäische Atomgemeinschaft Euratom gegründet wurden.
Die sechs Gründerstaaten (Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande) sahen in der Atomenergie eine Chance, eine unabhängige Energieversorgung zu erlangen. Allerdings überschritten die notwendigen Investitionsaufwendungen zum Bau der AKW die Möglichkeiten einzelner Staaten, was Euratom begründete.
Allgemeines Ziel des Euratom-Vertrages ist es, die Entwicklung der Atomwirtschaft zu befördern. In der Präambel heißt es: „In dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt, …
entschlossen, die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt,
in dem Bestreben, die Sicherheiten zu schaffen, die erforderlich sind, um alle Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Völker auszuschließen,
in dem Wunsch, andere Länder an ihrem Werk zu beteiligen und mit den zwischenstaatlichen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, die sich mit der friedlichen Entwicklung der Kernenergie befassen …“.
Mit dem Euratom-Vertrag sind die Atomindustrien der Mitgliedstaaten unter einem Dach zusammengefasst. Gemäß Vertrag sind die Aufgaben von Euratom:
– Die Forschung zu entwickeln und die Verbreitung der technischen Kenntnisse sicherzustellen
– Einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen
– Die Investitionen zu erleichtern und die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Atomenergie in der EU notwendig sind
– Für regelmäßige und gerechte Versorgung aller Benutzer in der EU mit Erzen und Kernbrennstoffen Sorge zu tragen
– Zu gewährleisten, dass ziviles Atommaterial nicht für andere (insbesondere militärische) Zwecke abgezweigt wird
– Das ihr zuerkannte Eigentumsrecht an besonderen spaltbaren Stoffen auszuüben
– Durch Zusammenarbeit mit Drittländern und zwischenstaatlichen Einrichtungen den Fortschritt bei der friedlichen Verwendung der Kernenergie zu fördern.
Mit dem Beitritt zur EU wird jedes Land automatisch Mitglied von Euratom. Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht, im eigenen Land AKW zu bauen. Jeder Staat kann seinen Energiemix selbst entscheiden. 14 EU-Mitglieder haben AKW.
Linke in Deutschland, darunter auch die PDS, später DIE LINKE., haben seit langem gegen Euratom und gegen Atomenergie opponiert. Die Linken in Europa, nicht zuletzt die Europäische Linkspartei, haben dazu noch keinen Konsens erzielt. Es ist an der Zeit, dies zu ändern und gemeinsam Strategien für eine solidarische solare Energiewende als Herzstück eines sozialökologischen Umbaus zu entwickeln! Da müssen die Demokratisierung der Energiewirtschaft und Projekte zur dezentralen Erschließeung und Nutzung erneuerbarer Energien besondere Schwerpunkte sein. Konzepte und Erfahrungen liegen bereits vor.
Marx betrachtet Krise als Ausdruck des Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Die Produktivkräfte, so Marx, sind mehr und mehr nur noch gesellschaftlich anwendbar – wenn das nicht seinen Niederschlag in den Aneignungsverhältnissen, in dem gesellschaftlichen Bestimmen von Was und Wie der Produktion findet, verschärfen sich die Krisen von mal zu mal, werden die Produktivkräfte mehr und mehr zu Destruktivkräften. Dieser prinzipielle Ansatz beweist seine Richtigkeit gerade jetzt mit der Atomkatastrophe und der Reaktionen von Politik und Wirtschaft. Wir hatten in den Diskussionen 2008/09 festgehalten, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise mit anderen Krisenprozessen verflochten ist. Daraus hatten wir die Position abgeleitet, dass eine wirkungsvolle Überwindung dieser Wirtschafts- und Finanzkrise nur durch Lösungen auch in der Klima-, der Ernährungs- und anderer Krisenprozesse möglich wäre. Hervorgehoben hatten wir die Frage der Bewältigung der Klimakrise als einer der Knoten verschiedener Entwicklungsprozesse. Tatsächlich reagierten Wirtschaft und Politik – mit Laufzeitverlängerungen und e-Mobilität unter dem Paradigma der zentralisierten Großtechnologien. Damit wurden auch die Bedingungen gesetzt, um die Finanzmärkte unter nur leicht modifizierten Konditionen am Laufen zu halten. Der Weg der Krisenmilderung durch wachsende Staatsverschuldung hat diese Entwicklungsvariante zementiert. Gleichzeitig wurden damit die Richtungen der Umverteilung für die nächsten Jahrzehnte gesetzt. Über die durch die Mitgliedsländer über die EU durchgesetzten haushaltspolitischen Restriktionen sind Privatisierung bzw. Abbau sozialer Leistungen als Krisenlösungsweg institutionalisiert worden.
Die Katastrophe in Japan hat erst einmal einen der Pfeiler dieses Weges im globalen Maßstab sachlich in Frage gestellt. Politisch in Frage gestellt ist er allerdings damit, trotz der Proteste gegen die Atompolitik der Bundesregierung noch nicht, wirtschaftlich schon gar nicht. Auch wenn Wolfgang Münchau in der heutigen FTD nicht unrecht haben mag, wenn er von einer langsamen „Kernschmelze des Kapitalismus“ spricht – damit sich die Katastrophe in eine Krise und diese in einen Richtungswechsel umsetzt, ist noch viel zu tun. (www.ftd.de/politik/konjunktur/:kolumne-wolfgang-muenchau-die-kernschmelze-des-kapitalismus/60026286.html)