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Selten war (zumindest für die Autorin) Suchen so intensiv erlebbar wie auf dem ersten Polnischen Sozialforum am Freitag/Sonnabend in Warschau. Dabei waren die Bedingungen denkbar ungünstig: Allein die Räumlichkeiten der Gewerkschaft OPZZ erlauben nur „Frontalunterricht“. Auch war die TeilnehmerInnenzahl viel zu gering, um einen hoffnungsvollen Aufbruch überzeugend zu signalisieren.

Dennoch sollten die anderthalb Tage keineswegs gering geschätzt werden. Ihre Beobachtung ergab viel Interessantes und Lehrreiches. Bemerkenswert waren der hohe Stellenwert des Themas Armut (von der lokalen zur globalen), die Arbeit mit Sozialstrukturanalysen – insbesondere zu den Lebensbedingungen von Frauen-, das Engagement des stellvertretenden OPZZ-Vorsitzenden, die aktive Rolle von Intellektuellen. Öffentliche Güter und Leistungen, Frieden und Ökologie waren folgerichtig besondere Schwerpunkte. Mit großer Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit wurden eigene Erfahrungen und Misserfolge in der politischen Arbeit erzählt und diskutiert.

Das Interesse an konkreter Zusammenarbeit mit polnischen Kolleginnen und Kollegen sollte also wachsen und in konkrete Angebote münden.

Doch zunächst die Erklärung vom Ersten Polnischen Sozialforum:

„Eine andere Welt ist möglich, ein anderes Polen ist notwendig
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Polnischen Sozialforum sprechen sich gegen die Ausrichtung am Profit in der gegenwärtigen Welt aus, die vor allem einer kleinen Gruppe von Reichen zu Gute kommt und zu Lasten der gesellschaftlichen Entwicklung und des Erhalts der Natur geht.

Wir protestieren gegen die neoliberale Politik zur Entwicklung des Landes (so wie sie unter anderen im Regierungsdokument ‚Polen 2030 – Herausforderungen für die Entwicklung’) zum Ausdruck kommt.

Wo der Profit als das Wichtigste gilt, werden die Menschenrechte verletzt, so die ArbeiterInnenrechte, die Frauenrechte, die Rechte der Minderheiten.

Die Ausrichtung an den Grundsätzen des ‚freien Marktes’ bewirkt die Verletzung der Rechte auf Gesundheitsschutz, Wohnen, soziale Absicherung, saubere Umwelt und schafft gesellschaftliche Fesseln und hemmt die Entwicklung des geistigen Lebens.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Polnischen Sozialforums fordern die Beendigung der Militarisierung der polnischen Politik und des Abzuges des polnischen Militärs aus Afghanistan, die Reduzierung der Militärausgaben und ihre Umlenkung auf soziale Ziele.“

Besonderer Streitpunkt war die Frage, wie klar die Regierungspolitik, der Neoliberalismus und der Kapitalismus angegriffen werden müssen und dürfen, um die notwendige Radikalität und soziale Breite der zu schaffenden neuen Bürger- und Menschenrechtsbewegung zu ermöglichen. Da zeigte sich auch gleich die schwierige Unterscheidung zwischen dem Sozialforum als offenen Raum und seine Nutzung, um neue Akteure zu schaffen.

Die Diskutierenden waren nur ausnahmsweise von Veranstaltungen im europäischen Sozialforumsprozess bekannt. Und wenn, dann waren sie von Attac, OPZZ und dem Frauennetzwerk. Die Wissenschaftlerinnen unter ihnen machten auf ein wichtiges Problem aufmerksam: Für die Arbeit an der neuen Bürger- und Menschenrechtsbewegung würden die Erfassung und Auswertung von Sozialdaten gebraucht und damit Unterstützung seitens der EU. Diese aber agiere mit Auflagen, die verstellen, was zu tun wäre: soziale Probleme und Betroffenheiten von gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Differenziertheit deutlich sichtbar und für die Organisation von Betroffenen und sozialer Solidarität wirksam machen. Das sei insbesondere wichtig, um gegen die mehrfach diskriminierende Stigmatisierung von Menschen vorzugehen, die zugleich soziale Repressionen legitimieren und Solidarität verhindern soll.

Im laufenden Jahr gab es in Polen nicht wenig sehr interessante Aktionen gegen Armut, zur Organisation von Armen und Aktivitäten, die sich mit der „verlorenen Transformation“ der polnischen Gesellschaft in die kapitalistische beschäftigten. Diese wurden leider in der alten EU nur ausnahmsweise zur Kenntnis genommen. Die polnische EU-Präsidentschaft im Jahre 2011 bietet hier einen Anlass zur Korrektur. So könnten z. B. Akteure des europäischen Sozialforumsprozesses ermöglichen helfen, dass man gemeinsam in einer polnischen Stadt das europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auswertet. Die Initiative und Investition wären sicher gewinnbringend, zumal in Warschau deutlich wurde, dass man von den polnischen Sozialwissenschaftler/innen, die Krisen analysieren und Menschen organisieren helfen, Vieles und Wertvolles lernen kann.

One Response to ““Eine andere Welt ist möglich, ein anderes Polen ist notwendig””

  1. […] Militärausgaben und ihre Umlenkung auf soziale Ziele. → Bericht von Judith Dellheim auf https://ifg.rosalux.de/ am 08.11.2010. This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink. ← […]

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