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Dass die Friedrich-Ebert-Stiftung binnen weniger Tage gleich zwei lesenswerte und Widerrede provozierende Studien[1] zur Wirtschafts- und Währungsunion bzw. zur Wirtschaftsregierung in das Web stellte, hat mit der aktuellen Diskussion zu tun: Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 16.9.2010 sollte zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und zur Wirtschaftsregierung beraten werden. Aber man konnte sich im Vorfeld nicht einig werden.

Beide Studien gehören zusammen und lassen deutlich auf Nähe zum Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK.) schließen. Sie sind zunächst in dem Bemühen zu unterstützen, das Wirtschaftsleben in der EU zu stabilisieren, die Diskussion zur Wirtschaftsregierung bzw. zur wirtschaftspolitischen Koordinierung zu politisieren und dabei zur Zukunft der Union zu diskutieren. Allerdings zeigt sich hier zugleich das Kritikwürdige: eine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Europäischen Union wird nicht angestrebt. Die Aussagen zur Lohnpolitik und zu Korrekturen bisheriger Praxis sollen keineswegs gering geschätzt werden, aber: es wird nicht das Anliegen verfolgt, mit der Stabilisierung und Regulierung der Wirtschafts- und Währungsunion die EU27 dabei zu unterstützen, ihre Nachhaltigkeitsstrategie – im klaren Unterschied zur Lissabon- bzw. Lissabon-Nachfolgestrategie – zu realisieren.

Die wohl interessanteste Aussage in der Publikation des Arbeitskreises Europa findet sich auf der letzten Seite „um die Schieflage in den Leistungsbilanzen zu reduzieren und eine funktionsfähige Gemeinschaftswährung zu erhalten, müssen die Euro-Mitglieder ihre nationalen Volkswirtschaften auf kompatible Wirtschaftsstrukturen, Wohlstandsverhältnisse und wirtschaftspolitische Prioritäten ausrichten. Das ruft die schon früher verfochtene ‚Krönungstheorie’ in Erinnerung, wonach eine Währungsunion erst am Ende eines langen wirtschaftlichen Annäherungsprozesses und nach Inkrafttreten einer politischen Union möglich sein sollte. Heute ist klarer denn je, dass langfristig nur eine politische Union den politischen und ökonomischen Gleichlauf zwischen den Euro-Mitgliedern herstellen kann, der Ungleichgewichte innerhalb Europas vermeidet.“

Dazu könnte lakonisch bemerkt werden: „Ja, das hatten wir mit ‚Euro – so nicht!’“ schon vor dem Maastrichter Vertrag gesagt.“ Aber wichtiger ist, hier den Austausch zu suchen, wenngleich leider zu den „wirtschaftspolitischen Prioritäten“ nur gesagt wird: „Überfällig ist eine Rückbesinnung europäischer Wirtschaftspolitik auf die Ziele des magischen Vierecks, die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Deutschlands Exportstärke zur Umkehr der Lohnstückkostenpfade sowie institutionelle Innovationen, wie die Einrichtung eines Gemeinschafts-Haushaltsausschusses der nationalen Parlamente.“

Soll Wirtschaftspolitik darauf zielen, soziale und ökologische Probleme gerecht zu lösen, ist dies bei weitem nicht ausreichend.

Dennoch gibt es unterstützenswerte Aussagen und interessante Ideen. So werden (teilweise erneut) vorgeschlagen bzw. gefordert: effektive Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte, einheitliche Mindestsätze und Bemessungsgrundlagen für die Unternehmensbesteuerung, koordinierte Lohnpolitik bei Wahrung der Tarifautonomie und Mindestlöhnen ab 50% des durchschnittlichen nationalen Bruttostundenverdienstes, Einführung einer Begrenzung für das zulässige Leistungsbilanzdefizit von 3% (zum BIP) in den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Pflicht zur erhöhten Eigenkapitaldeckung für Finanzinstitute, ein effektives EU-Aufsichtsregime für Finanzinstitute, eine Zulassungsstelle für Wertpapiere, eine europäische Ratingagentur.

Die Autoren setzen nicht vorrangig auf schärfere Sanktionen bei Verstößen gegen die Stabilitätskriterien und wollen evt. Sanktionen auf die Eurozone-Mitglieder beschränken.

Zur Wirtschaftsregierung heißt es (ohne eine Definition): „Das hier vertretene Konzept einer europäischen Wirtschaftsregierung besteht aus der Kombination eines präventiven Arms, mit dem die Mitgliedstaaten ihre dezentrale Wirtschaftspolitik mit dem Ziel koordinieren, die Entstehung makroökonomischer Ungleichgewichte zu verhindern, und einem reaktiven Arm, der zentral gesteuert wird und Ungleichgewichte korrigiert. Eine europäische Wirtschaftsregierung erfolgt somit auf zwei Ebenen, bei der die Kompetenzen zwischen Mitgliedstaaten und der EU aufgeteilt werden.” Der „präventive Arm” soll der Subsidarität Rechnung tragen, aber auch einen verbindlichen Rahmen für die wirtschaftspolitische Koordinierung geben. Der reaktive Arm soll nur zum Einsatz kommen, wenn der („dezentrale“) nationale Steuerungsmechanismus die makroökonomischen Ungleichgewichte nicht wie vereinbart kontrollieren kann.

Im Krisenfalle soll ein Europäischer Währungsfonds zügig notwendige Finanzmittel zur Verfügung stellen können, Notliquiditätshilfen leisten und Auflagen machen. Seine Mittel sollen aus der Finanztransaktionssteuer, der Emittierung von Gemeinschaftsanleihen und Einlagen der Länder wie beim IWF kommen.

Von einem Steueraufkommen aus der Transaktionssteuer zur Hilfe für die global Ärmsten wird kein Wort gesagt, auch nicht bei Arne Heise und Özlem Görmez Heise. Heises ist sehr zu danken für das hochinformative Material zu verschiedenen Konzepten von „Wirtschaftsregierung“ und vor allem für die Klarstellung von Begriffen. Wird „Regierung“ als  „hierarchisches Entscheidungs- und Durchsetzungssystem“ verstanden, „bei dem monokratisch getroffene Entscheidungen“ als verbindliche Anweisungen an die Verwaltung weitergegeben werden, könne bisher lediglich die europäische Geldpolitik als „Teil eines ‚Europäischen Wirtschaftsregierungssystems’“ gelten. Der Stabilitäts- und Wirtschaftspakt sei zwar eine „harte Koordinierung“, die nationalstaatliche Handlungsspielräume beschneide, aber kein Regierungselement, weil er lediglich horizontale Verhandlungsergebnisse absichere.

Soll die Wirtschafts- und Währungsunion „als Triebkraft für die weitere Integration Europas dienen“, also dauerhaften Bestand haben, müsse ein gewisser Souveränitätsverlust der Mitgliedsländer erfolgen. Anders könne nicht effektiv auf externe Schocks und interne Ungleichgewichte reagiert werden. Effektiver Umgang bedeute auch Umverteilung von Ressourcen, was aber einen – gegenwärtig nicht vorhandenen – Solidaritätswillen – erfordere.

„Ein Stück Souveränitätsübertragung von der nationalen auf die EU-Ebene ist unverzichtbar, sollte allerdings so (souveränitäts-)schonend und legitimiert wie möglich erfolgen: das Modell der zentralen Dezentralisierung. Wobei hier nicht nur an die europäische Finanzpolitik, sondern auch an die europäische Tarifpolitik und deren Verantwortung für das ‚europäische Haus’ gedacht ist. Letztlich – und das zeigen die Vorkommnisse der ‚Griechenland-Krise’ sehr deutlich – wird der entscheidende Schritt zu einer europäischen Wirtschaftsregierung nur möglich sein, wenn eine Diskursrahmung (framing) erfolgt, die Fragen der wirtschaftspolitischen Steuerung von einer europäischen Perspektive beleuchtet.“

Das ist plausibel und macht die Sache für linke Wirtschaftspolitiker/innen erneut interessant. Allerdings steht dabei immer die Frage, wie gesellschaftspolitische Kräfteverhältnisse so verändert werden können, dass sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung möglich wird. Wie also kann die Schaffung einer Wirtschaftsregierung als Demokratisierung erfolgen?

Dafür sind drei Wege entscheidend, die gemeinsam beschritten werden können und müssen: Mobilisierung der Anhänger/innen von Demokratie, Erweiterung parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Kontrolle, Einleitung und Schritte eines sozialökologischen Umbaus.


[1] Arbeitskreis Europa, Die Zukunft der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion

Arne Heise und Özlem Görmez Heise, Auf dem Wege zu einer europäischen Wirtschaftsregierung

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