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Regieren in der Krise

Es gibt natürlich auch die FDP. Von den 50 Jahren, in denen es die Bundesrepublik gibt, sind nur ganze neun, in denen die FDP nicht regiert hat. Von aufreibenden Debatten über das Für und Wider von Regierungsbeteiligung, wie sie in der LINKEN üblich sind, ist bei der FDP nichts bekannt. Die FDP tut es einfach, so oft sie kann.

Es lohnt sich, kurz über diesen Unterschied nachzudenken. Für die FDP stellt sich eine ganze Reihe von Fragen nicht, mit denen sich eine linke Partei auseinandersetzen muss, wenn es um Regierungsbeteiligung geht. Dass die FDP keine antikapitalistische Partei ist, ist dabei noch das geringste Problem. Auch die FDP wünscht sich Systemveränderungen, die weit über das hinausgehen, was sich in einer Legislaturperiode verwirklichen oder bei einem stärkeren Koalitionspartner durchsetzen lässt. Dennoch ist Regieren für sie keine prekäre Situation.

Ausgangspunkt für linkes Regieren ist, dass die gesellschaftlich Unterdrückten ihre ökonomische Unterlegenheit durch den Griff nach der politischen Macht kompensieren (müssen). Es gibt deshalb eine gewisse Mindestschwelle des Eingreifens, eine Veränderung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, unterhalb derer linke Regierungsbeteiligung keinen Sinn macht. Für eine Partei des Kapitals dagegen reicht es schon, wenn die ökonomische Ungleichheit nicht angetastet wird. Eine Partei wie die FDP kann auch in anderer Weise strategische Kompromisse eingehen. Einkommensstarke und kapitalbesitzende Gruppen können kurzfristige Einschränkungen hinnehmen, in Kompromisse „investieren“ oder Risiken eingehen, wenn es sich mittelfristig für sie auszahlt. Die Einkommensschwachen und abhängig Beschäftigten können das dagegen nicht. Für sie haben ökonomische Zumutungen einen anderen, existenziellen Charakter, denn sie schlagen sich nicht auf ihrem Bankkonto, sondern in ihrem Kühlschrank nieder.

Überhaupt kann die FDP das Regieren in aller Lässigkeit nach dem Salami-Prinzip betrachten: Kriegen wir ein Scheibchen mehr, ist es besser, als wenn uns andere zwei nehmen. Für die Linke funktioniert das nicht so. Wenn die abhängig Beschäftigten und Transferabhängigen ihre sozialen Interessen offensiv durchsetzen, dann destabilisieren sie damit die herrschende Regulationsweise – die öffentlichen Haushalte, den Arbeitsmarkt oder den Kapitalmarkt. Sie scheinen damit in einen Widerspruch zum Allgemeininteresse zu geraten, der sich erst löst, wenn sie stark genug sind, auch die Regulationszusammenhänge zu verändern – z.B. das Steuersystem, die Betriebsverhältnisse, oder indem sie die Mobilität des Kapitals einschränken. Auch dies deutet auf eine Mindestschwelle des Eingreifens hin, die erreicht werden muss, damit linkes Regieren nicht nach hinten losgeht.

Vor allem aber gibt es für die FDP kein Problem der Verselbständigung. Das Gehalt eines Ministers entlockt denen, die ihre Interessen von einer Regierungsbeteiligung der FDP vertreten sehen wollen, nur ein müdes Lächeln. Beide sprechen dieselben Codes, beschäftigen sich in ihrem Alltag mit den gleichen Themen. Linkes Regierungshandeln dagegen muss diejenigen vertreten, die nicht die gesellschaftliche Macht haben; diejenigen, die Form, Inhalte und Verfahren der herrschenden Politik nicht geprägt haben. Die Gefahr der Entfremdung, der Anpassung und Korrumpierung, auch des Übergewichts der Regierung gegenüber der Partei, ist für Linke in der Regierung daher besonders groß. Die privilegierten und gesellschaftlich mächtigen Gruppen führen „ihre“ Partei sehr viel selbstverständlicher und auf Augenhöhe, auch wenn es um Tagespolitik, Details, Bewertung von Kräfteverhältnissen, Kritik von Kompromissen etc. geht. Dies ist für die gesellschaftlich Unterdrückten sehr viel schwerer. Die Abhängigkeit von der Zuverlässigkeit „ihrer“ Partei ist sehr viel größer. Hoffnungen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit können schnell und radikal verspielt werden.

Die Krise als Weichenstellung begreifen

Der Widerspruch zwischen Anpassung und Interessenvertretung spitzt sich in der Krise zu. Gerade in der Krise ist es für die abhängig Beschäftigten, die Geringverdiener, die Hartz-IV-EmpfängerInnen, aber auch für Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen besonders wichtig, was in Regierungen entschieden wird. Gerade in der Krise gewinnt der Staat wieder an Handlungsfähigkeit, sind Konzerne und Banken weniger mächtig, weil sie auf den Staat angewiesen sind. Gerade in der Krise aber geht es um eine gesellschaftliche Weichenstellung. Die Krise kann in einen „Neoliberalismus II“ überführt werden, wo sich das Kapital den Staat in verstärktem Maße dienstbar macht, um Märkte zu regulieren, Lohn- und Sozialabbau zu betreiben und Widerstand in Schach zu halten. Die Krise kann aber auch in ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem überführt werden, in dem der Einfluss des Kapitals zurückgedrängt wird und demokratische und sozialistische Kräfte größere Spielräume erhalten. In dieser Weichenstellung darf die Linke nicht auf der falschen Seite stehen.

Dieses Problem wird nicht durch Treueschwüre für oder wider Regierungsbeteiligung gelöst. Es kann von einer linken Partei überhaupt nicht alleine gelöst werden. Gerade jetzt ist der Dialog mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen besonders wichtig. Eine linke Partei kann nur Teil, Element, manchmal Instrument einer breiten gesellschaftlichen Gegenbewegung sein, die sich an zwei Leitlinien orientiert: Widerstand dagegen, dass die Beschäftigten und die breite Bevölkerung für die Krise zahlen soll; und Mobilisierung dafür, dass die Korrekturen am System der Staatsohnmacht und Konzernautonomie auf Dauer gestellt, radikalisiert und in neue Formen von gesellschaftlicher Kontrolle über das Kapital überführt werden. Was das genau heißt und wie stark die Bewegung dafür bereits ist, was sie aushält, darüber muss sich eine linke Partei bei sozialen Bewegungen und Gewerkschaften vergewissern.

Aus dieser Perspektive gibt es keinen wirklichen Gegensatz zwischen Regierungsfähigkeit und Oppositionsfähigkeit. Wer die Weichenstellung in der Krise umkämpfen will, muss sagen können was er machen würde, wenn er 60 Prozent hätte und die Regierung stellen würde. Er muss erklären können, wieso das die Mindestschwelle des Eingreifens überschreitet und wieso es auch möglich wäre. Und er muss sich im Klaren sein, dass dafür gesellschaftliche Mobilisierung notwendig ist. Nur von dieser Klärung aus lassen sich Kompromisse und Regierungsbeteiligungen eingehen, lässt sich bewerten, ob darin eine Chance liegt politische Räume zu öffnen oder eine Falle. Aber diese Klärung ist genauso notwendig für eine radikale Opposition, die wirklich Druck machen will. Ohne klare Ziele und Forderungen überlässt radikale Opposition es dann doch den Regierungen, was sie draus machen. Und das reicht nicht.

Es wäre deshalb derzeit das Wichtigste, sich darüber zu verständigen, welche Maßnahmen und Instrumente eine entsprechende Weichenstellung bewirken könnten. Die Regulierung der Finanzmärkte ist dabei nur ein Aspekt. Drängend wird eine Positionsbildung zu den Fragen Arbeitszeitverkürzung, Grundeinkommen, Verstaatlichung, Mitarbeiterbeteiligung bzw. mitarbeitergeführte Unternehmen, Investitionslenkung, sozial-ökologischer Umbau, Übergang von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft. Je mehr der Staat wieder als Akteur an Bedeutung gewinnt, desto dringender wird die Verständigung über die notwendige Öffnung des Staates für demokratische Einflussnahme und Partizipation, über die Bedeutung eines „Dritten Sektors“ für eine solidarische Ökonomie und über zeitgemäße Formen wirtschaftlicher Rahmenplanung.

Und es wäre wichtig zu klären, was die Forderung „Wir zahlen nicht für eure Krise“ eigentlich praktisch bedeutet. Immer deutlicher wird, dass die völlig irrealen Eigenkapitalrenditen, Dividenden, Veräußerungs- und Zerschlagungsgewinne, die phantastischen Managergehälter, Boni und Konzerngewinne zu ganz erheblichem Teil auf Pump finanziert waren – aus einer aufgeblähten Geldmenge, die in keiner Weise durch den Anstieg der Produktion gedeckt war und jetzt in sich zusammenstürzt. Wer nicht für die Krise zahlen will, muss nicht nur dafür sorgen, dass der Selbstbedienungsladen geschlossen wird, sondern dass die Vorabentnahmen der letzten Jahre nachträglich entwertet werden. Ohne Enteignung von Produktionsmitteln, ohne Enteignung von Privatvermögen durch massive Besteuerung, wird sich nicht verhindern lassen, dass die Allgemeinheit für die Krise zahlt.

Die Regierungs-Debatte als Domestizierung

Aus all dem wird deutlich: regiert werden ist bitter, gerade in der Krise, und gerade wenn die Wahlen vorbei sind. Aber regieren nützt auch nichts, wenn es keine gesellschaftliche Bewegung gibt, die stark und präzise genug ist, die notwendigen Eingriffe einzufordern, durchzusetzen und zu verteidigen. Mobilisieren, Zusammenhänge verständlich machen, Druck machen und gleichzeitig sehr genau klären, was jetzt exekutiv und legislativ gemacht werden müsste und könnte – darum geht es jetzt vor allem.

Dass die Debatte um Regierungsbeteiligung in der Linken jetzt wieder aufflammt, ist daher auch Ausdruck einer programmatischen Unsicherheit.der Linken in der Krise. Vor allem aber ist sie Ausdruck der Tatsache, dass Rolle und Programm der LINKEN von den herrschenden Eliten derzeit als zentrales Kampffeld in der Krise begriffen wird. Dazu dient die Debatte über „Sektierertum“ und „Regierungsunfähigkeit“, die man der LINKEN jetzt gerne aufzwingen würde, um das Bündnis sozialer Kräfte, das sich auf die LINKE bezieht und sie trägt, aufzusprengen.

Die Stoßrichtung dieser Debatte ist so simpel wie eh und je. Man möchte der LINKEN aufdiktieren, von welchen Kräften, Inhalten, Personen, Bündnissen und Praxisformen sie sich trennen soll, um respektabel zu werden. Es geht darum, das Spannungsfeld von praktischer Interessenvertretung und grundsätzlicher Systemkritik, von parlamentarischer Einflussnahme und Verankerung in den Bewegungen, von Bündnisfähigkeit und eingebauten Anpassungsbremsen, zu einer Seite hin aufzulösen. Zu welcher, ist aus Sicht der Kräfte, die aus der Krise heraus einen „Neoliberalismus II“ aufbauen wollen, egal. Eine linke Partei, die dem Antikapitalismus und der Emanzipation abschwört und sich Ausgrenzungsdiskurse aufzwingen lässt, ist ebenso beherrschbar, wie eine linke Partei, die den Griff nach der politischen Macht – und das heißt auch: die Regierungsoption – prinzipiell für sich ausschließt.

Dahinter steht, wie eigentlich alle wissen, der Kampf um die SPD. Für die Frage, welche gesellschaftliche Weichenstellung sich in der Krise durchsetzen wird, ist die Rolle und Positionierung der SPD derzeit von entscheidender Bedeutung. Die Führung der SPD orientiert, bei aller Rhetorik gegen Heuschrecken und gierige Banker, klar auf einen „Neoliberalismus II“. Mit Steinmeier und Müntefering setzt die SPD auf die Architekten der Agenda 2010, der Hartz-Gesetze und der Finanzmarktorientierung. Von der wieder stärker notwendig gewordenen Indienstnahme des Staates verspricht sich der dominante Flügel der SPD eine Aufwertung der SPD als sozialer Integrationskraft, die gleichzeitig an der Rettung des Kapitalismus aktiv teilnimmt. Solange diese Orientierung nicht programmatisch, personell und praktisch abgelöst wird, ist die SPD für ein linkes Umkämpfen der Krise nicht brauchbar. Ob die SPD nach der Wahl in der Regierung oder in der Opposition stehen wird, ist weit weniger wichtig als die Frage, für wie viel Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse sie stehen wird.

Die Domestizierung der LINKEN – egal ob als einseitige Regierungs- oder Protestpartei – würde den Druck von der SPD nehmen, ihren Kurs zu ändern. Daher rührt das Interesse der bürgerlichen Kräfte an der „Sektierer“-Debatte und an einer Debatte um Regierungsbeteiligungen der LINKEN, die als Selbstzerlegungs-Debatte geführt wird.

Da kann man nur Gelassenheit zeigen. Eine linke Partei, die schon angesichts von schwankenden Wahlumfragen in Panik verfiele und ihren Kurs von Meinungsumfragen und Pressekampagnen abhängig machte, wäre wohl kaum eine Kraft, auf die man sich in der Krise verlassen kann. Wirklich wichtig ist, welches Bündnis sozialer Kräfte sich zusammenschiebt, um einen linken Ausweg aus der Krise durchzusetzen. Öfter mal ein Ratschlag sozialer Bewegungen, öffentliche Arbeitsprozesse mit Gewerkschaften und Bewegungen über ein radikales Antikrisenprogramm, und lieber mal ein Interview weniger: Das wäre eine gute Orientierung.

Christoph Spehr ist Landessprecher der LINKEN in Bremen

Erschienen in: ak, analyse und kritik, nr. 538, 2009

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