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EU im Sommer (3)

Auch die letzte Woche war EU-politisch hochgradig interessant, wenngleich wenig erfreulich. Es geht im Folgenden um Statistik, Krisenbearbeitung, Überwachung und Militarisierung, aber zunächst um die „Stuttgarter Erklärung“ (von EurActiv am 6.8.2010 veröffentlicht), die besondere Aufmerksamkeit linker Politiker/innen erfordert.

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landesparlamente haben über die Umsetzung des Lissabonner Vertrages beraten und mehr Einwirkungs- und Teilhabemöglichkeiten ihrer Parlamente gefordert. Sie wollen das Subsidaritätsprinzip stärken und ihren Beitrag zu fortschreitender europäischer Integration leisten. Sie verlangen eine Änderung des Gesetzes zur Bund-Länder-Zusammenarbeit, um eine weitestgehende Informationsgleichheit von Länderexekutive und –legislative zu erlangen.

Da der Lissabonner Vertrag trotz Teilfortschritte bei demokratischen Mitwirkungsrechten wegen seiner neoliberalen Inhalte von den Linken abgelehnt werden musste, steht nun vor allem die Frage: Wird die richtige Forderung der Landespolitiker/innen in mehr Politik pro oder contra forcierte Konkurrenz, soziale und ökologische Zerstörung zur Wirkung kommen?

Die Antwort hängt von gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnissen ab.  Da bestätigt nicht zuletzt die Statistik Skepsis: Im letzten Jahr ist die offizielle Beschäftigungsrate in der EU27 von 65,9 auf 64,6% gesunken, bei Frauen von 59,1 auf 58,6%. Bei den 55-64Jährigen ist sie von 45,6 auf 46% leicht gewachsen. 27% der in Polen Beschäftigten arbeiten auf der Basis von Zeitverträgen.

Die aktuelle Arbeitslosigkeit beträgt offiziell 10% in der Eurozone und 9,6% in der EU27. Vor einem Jahr waren die Werte 9,5 und 9,0%. Spanien und Lettland weisen mit 20% die höchsten offiziellen Arbeitslosenraten aus, gefolgt von Estland mit 19%. Die Jugendarbeitslosigkeit (unter den Jugendlichen bis 25 Jahre) stieg von Juni 2009 bis Juni 2010 in der Eurozone von 19,5 auf 19,6% und in der EU27 von 19,6 auf 20,3%. Sie erreicht in Spanien 40,3, in Estland 39,8 und in Lettland 39,5%.

Im Verlaufe der Krise ist die Bereitschaft der EU-Bürger/innen, Hilfen an Dritte auszureichen, zurückgegangen: Waren 2006 noch 88% für den Einsatz von Hilfsfonds außerhalb der EU-Grenzen, so sank die Zahl auf nunmehr 79%. 58% der Befragten bevorzugen eine Ausreichung der Hilfsmittel durch EU-Institutionen.

Laut Angaben der Datenbank für Fingerabdrücke von Asylbewerber/innen und in der EU aufgegriffenen Illegalen EURODAC geht die Zahl der Illegalen zurück während immer mehr Asylbewerber/innen immer mehr Anträge stellen.

EURODAC lässt schaudern und scheint auch noch den brutalen Erfolg der Shamedirective und der menschenverachtenden Frontex-Praktiken zu bekräftigen.

In der letzten Woche haben der Frontex-Direktor und sein griechischer Minister-Kollege die Einrichtung des ersten Pilotprojektes Frontex Operational Office in Piracus vereinbart. So sollen vernetzter, effektiver und kostengünstiger die Grenzen der EU vor Flüchtlingen “geschützt” werden. Deren Schicksal interessiert nicht.

Wesentlich mehr interessiert, wie Europäische Kommission, EZB und IWF die griechische Sparpolitik bewerten. Sie sind sehr zufrieden, so dass das Land im September weitere Kredite in Höhe von 9 Mrd. Euro erhalten soll. Im Zuge der Schocktherapie wird das BIP des Landes 2010 um 4% sinken und 2011 um weitere 2,5%.

Parallelen zu den zerstörerischen Schocktherapien Anfang der 90iger Jahre in den CEE-Ländern drängen sich auf. Die „Therapien“ wurden zuvor für die Einführung des Neoliberalismus in Lateinamerika konzipiert, sie zielten auf die Verbilligung von Arbeitskräften und die Vernichtung von sozialen Zusammenhängen.

Am 2.8. veröffentlichte die Forschungsabteilung der Deutschen Bank AG eine Übersicht über aktuelle Vorschläge zum wirtschaftspolitischen Steuerungsmodell von Eurozone und EU sowie zur „Europäischen Wirtschaftsregierung“.

Dass die Steuerung mehr leisten und daher wesentlich zu vervollkommnen ist, liegt auf der Hand. Nur fragt sich, mit welchen Zielen und Mitteln?

Die im neoliberalen bzw. monetären Sinne effektivere Steuerung nationaler Fiskalpolitiken, insbesondere zwecks Prävention und Korrektur makroökonomischer (Fehl-)Entwicklungen und Schaffung eines stabilen Krisenmechanismus’, wird vielfach „Wirtschaftsregierung“ genannt. Ihre Schaffung und Gewährleistung sind Gegenstand von Beschlüssen des Europäischen Rates vom 17.6., von Arbeiten der Task Force  beim EU-Präsidenten van Rompuy, der EZB und auch der Finanzminister/in Deutschlands und Frankreichs. Gemeinsam ist ihnen das Ringen um mehr Indikatoren-gestützte Steuerung, Überwachung und Sanktion, um vor allem den öffentlichen Schuldenstand unter Kontrolle zu halten (siehe u. a. verschiedene Beiträge in diesem Blog).

Die Hauptinhalte sind der präventive und korrektive Arm des Wachstums- und Stabilitätspaktes mit dem Schwerpunkt in-nationale-Haushaltspolitik-eingreifen und nationale-Wirtschaftspolitiken-koordinieren („Europäisches Semester“).

Dabei geht es nicht um die Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme, schon gar um solidarische, demokratische und gerechte. Jubelnd heißt es aus der Bank zu den vorliegenden Papieren: „Alle … nehmen Bezug auf die Wachstumsagenda 2020. Das lässt hoffen, dass der Erfolg dieser Wachstumsagenda größer ausfallen dürfte als ihrer Vorgängerin.“

Folgerichtig denkt man bei der deutschen Bank nun über Relationen zwischen Euroländern und übrigen EU-Mitgliedern nach, über die Mitwirkung der nationalen Parlamente beim „Europäischen Semester“ und Beweislast-Regelungen.

Das IMK. hatte im Juli einen Report zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vorgelegt und zu recht klargestellt: „Nicht nur die staatliche Verschuldung ist ein potenzieller Gefahrenherd für die Stabilität der Währungsunion, auch die private.“ Die Fixierung auf staatliche Haushaltsdefizite sei daher zu beenden und zusätzlich seien die Finanzlage der privaten Wirtschaft und die Leistungsbilanzsalden in den Fokus zu nehmen. Besonders in der Krise müssten Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen öffentliche Investitionen tätigen, um positive fiskalische Impulse zu setzen.

Aber da wäre doch zu fragen „Investitionen in was?“ und „was ist mit höheren Sozialausgaben, um Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen?“.

Doch auch das IMK. bleibt bei monetären Größen stehen: „Die Obergrenze für das Haushaltsdefizit sollte durch eine Obergrenze für Leistungsbilanzsalden (Überschüsse und Defizite) ersetzt werden. Diese könnte sich auf + bzw. – 2% belaufen. Dies wäre ein geeigneter Indikator für mangelnde Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung.“

„Nachhaltig“ verlangt jedoch mehr – sich mit gebrauchswertmäßigen und gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen. Darauf verzichtet das IMK..

Linke Wirtschaftspolitiker/innen müssen hier zunächst klären, was sie im Unterschied zum Mainstream unter „Wirtschaftspolitik“ verstehen und was in der EU koordiniert werden soll, um soziale und ökologische Zerstörung zu beenden.

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