Zu den vielen Fragen zur Zukunft des Weltsozialforums (WSF) kommen seit den „drei tollen Tagen von Barcelona 5.-7.4.2019“ noch einige weitere hinzu. Zunächst aber soll insbesondere den jungen Leuten und den Übersetzer/innen, die engagiert an der Realisierung des Events arbeiteten, herzlich gedankt sein. Das gilt selbstverständlich auch für die Initiatorinnen und Initiatoren bzw. die Einlader/innen. Wegen dieser enormen Arbeit schmerzt die Autorin ihr eigenes Fazit: Wird der so begonnene Weg fortgesetzt, wird es im Mai 2020 (es wurde der Zeitraum vom 2.5. bis 16.5. genannt) oder auch später kein thematisches WSF zu transformativen Ökonomien WSFTE geben. Das aber wäre nicht nur sehr schade, sondern verlangt Aktivität für eine drastische Korrektur.
Der Reihe nach: Beim International Council (IC) nach dem WSF von Salvador im März 2018 wurde vereinbart, dass die Reflexion von zwei anstehenden Jahren thematischer WSF die Frage nach der Zukunft universeller WSF in der Tradition von Porto Alegre beantworten helfen soll. Zugleich wurden die thematischen WSF zu Extraktivismus (2018), Migration (2018) und eben zu transformativer solidarischer Ökonomie (2020) angekündigt. Die Idee von einem WSFTE 2020 war aus Debatten auf dem Forum hervorgegangen und wurde beim IC von einem Aktivisten aus Katalonien vorgestellt. Dort haben Praxen solidarischer Ökonomie eine lange reiche Tradition und dort wurde auch bereits im Herbst 2018 eine intensive Vorbereitungsarbeit für ein WSFTE gestartet. Im Winter 2019 flatterte dann der Ruf nach Barcelona für Anfang April in die Solidarische Ökonomie. Die katalonischen Netzwerke für solidarische Ökonomie REAS und xes und das globale Netzwerk RIPESS (im Weiteren: Die Drei) waren die Einlader. Auf der Website für das WSFTE 2020 war ein umfangreiches Guideline-Papier eingestellt. Es war über lange Wochen bis zum Treffen in Barcelona hinweg auch das Einzige, was auf der Website zu sehen war. Verkündete Guidelines sind bekanntlich kein überzeugendes Diskussionsangebot. Und so teilte auch die verwunderte Autorin dem Team in Barcelona zumindest drei Bedenken mit:
- Das in den Guidelines vorgestellte Vorgehen ist zu kompliziert und nicht WSFgerecht, weil nicht von der Charta von Porto Algre ausgehend
- Die vorgeschlagenen thematischen Achsen engen das Verständnis von „commons“ auf wenige Bereiche ein
- Transformation zu solidarischem Wirtschaften bzw. solidarischen Ökonomien ist zwar der Titel, aber nicht die Leitidee für den Forumsprozess.
Beim Treffen in Barcelona zeigte sich dann auch schnell, dass diese drei Probleme im Vorfeld des Treffens von vielen Anderen genauso oder ähnlich gesehen und artikuliert wurden – so von Pierre George aus Frankreich, der seit 2001 am Auf- und Ausbau der Informations- und Kommunikationsplattform des WSF mitwirkt. Wir vermissten in Barcelona dann auch sehr Aktive aus Rojava, aus selbstorganisierten Antifaprojekten, von Anlauf- und Lebensinseln für Geflüchtete, aus Ökobewegungen usw.. Die Debatte spitzte sich zu als die Einlader einerseits deutlich machten, den WSFTE-Vorbereitungsprozess führen zu wollen, aber „ganz offen und aufgeschlossen“ zu sein und daher auch Andere in den Trägerkreis oder „Bestimmer-Kreis” einlassen zu wollen. Die Bedingungen für diese „Anderen“ wären:
- in globalen Kooperationszusammenhängen aktiv sein
- zum Thema arbeiten; dessen Formulierung aber, wie bemerkt, zum einen Commons einengt und zum anderen nicht auf sozialökologische Transformation fokussiert
- Finanzmittel einspielen, was Arme meist nicht können.
Die Charta von Porto Alegre aber sagt:
- An den Forumsprozessen teilnehmen und mitwirken können alle, die wollen, dass jeder Mensch selbstbestimmt in Würde und in intakter Natur leben und die Entwicklung der Gesellschaft mitbestimmen können; alle, die in den Forumsprozessen demokratische Gemeinsamkeit leben wollen. „Teilnehmen“ bedeutet keinesfalls eine Beschränkung auf jene, die letztendlich beim WSFTE physisch dabei sein können. Deshalb ist ja openWSF als Informations- und Kommunikationsplattform geschaffen worden.
- Thematische Achsen werden von den WSF-Arbeitsgremien vorgeschlagen und dienen als Orientierung und Meetingpoint für jene, die selbstorganisierte Aktivitäten zum Forum anmelden
- Die Organisatorinnen und Organisatoren verstehen sich als Dienstleister für bestmögliche Kommunikation, Beratung, Vernetzung, Vereinbarung
- Alle an den Forumsprozessen Beteiligten sind einander gleichgestellt und wollen individuell wie gemeinsam lernen, arbeiten und feiern.
Zumindest einige VIPs von REAS, RIPESS und xes wollten aber keine Rückkehr zur Charta von Porto Alegre. Und so sind wir also abgereist ohne klären zu können, ob es ein WSFTE 2020 oder später geben wird. Nach dem aktuellen Stand der Dinge wird es wohl eher ein Forum geben, zu dem die Drei plus x einladen. X wären dann jene, die den Bedingungen der Drei entsprechen wollen und können. Aber der Prozess kann ja doch vielleicht noch verändert werden. Mehrere haben vorgeschlagen, das Projekt zeitlich zu verschieben, um eine breitere Beteiligung zu ermöglichen. Pierre George hat zur kritisch-solidarischen Einmischung in den Prozess über openWSF eingeladen.