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Am 7. Oktober redete Jacques Delors im Europäischen Parlament zum großen Jahrestag der „deutschen Einigung“ und meinte, dass die Integrationsprobleme der neuen EU-Mitgliedsländer nur gelöst werden könnten, käme eine „europäische Seele“ zur Wirkung. Dabei war von „Solidarität“ und „demokratischer wirtschaftspolitischer Regulierung“ keine Rede.

Eurostat fand heraus, dass 75% der EU-Bürger/innen eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf EU-Ebene wollen, in der Slowakei sind es sogar 89% und in Zypern 87%. 71% sind bereit, Reformen zugunsten künftiger Generationen mitzutragen. 92% meinen, dass die Arbeitsmärkte modernisiert werden müssten, um die Beschäftigungsquote zu steigern und dass Unterstützung vor allem den Armen und sozial Ausgegrenzten zukommen solle. 90% unterstützen einen wirtschaftspolitischen Kurs auf weniger Ressourcenverbrauch und Kohlendioxydemissionen. 79% wollen EU-Engagement, um den global Ärmsten Hilfe zu erweisen. Sie meinen, dass die Unterstützung ihrer Länder über eine EU-Koordinierung wirksamer werden könne.

Bei aller Problematik von Umfragen zeigen sie dennoch eine große Bereitschaft unter den EU-Bürger/innen, solidarisch und verantwortungsvoll zu handeln. Die Frage ist, ob hier offizielle EU-Politik ansetzt, um die „Seele“ der EU zu finden bzw. zu „erschaffen“.

Das könnte man vielleicht auch zunächst meinen, liest man in der jüngsten Mitteilung der Europäischen Kommission zur Besteuerung des Finanzsektors: Entwicklungshilfe, Ressourceneffektivität und die Bekämpfung des Klimawandels sind „Schlüsselherausforderungen“, die für besondere Steuern auf Finanzoperationen sprechen. Die Kommission will über derartige Steuern 1) die Effektivität und Stabilität der Finanzmärkte erhöhen, gegen ihre Anfälligkeit und “überzogen riskante” Geschäfte vorgehen, 2)  öffentliche Hilfen zur Bankenrettung und –stabilisierung nachträglich legitimieren und wenigstens teilweise kompensieren, 3) der Kritik an den Mehrwertsteuer-Freistellungen für viele Finanzdienstleistungen entsprechen.

Insgesamt geht es um mehr Haushaltseinnahmen, um Mittel im Kampf mit den Haushaltsdefiziten, für die Meisterung der „Schlüsselherausforderungen“.

Das wäre ja auch nur zu begrüßen, wären die Steuern konzipiert als a) wirksame Instrumente sozial gerechter Umverteilung zuungunsten der Großen im Finanzsektor und zugunsten gerechter Problemlösungen, b) Bestandteile von Reformen, die den Finanzsektor Bedürfnissen und Erfordernissen gesellschaftlicher Reproduktion unterordnen.

Das sind diese Steuern aber nicht – weder die Finanztransaktionssteuer (hier würde jede Finanztransaktion entsprechend ihrer Höhe besteuert) noch die für die EU präferierte Finanzaktivitätssteuer (hier würden lediglich die Erträge und Vergütungen von Unternehmen im Finanzsektor besteuert).  Sie sollen die Realisierungsbedingungen für die EU2020 verbessern, die auf gesteigerte globale Konkurrenzfähigkeit zielt.

Trotzdem schreien einige Großakteure auf den Finanzmärkten schon wieder „Mordio!“ und die Deutsche Bank relativiert ihr Lob für die Europäische Kommission. Ende September bestätigte die Bank der Kommission noch „gute Arbeit“ für ihre Gesetzesentwürfe zum Stabilitätspakt, zur nationalen Haushaltspolitik und zur Minderung makroökonomischer Ungleichgewichte.

Die Vorschläge entsprechen voll und ganz herrschender wirtschaftspolitischer Logik und zeigen, dass „die Deutschen“ sich mal wieder erfolgreich mit ihren Interessen durchgesetzt haben. Der „Seele“ der EU sind sie jedoch nicht förderlich, denn es geht letztendlich um: mehr BIP-Wachstum statt sozialökologischem Umbau, um einen Abbau der Haushaltsdefizite und makroökonomischen Ungleichgewichte, der nicht sozial nachhaltig ist (womit nicht gegen Schuldenabbau polemisiert wird) und um einem Gebrauch von Sanktionen im neoliberalen Sinn:

– Die Vorgaben für die gemeinsame Fiskalpolitik und die Lösungsansätze für makroökonomische Ungleichgewichte werden besser miteinander verzahnt

– Verschärfte Sanktionen mittels verzinslicher und unverzinslicher Einlagen sind das zentrale Element zweifelhafter Reform

– Länder der Wirtschafts- und Währungsunion, die die Grenzwerte für ihre Haushaltsdefizite überschreiten, dürfen ihre Ausgaben nicht über das Potenzialwachstum ihrer Volkswirtschaften ansteigen lassen. Dauerhafte Verstöße können mit verzinslichen Einlagen in Höhe von 0,2% des BIP sanktioniert werden

– Eine Sanktion in Form einer unverzinslichen Einlage kann schon dann verhängt werden, wenn ein Defizitverfahren eingeleitet wurde und eine Empfehlung der Europäischen Kommission vorliegt. Folgt das Mitgliedsland nicht der Empfehlung, kann die Einlage auf 0,5% des BIP steigen

– Künftig soll ein Defizitverfahren bereits eingeleitet werden, wenn das öffentliche Defizit 60% des BIP übersteigt. Dann muss sich das Surplus um jährlich 5% verringern. Andernfalls sollen Sanktionen greifen

– Weil der Stabilitäts- und Wachstumspakt eine entsprechende Haushaltspolitik verlangt, soll es eine ergänzende Richtlinie geben – mit einheitlichen Mindeststandards für Rechnungslegung, Prognosen, Haushaltsverfahren und –vorschriften für die nationalen Budgets. Künftig sollen nationale Haushaltsregeln den Zielen des Stabilitäts- und Wachstumspakts deutlich entsprechen, so auch die mehrjährige Haushaltsplanung

– Zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte in der WWU und der gesamten EU sollen die Bilanzen bzw. die Ungleichgewichte mit Hilfe eines einheitlichen Indikatorensatzes reflektiert und bewertet werden. Hier drohen bei Ignoranz der Kommissionsorientierung Sanktionen in Höhe von 0,1% zum BIP

– Die Maßnahmen zur Senkung des Schuldenüberschusses und die strikte Ausgabenorientierung müssen einstimmig beschlossen werden, die übrigen Regelungen bedürfen der qualifizierten Mehrheit (55% der Mitgliedsländer, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren). Zum Haushalt soll das EP lediglich gehört werden.

Wer Märkte stabilisieren und regulieren will, um Konkurrenzfähigkeit zu steigern, muss auf Sanktionen zugunsten marktkonformen Verhaltens setzen und die „Schlüsselherausforderungen“ als nachrangig bearbeiten. Wer Märkte stabilisieren und regulieren will, weil ihre/seine Priorität der Kampf gegen Armut, soziale Ausgrenzung und Naturzerstörung sind, bekämpft Konkurrenzzwänge. Sanktionen wären dann vor allem Instrumente, um den Kampf gegen soziale und ökologische Zerstörung zu stärken.

siehe: ec.europa.eu/economy_finance/articles/eu_economic_situation/2010-09-eu_economic_governance_proposals_en.htm

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