Feed on
Posts
Comments

EU im Sommer (1)

Trotz Sommerloch geschieht EU-politisch nicht wenig und man sollte genau hinsehen, um im Herbst nicht unangenehm überrascht zu sein. Schließlich ist nicht zuerst akademisch interessant, wie bei zunehmendem Problem- und Handlungsdruck Interessenwidersprüche wachsen – nicht zuletzt zwischen den staatlichen Akteuren in den verschiedenen Ressorts und auf den verschiedenen Ebenen und so innerhalb und zwischen den Regierungen der EU-Mitglieder untereinander und den EU-Institutionen. Dabei nehmen Zentralisierungstendenzen zu und auch in Deutschland Lobbyismus-Einfluss auf Regierungshandeln. Beim Abbau ökologiefeindlicher Subventionen, bei der Bankenaufsicht und kleinen Erleichterungen im Asylrecht (begrüßt von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger) stört und blockt die Bundesregierung. Aber sie gibt sich gar zu gern europäisch, wenn es um mehr Repression geht. Insgesamt geht es bei aller Widersprüchlichkeit um “bessere neoliberale Politik”.

Aktuelle Streitpunkte sind wirtschaftspolitische Regulierung/Konsolidierung der öffentlichen Finanzen/Finanzsektor, Energie, Gentechnik, Patente und das Asylrecht. Bei “mehr Prävention” in Sachen Terrorismusbekämpfung ist man sich hingegen einig und applaudiert der EU-Innenkommissarin Malmström, wenn sie sagt: “In Zukunft werden wir vor allem darauf achten müssen, dass Gesellschaften Radikalisierungen verhindern können, dass wir die Finanzierung des Terrorismus kappen, für die Sicherheit des Verkehrssektors sorgen und eine Krisenreaktionsfähigkeit entwickeln.”

Es geht da keineswegs zuletzt um mehr Überwachung und Vernetzung von militärischen und zivilen Akteuren statt um das Recht eines jeden Menschen auf ökologisch verantwortbare Mobilität. Wie immer dreht es sich auch und insbesondere um chemische, biologische, radiologische und nukleare Sicherheit. Aber die Europäische Kommission hat keine Probleme, für den Bau des Demonstrations-Fusionsreaktors ITER (zusätzliche) Finanzquellen zu finden. Gegenüber der Planung hat sich der ursprünglich konzipierte EU-Kostenanteil von 2,7 Mrd. Euro mehr als verdoppelt.

Hier protestiert Merkel nicht, obwohl sie über das Kommissionsvorhaben zetert, wonach nur noch bis 2014 staatliche Kohleabbau-Subventionen zugelassen wären, wenn ein Stilllegungsplan vorliegt.

Die Umwidmung der Kohle-Subventionen in Fördermittel für soziale und ökologische Regionalentwicklung ist schon seit Jahrzehnten überfällig.

Die Kohlepartei CDU/CSU will gerade die EU-Regionalförderung reformieren – zugunsten der Stärkeren und der Standortkonkurrenz unter den Regionen. Ihre Bundestagsfraktion hat ein 23-Punkte-Papier vorgelegt, in dem sie den EU-Höchstzuschuss von 85% der Fördermittel für strukturschwache Regionen auf 65% absenken, die Regionalförderung an Leistungskriterien binden will. “Defizitsünder” sollten künftig keine Gelder aus dem EU-Haushalt bekommen und die Losung lautet “Eigenverantwortung der Regionen stärken”.

Damit würden territoriale und soziale Spaltungen in der EU forciert wachsen und deren Kohäsion weiter in Frage gestellt.

Finanzminister Schäuble (CDU) hat mit seiner französischen Amtskollegin einen EU-Rahmen zur nachhaltigen Haushaltskonsolidierung vorgeschlagen. Das Positionspapier ist an die von van Rompuy geleitete Task Force gegangen. Es zielt auf gesetzliche Regelungen und insbesondere auf frühzeitige und härtere Sanktionen gegen “Defizitsünder”. So sollen ebenfalls Streichungen von Mittelzuweisungen aus dem EU-Haushalt zur Anwendung kommen können und verzinsliche Einlagen bei unzulänglichen Fortschritten in der mittelfristigen Haushaltssanierung. Private Verschuldung und nationale Wettbewerbsfähigkeit seien in den Konsolidierungsplänen angemessen zu berücksichtigen.

Bei der EZB, wo man sogar über Wege zu einer entsprechenden Änderung des Lissabonner Vertrages nachdenkt, wird man sich über diese Initiative sehr freuen.

Wie in anderen EU-Institutionen und manchen Euroländer-Regierungen will man dort mehr Regulierung. Dagegen wäre ja auch nichts einzuwenden, würde es nicht darum gehen, dass lediglich neoliberale Politik weiter fortgeschrieben und besser umgesetzt würde.

Auch gegen das von der Europäischen Kommission praktizierte genauere Hinsehen beim Umgang mit Zahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ist nicht das Kritikwürdige, sondern die GAP und die Haushaltspolitik. Nicht dass die GAP wieder “nationalisiert” werden sollte – das sollte sie keinesfalls – sondern dass sie nicht sozial und ökologisch nachhaltig ist, ist das Problem.

Dieser Mangel wird noch gemehrt einerseits durch die Kapitulation der Europäischen Kommission bei der Anbau-Regelung genmodifizierter Pflanzen, andererseits durch Pläne des Europäischen Patentamtes, Tomaten- und Gemüsepflanzen zu patentieren. Beides lässt konkrete Konzerne – auch und insbesondere in Deutschland – frohlocken, obgleich der Rückschlag bei der Genpflanzen-Anbau-Klärung die Kanzlerin verärgert. Sie hat schon Recht, wenn sie hier auf den einheitlichen Binnenmarkt und nötige EU-Direktiven verweist. Fragt sich bloß: In wessen Interesse?

Der einheitliche Markt hat sie und ihre Leute nun keinesfalls daran gehindert, über Monate hinweg jenen im Finanzministerium nachzugeben, die gegen eine konsequente europäische Bankenaufsicht agieren. Deutschland hat hier verschleppt und behindert. Und dass die Kriterien für den Stresstest der Banken nun so sind wie sie sind – nämlich viel zu weich – geht wesentlich auf das deutsche Konto.

Da fällt es den Institutionen der EU leichter, hart in den Verhandlungen über Hilfsgelder für Ungarn zu bleiben und sie können sich hierbei deutscher Unterstützung sicher sein.

Mit dieser allerdings ist sofort Schluss, wenn es im Asylrecht um leichte Besserungen zugunsten Betroffener – in den Transitbereichen auf Flughäfen, für Kinder und Minderjährige – gehen soll. Schließlich sind in Deutschland nur Spitzenkräfte für Forschung, Lehre und Wirtschaft willkommen.

Interessant ist das Vorpreschen der Umweltminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, um das EU-CO2-Reduktionsziel 2020 von 20% (gegenüber 1990) auf 30% zu erhöhen, was Freude in Teilen der Europäischen Kommission ausgelöst hat. Aber sofort kam Protest aus Deutschland, so vom Centrum für Europäische Politik (CEP), weil dies die deutsche Wirtschaft über Gebühr belaste. Allerdings weiß auch das CEP, dass (laut jüngster Studie des Bundesumweltamtes) die Erlangung des 2°-Zieles tagtäglich unwahrscheinlicher wird. Dass die globale Erwärmung schon lange Millionen Menschen das Leben unerträglich macht, interessiert gar wenig, was „Rassismus“ genannt werden muss.

Angesichts der Fakten und Probleme sollte immer offensichtlicher werden: Die Linken in Europa brauchen effektive europäische Sozialforumsprozesse und nach Istanbul mehr denn je.

Leave a Reply

You must be logged in to post a comment.

Facebook IconTwitter IconView Our Identi.ca Timeline