Das Wachstums- beschleunigungsgesetz ist die erste Maßnahme der neuen Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP. Wachstumsmotor soll wieder der Export werden. Doch auch der deutsche Exportismus (Ngai-Lin Sum)immer weiter steigender Exporte bei dahin siechender Binnennachfrage wird sich – ebenso wenig wie in China – nicht einfach restaurieren lassen. Ökologische, v.a. aber ökonomische Grenzen und Ungleichgewichte sprechen dagegen.
1. Trotz 30 Jahren Umweltpolitik und effizienterer Technologien wurde der Ausstoß klimarelevanter Gase und der Verbrauch von Rohstoffen nicht nur nicht reduziert, sondern sogar beschleunigt. Laut Weltklimarat IPCC entspricht dies dem Worst-Case-Szenario einer drohenden Erwärmung um sechs Grad Celsius – das 2-Grad-Ziel eines vermeintlich noch beherrschbaren Klimawandels ist bereits verfehlt. Jeder Versuch, kapitalistisches Wachstum wieder in Gang zu bringen – steht im direkten Widerspruch zur Lösung der ökologischen Krise.
2. Faktisch betrug das jährliche Wachstum der deutschen Wirtschaft zwischen 2001 und 2007 durchschnittlich ohnehin nur noch 1,1%. Die Tendenz seit den 1970er Jahren: fallend. – Ökonomische Grenzen des Wachstums, nicht zuletzt aufgrund der ‚strukturellen Heterogenität’ zwischen Exportismus und schwacher Binnenentwicklung. Aus ökologischer Sicht muss die stoffliche Produktion in jedem Fall schrumpfen.
3. Die einseitige Orientierung auf Exportwachstum geht einher mit seit 1990 stagnierenden Reallöhnen (auch im Boomjahr 2007/8). In keinem europäischen Land ist der Niedriglohnsektor so rasant gewachsen. Der Konsum spielt als konjunkturelle Stütze daher kaum eine Rolle: Sein Beitrag zum realen Wirtschaftswachstum lag zwischen 2001 und 2007 bei durchschnittlich 0,11% pro Jahr. Kaum ein anderes Land ist so abhängig vom Export: ca. 45% des BIP hängen davon ab. Die deutschen Handelsbilanzüberschüsse summieren sich seit 2001 auf abenteuerliche 1 Bio. € und tragen so zu den riesigen Leistungsbilanzungleichgewichten in der Welt bei. Gleichzeitig macht diese ‘strukturelle Heterogenität’ den Exportweltmeister besonders anfällig für globale Krisen wie die gegenwärtige.
4. Doch es fehlt an einer Perspektive für das deutsche Export- und Wachstumsmodell. Angesichts einer verbreiteten Orientierung zum Abbau der in Folge der Krise exorbitant gewachsenen Staatsschulden, enormer Überkapazitäten und stagnierender Nachfrage sind in den nächsten Jahren stark deflationäre Tendenzen zu erwarten. Gleichzeitig befördern die mangelnden Profitaussichten eine bisher kaum abgebaute finanzielle Überakkumulation, asset price inflation (Wertpapier und Aktienkurs-Inflation), sowie neue Spekulationsblasen, bei gleichzeitig steigenden Öl- und Ressourcenpreisen aufgrund von Peak-Oil und Knappheiten. Eine globale Stagflation?
5. Es ist notwendig von exportistischen Wahn und dem Fetisch des Wachstums loszukommen. Aber wie? Ein Systemhopping gibt es nicht. Es braucht also transformatorischer Schritte – einer revolutonären Realpolitik (Rosa Luxemburg). Ein Einstiegsprojekt wäre die sozialökologische Konversion der Automobilbranche. Staatliche Kapitalhilfen wären an Konzepte alternativer Entwicklungswege und die Beteiligung am Eigentum bzw. die volle Vergesellschaftung des Unternehmens zu knüpfen. Dies wäre mit einer Form von erweiterter Partizipation von Beschäftigten, Gewerkschaften und Region zu verbinden, z.B. in regionalen Räten, die über konkrete Schritte einer Konversion des Automobilkonzerns in einen ökologisch orientierten Dienstleister für öffentliche Mobilität entscheiden.
6. Dies ist einzelbetrieblich nicht zu leisten, erfordert einen tiefgreifenden Strukturwandel. Eingebettet in eine makroökonomische Orientierung würde Konversion dann bedeuten, unsere wachstumsorientierte kapitalistische Ökonomie in eine »Reproduktionsökonomie« zu transformieren, die sich zu beschränken weiß und zugleich neuen Reichtum schafft. Konzentrieren wir uns auf eine bedürfnisorientierte solidarische »Care Economy«, in der Menschen füreinander sorgen: soziale Infrastrukturen öffentlicher Gesundheit, Erziehung und Bildung, Forschung, soziale Dienste, Ernährung(ssouveränität), Pflege und Schutz unserer natürlichen Umwelten. Das sind zentrale Bedürfnisse, in denen alle seit Jahren Mangel beklagen. Das wäre ein Beitrag zu einer wirklich ökologischen Produktions- und Lebensweise und zur Entwicklung einer Praxis des »buen vivir« (guten Lebens), wie sie nicht nur in Lateinamerika erprobt wird.
7. Damit geht eine Orientierung auf Binnenmarkt und -produktion einher. Die Tendenz zu Deglobalisierung und Regionalisierung der Wirtschaft trägt auch zum Abbau von Leistungsbilanzungleichgewichten und der Exportfixierung bei. Mit dem (nicht-warenförmigen) Ausbau des Öffentlichen werden Märkte und Privatisierung zurückgedrängt. Angesichts der Notwendigkeit zur Schrumpfung bestimmter Produktionen sind darauf aufbauend Strategien einer just transition, eines sozialen Übergangs, zu entwickeln. Dies heißt auch, das andere Bereiche zunächst wachsen müssen, bei relativer Entkopplung vom stofflichen Wachstum. Ein solches qualitatives Wachstum ist übergangsweise nicht zuletzt aufgrund der Defizite in vielen Bereichen der Reproduktion notwendig – dies gilt vor allem für Länder des globalen Südens.
8. Die Reproduktionsarbeit im weiten Sinne ins Zentrum eines Transformationsprojektes zu stellen, ermöglicht eine Abkehr vom Fetisch Wachstum – und stellt damit zugleich mittelfristig die kapitalistische Produktionsweise in Frage. Letztlich wird damit die Frage aufgeworfen, wer über den Einsatz der Ressourcen in der Gesellschaft entscheidet und welche Arbeiten gesellschaftlich notwendig sind. Dazu braucht es auch Elemente partizipativer Planungsprozesse, consultas populares und peoples planing processes, demokratischer Räte.
[…] (Gabriele Winker in LuXemburg 3/2010) oder der ‘Reproduktionsökonomie’ (Candeias). Hier gibt es viele Anschlussmöglichkeiten an sozial-ökologische Wachstums- und […]