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Die Europäische Kommission hat am 3.3.2010 ihre Mitteilung „Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ vorgelegt. Damit hat sie auf eine Reihe von Meinungsäußerungen im Rahmen der Konsultation zur Lissabon-Nachfolgestrategie EU2020 reagiert. Der Europäische Rat soll Mitte März die Grundlinien der Strategie beschließen und im Juni die Strategie insgesamt. Die Eile wurde seitens von NGO, ökologischen und sozialen Organisationen heftig kritisiert. Diese Akteure haben ebenso herausgestellt, dass die soziale und ökologische Dimension der Probleme unterschätzt wird. Unternehmerverbände forderten hingegen mehr Konsequenz in Sachen Deregulierung bei Hilfen für “die Wirtschaft“ zwecks Steigerung von Konkurrenzfähigkeit.

Nahezu alle an der Konsultation Beteiligten forderten mehr Verbindlichkeit „europäischer“ Ziele, Richtlinien und Instrumente und meinten damit Unterschiedliches.

Die Kommission wollte es nun „allen Recht“ machen und dennoch den Macht- und Interessenkonstellationen Rechnung tragen. Das findet seinen symbolischen Ausdruck in den vorgeschlagenen „drei sich gegenseitig verstärkenden Prioritäten:

– Intelligentes Wachstum: Entwicklung einer auf Wissen und Innovation gestützten Wirtschaft

– Nachhaltiges Wachstum: Förderung einer ressourcenschonenden, ökologischeren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaft

– Integratives Wachstum: Förderung einer Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und ausgeprägtem sozialen und territorialen Zusammenhalt“.

Wer auf Wachstum setzt, setzt auf Erhalt der bestehenden gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse und damit auf entsprechende Produktions- und Konsumtionsstrukturen. Man achte auch auf die Reihenfolge und Formulierungen – die klar sagen: Mehr Forschung, Entwicklung und Bildung für mehr Konkurrenzfähigkeit. Ökologische Probleme sollen insbesondere mit besserer Technologie und mit Gewinn an globaler Konkurrenzfähigkeit gelöst werden. Das ist auch die Bedingung für mehr Beschäftigung und soziale Kohäsion.

Das ist vom Grundsatz her die Wiederholung bisheriger Prioritäten und Denkweise, die nun energischer verfolgt werden sollen, was mehr soziale Repression bedeutet, denn die sozialen und globalen Probleme werden folgerichtig weiter wachsen.

„Die EU muss festlegen, was sie bis 2020 erreichen will. Dazu schlägt die Kommission folgende EU-Kernziele vor:

– 75% der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren sollten in Arbeit stehen.

– 3% des BIP der EU sollten für F&E aufgewendet werden.

– Die 20-20-20-Klimaschutz-/Energieziele sollten erreicht werden (einschließlich einer Erhöhung des Emissionsreduktionsziels auf 30%, falls die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind).

– Der Anteil der Schulabbrecher sollte auf unter 10% abgesenkt werden, und mindestens 40% der jüngeren Generation sollten einen Hochschulabschluss haben.

– Die Zahl der armutsgefährdeten Personen sollte um 20 Millionen sinken.“

Man achte ferner auf die Verwendung des Konjunktivs, die unzulänglichen sozialen und ökologischen Ziele und auf das Attribut „armutsgefährdete Personen“. Dies wird nur per Anmerkung mit der einst vereinbarten Definition von Einkommensarmut erklärt: mindestens 60% des nationalen Medianeinkommens.

Damit werden die Definition von Armut zur nationalstaatlichen Angelegenheit und die Problematik sozialer Mindeststandards in der EU entsorgt.

Wo soll auch eine „Sozialunion“ Raum finden, wenn gerade im Kontext mit Griechenland klar gestellt wird, dass die sozialen Folgen von Finanzkonsolidierung eher unwichtig sind und die Union nicht berühren?

„Die Kommission schlägt sieben Leitinitiativen vor, um innerhalb der einzelnen Prioritäten Fortschritte herbeizuführen:

– ‚Innovationsunion’, um die Rahmenbedingungen und den Zugang zu Finanzmitteln für Forschung und Innovation zu verbessern und auf diese Weise sicherzustellen, dass innovative Ideen in wachstums- und beschäftigungswirksame Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden können

– ‚Jugend in Bewegung’, um unsere Bildungssysteme leistungsfähiger zu machen und den Jugendlichen den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu erleichtern

– ‚Digitale Agenda für Europa’, um den Ausbau schneller Internet-Zugangsdienste zu beschleunigen und die Vorteile eines digitalen Binnenmarktes für Haushalte und Unternehmen zu nutzen

– ‚Ressourcenschonendes Europa’, um das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln, den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu unterstützen, die Nutzung erneuerbarer Energieträger und die Energieeffizienz zu fördern sowie unser Verkehrwesen zu modernisieren

– ‚Industriepolitik im Zeitalter der Globalisierung’, um die Rahmenbedingungen für Unternehmen, insbesondere für KMU, zu verbessern und eine international wettbewerbsfähige starke und tragfähige Industriestruktur zu fördern

– ‚Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten’, um die Arbeitsmärkte zu modernisieren, den Menschen durch den lebenslangen Erwerb von Qualifikationen neue Möglichkeiten zu eröffnen und so die Erwerbsquote zu erhöhen und Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt u.a. durch Arbeitsmobilität besser aufeinander abzustimmen

– ‚Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut’, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt zu gewährleisten, damit die Vorteile von Wachstum und Beschäftigung allen zugute kommen, und Menschen, die unter Armut und sozialer Ausgrenzung leiden, in Würde leben und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.“

Diese sieben Ziele stützen o. g. Einschätzung. Die „Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut“ ist bei fehlenden Kriterien ein nichtssagendes „schmückendes Beiwerk“, auch wenn die Europäische Kommission erklärt:

„Diese sieben Leitinitiativen sollen für die EU und für die Mitgliedstaaten bindend sein. Die auf EU-Ebene verfügbaren Instrumente und insbesondere der Binnenmarkt, finanzielle und außenpolitische Instrumente, werden voll in den Dienst der Strategie gestellt, um Hindernisse zu überwinden und die Ziele von Europa 2020 zu verwirklichen. Als unmittelbare Priorität erfasst die Kommission, was getan werden muss, um eine glaubwürdige Ausstiegsstrategie festzulegen, die Reform des Finanzsystems fortzuführen, die für ein langfristiges Wachstum erforderliche Haushaltskonsolidierung sicherzustellen und die Koordinierung innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion zu verstärken.“

Wie auch Armut und ökologische Zerstörung bekämpfen, wenn an den bisherigen Prinzipien und Instrumenten festgehalten wird?

„Um Ergebnisse zu erzielen, wird eine stärkere wirtschaftspolitische Steuerung erforderlich sein. Die Strategie Europa 2020 wird auf zwei Säulen fußen: dem vorstehend skizzierten thematischen Ansatz, in dem Prioritäten und Kernziele miteinander verknüpft werden, und dem System der Länderberichte, das die Mitgliedstaaten dabei unterstützen soll, eigene Strategien für die Rückkehr zu nachhaltigem Wachstum und soliden öffentlichen Haushalten auszuarbeiten. Auf EU-Ebene werden integrierte Leitlinien zur Festlegung der Prioritäten und Ziele der EU verabschiedet. An die Mitgliedstaaten werden länderspezifische Empfehlungen gerichtet. Werden diese nicht in angemessener Weise umgesetzt, können politische Warnungen ausgesprochen werden. Die Berichterstattung im Rahmen von Europa 2020 sowie des auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt gegründeten Bewertungsverfahrens erfolgt gleichzeitig; allerdings handelt es sich um zwei getrennte Instrumente, so dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt unberührt bleibt.“

Das ist nun fast schon Satire, denn die Preisstabilität in der Eurozone und die Wechselkurse des Euro einerseits, die strategischen Ziele der EU und die Offene Methode der Politikkoordinierung andererseits sind wirklich zwei getrennte Instrumente. Folgt man der Logik der Kommission, muss man schon ehrlich sagen: Die Priorität haben Preis- und Eurostabilität. Nur geht das schwer zusammen mit dem Ringen um Stärke und Machtposition des globalen Akteurs EU, der „zweitrangig“ würde, würde man weiter machen wie bisher, wovor die Kommission warnt.

Ergo: Die Mitteilung der Europäischen Kommission fordert zusätzlich zu einem linken Europa- und EU-Projekt heraus. Wir werden dazu in Kürze erneut ein Diskussionsangebot auf den Tisch legen.

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