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9. November

Vor 40 Jahren, am 9. November 1969, starb im Alter von 47 Jahren Werner Hofmann, zwischen 1966 und 1969 Soziologe und Ökonom an der Universität Marburg. Die Google-Welt vermerkt zu diesem Datum ganz anderes und auch ihre Abteilung Bilder kennt Hofmann nicht, der zur Handvoll von Marx stark beeinflusster Soziologen und Ökonomen dieser Zeit gehörte. Freilich sind öffentliche Bilder Hofmanns rar, die digitale Welt existierte noch nicht und Hofmanns eigener Hang zur scharfen Ideologiekritik liess das Visuelle im Unterschied zu anderen Kunstformen aus. In seinem  wissenschaftlicher Nachlass, um dessen Edition 1986-1988 Herbert Claas und ich uns bemühten, findet sich dazu nichts.

Wikipedia publiziert einen knappen, aber theoriefreien und politisch recht fehlgehenden Artikel, der ebenso das demokratie- und hochschulpolitische Engagement Hofmanns ignoriert wie zentrale Publikationen (z.B. die posthume Textsammlung Monopol, Stagnation und Inflation (Distel Hefte 12 Heilbronn 1987). Erst recht vermittelt er keinerlei Anschauung der “Verbindung von wissenschaftlicher Korrektheit, persönlichem Mut und politischem Gestaltungswillen” (Dieter Boris), die ihn auszeichnete. Wer diese beeindruckende, oft auch buchstäblich beängstigende, ordinarial-autoritäre Person näher kennenlernen möchte, sollte zu dem von Herbert Claas und anderen herausgegebenen Band Werner Hofmann. Gesellschaftslehre in praktischer Absicht (Forum Wissenschaft Studien Bd. 46, BdWi-Verlag Marburg, 1999, 276 S.) greifen, der erst drei Jahrzehnte nach Hofmanns Tod von vielen seiner Mitarbeiter wie Studierenden publiziert wurde – was die kritische Sicht auf den Ordinarius Hofmann beförderte.

Und natürlich zu seinen Texten. Fasziniert, ermutigt und eingeschüchtert hat viele der selbstgewissen zu 68`ern mutierten Studierenden sein massiv enzyklopädischer Anspruch, der den Kapitalismus und die Sowjetökonomie und -macht in ihrer geschichtlichen und ideologisch-theoretischen Totalität ebenso zu fassen suchte wie seine aktuelle politisch-gesellschaftliche  und universitäre Umgebung. Politisch konkretisierte sich dies für ihn in einer Runde von Aktivitäten: Hochschulseminare zur Industriesoziologie, zu deren Besuch Betriebsräte eingeladen wurden (ein komplett befremdlicher Vorgang) oder seine Mitwirkung in der Partei Aktion demokratischer Fortschritt (ADF). Hofmann hat mit seiner deutlichen Art der reflektierten Verbindung von Theorie und Praxis mit den Boden bereitet, dass eine lange Generation linker Studierender sich eine andere Existenzweise in Hochschule und Wissenschaft nicht mehr vorstellen konnte. Sie war für Zehntausende Alltagskultur geworden.

Welche Texte lohnt es sich zu lesen?

  • Theoretisch spiegelte sich dies im Anspruch auf Analyse der Gesellschaft als Ganzer – eine Tradition, der sich auch das Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS verpflichtet fühlt.  In Gesellschaftslehre als Ordnungsmacht (Berlin 1961), der unter Mitwirkung von Wolfgang Abendroth verfassten Ideengeschichte der sozialen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts (Berlin 1962), dem zeitkritischen Sammelband Universität, Ideologie, Gesellschaft: Beiträge zur Wissenschaftssoziologie (Frankfurt a.M., 1968) und endlich seinem Essayband mit dem programmatischen Titel  Abschied vom Bürgertum. Essays und Reden (Frankfurt 1970) hat Hofmann zahlreiche theoretisch-wissenschaftshistorische wie ideologiekritische Aspekte dieses klassischen und in der Zeit der Kombinatorik von Postmoderne und Neoliberalismus komplett ad acta gelegten transformatorischen Anspruchs – der eben auf das Ganze der Gesellschaft zielt – entfaltet.
  • Wer einen Zugang zur Analyse des Staatssozialismus sowjetischer Prägung finden möchte, sollte zu Die Arbeitsverfassung der Sowjetunion (Berlin 1956) und zu Stalinismus und Antikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West-Konfliks (Frankfurt a.M. 1967) greifen.
  • In den späten 60er Jahren (bis hinein in die Mitte der 70er) sind eine Fülle kritischer Texte in vergleichsweise atemberaubend hoher (zuweilen 6-stelliger) linker, kritischer, marxistischer Auflage bei Rowohlt, Suhrkamp oder Fischer erschienen, seltener in den etablierten Wissenschaftsverlagen, die  politische Bildung und radikale Aufklärung im besten Sinne lieferten. Neben Jörg Huffschmids Paukenschlag Die Politik des Kapitals (edition suhrkamp 1969) waren Hofmanns Grundelemente der Wirtschaftsgesellschaft (Reinbek 1969) der zweite Basistext einer erstmals in der publizistischen Öffentlichkeit auftretenden Politischen Ökonomie, deren begriffliche Durcharbeitung und Systematik noch heute fasziniert und deren Gebrauchswert anhält. Eine (trotz vieler vergleichbarer Bemühungen in der DDR – sieht man von Jürgen Kuczynski ab ) unerreichte Übersicht zur Ideen- und Theoriegeschichte des ökonomischen Denkens liefern die voluminösen Sozialökonomische Studientexte, Bd. 1-3, (Berlin 1964-66).
  • Endlich hat Hofmann in seiner Industriesoziologie für Arbeiter. Klassenverhältnis und Arbeitsverfassung (Heilbronn 1988) und seinem 1969 geschriebenen, unveröffentlichen Text Die Wirtschaftsgesellschaft des 20. Jahrhunderts (in dem o.erwähnten Band Monopol…) Abrisse der Geschichte des Monopolkapitalismus gegeben, die zahlreiche Aspekte behandeln, die in der aktuellen Forschungsdebatte um den Finanzmarktkapitalismus unterzugehen drohen.

Hofmann war -neben Werner Link – der einzige Hochschullehrer, der mich dazu brachte, mich freiwillig zur nachschlafenden Zeit gegen 9 Uhr (vormittags!) in die Universität zur Vorlesung zu schleppen. Er traktierte mich mit arrogant-antreiberischen Notizen zu Hausarbeiten und rümpfte gleich doppelt seine unübersehbare Nase über meine Lektüre von Lukács` Geschichte und Klassenbewußtsein – und das noch als Raubdruck (schließlich erstreckte sich seine Kritik am Privateigentum an den Produktionsmitteln eben nicht auf die Konsumtionssphäre!). Seine Politikkonzepte waren für uns autoritär (aus den 50ern) und sein Kampf um das Verständnis des wilden SDS blieb fast allen GenossInnen verborgen – wir zogen es vor, nicht mit ihm den Aufzug in den 4. Stock (“Soziologie”) zu betreten. Als er, die ihn ganz offenbar schmerzende Differenz zur radikalen Studierendenbewegung voluntaristisch zu überwinden suchte und eine samstagabendliche Sprechstunde in seinem Privathaus anbot (“Haus der offenen Tür”), traute sich eigentlich niemand.

Er hat Spuren hinterlassen, jahrzehntelang, vielfältige, krasse, unwiederholbare, lebendige.

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