Bei einem Schuldenaudit handelt es sich zunächst „nur“ um die Überprüfung und Evaluierung von Schulden, vor allem in Bezug auf deren rechtliche und moralische Legitimität. In der politischen Praxis werden Schuldenaudits meist mit dem Ziel erstellt, anschließend die (Staats-)verschuldung durch Streichung illegitimer zu reduzieren.
Um zu bestimmen, welche Schulden legitim und welche illegitim sind, braucht es nachvollziehbare und anerkannte Kriterien. Einer der ersten, der sich damit befasste, war der Jurist Alexander Nahum Sack (1927). Er entwickelte das Konzept der „odious debts“ bzw. der „verabscheuungswürdigen Schulden.“ Danach seien Staatsschulden gegenüber dem Ausland nur moralisch gerechtfertigt, wenn sie dem Wohle der zivilen Bevölkerungsmehrheit dienen. Ist dies nicht der Fall und wussten die Gläubiger von den Verwendungszwecken der vergebenen Kredite (z.B. Kredite zur persönlichen Bereicherung eines Diktators), dann sind sie nach Sack mitschuldig und verlieren ihre Ansprüche auf Zins- und Schuldenrückzahlung. Gläubiger sollten demnach Kredite nur unter transparenten Bedingungen und mit dem Wissen über ihre Verwendung vergeben. Das Kriterium sei das Wohl des Staates bzw. der Bevölkerungsmehrheit.
Schuldenaudit in der Praxis und bestehende Initiativen
Beispiele, in denen sich Regierungen weigerten, Schulden ihrer Vorgänger anzuerkennen, finden sich, lange bevor Griechenland in Schwierigkeiten geriet. So zitieren die Unterstützer/innen eines Audits gerne den Fall Costa Rica gegen Großbritannien: 1917 putschte der frühere Kriegsminister Frederico Tinoco in Costa Rica und errichtete eine Diktatur. Anschließend nahm er Kredite zu seinen Gunsten auf und schloss verfassungswidrige Verträge mit britischen Firmen. Nach seinem Sturz weigerte sich die Folgeregierung, diese Schulden zurückzahlen – und erhielt vor dem höchsten US-Gericht Recht, da die Kredite und Verträge nicht rechtlich gestützt und lediglich der persönlichen Bereicherung des Diktators dienten.
Vor allem seit den 1980er Jahren ist das Thema wieder aktuell und erlangte besonders in Lateinamerika große Bedeutung. Dort und damals kam es jedoch genauso wenig wie auf dem afrikanischen Kontinent zu einem Abkommen über die rechtliche und moralische Legitimität von Schulden bzw. über eine entsprechende Schuldenstreichung. Ende der 1990er Jahre bestanden über den gesamten Globus verteilt viele verschiedene Initiativen, die sich seither für Schuldenaudite und -streichungen stark machen. Sie erfuhren 2007 in Equador einen Höhepunkt, wo der damalige und heutige Präsident Correa eine staatliche Kommission einsetzte, die die rechtliche und moralische Legitimität der gesamten Auslandsverschuldung überprüfte (Schulden bei privaten Banken, beim IWF, der Weltbank und bei anderen Staaten). Im Jahr 2008 wurden schließlich ca. 70% der Schulden für illegitim befunden. Nur 30% der Schulden wurden anerkannt und letztlich getilgt.
Auch in Europa entstanden in den 1980er und 1990er Jahren Initiativen und Zusammenschlüsse von Menschen, die sich für Schuldenaudits und -streichungen zugunsten armer Länder engagierten. So gründete sich im März 1990 in Brüssel das „Committee for the Abolition of Third World Debt“. Im Zuge der globalen Finanzkrise 2012 bildete sich wiederum in Brüssel ein Netzwerk, das sich explizit für Schuldenaudits einsetzt: „International Citizen Debt Audit Network“ (ICAN). Es besteht aus Organisationen aus bisher 11 verschiedenen europäischen und nordafrikanischen Staaten. Es veranstaltete bereits drei Konferenzen, die jüngste in Thessaloniki. Die nächste wird Ende März diesen Jahres in London stattfinden.
In Deutschland selbst gibt es eine solche Organisierung bisher nur ansatzweise. In der RLS interessiert man sich dafür sehr und insbesondere für das Beispiel Norwegen. Das Land hatte in den 1970er Jahren im Zuge einer Kampagne zur Förderung seiner Werften 21 Ländern Kredite zum Kauf von Schiffen gewährt. Dabei wurde keinesfalls geprüft, ob das für die Empfängerstaaten entwicklungspolitisch und ökonomisch sinnvoll war. Eine Initiative von entwicklungspolitischen NGO‘s begann, mit Hilfe von Fachleuten und linken Politiker/innen die Verträge auf gesetzliche und moralische Legitimität zu prüfen. 2012 setzte Norwegen als erstes Geberland eine Kommission ein, die die Schulden von Entwicklungsländern in 34 Fällen überprüfen sollte. Dazu liegt nunmehr ein Bericht vor, der als Unterstützung für Schuldenaudits dienen kann.
Auch Syriza stützt sich auf derartige erfolgreiche Beispiele. Schon im Wahlprogramm zu den letzten Parlamentswahlen hat die Partei im Falle ihres Eintritts in die Regierung ein offizielles Schuldenaudit angekündigt. Auch ihr Wahlprogramm für die Wahlen zum Europäischen Parlament enthält eine solche Forderung bzw. Position. Die Partei und ihr Vorsitzender, der zugleich Spitzenkandidat der Europäischen Linkspartei ist, verweisen zum einen auf die Korruptheit verschiedener griechischer Regierungen. Zum anderen thematisieren sie sozial wie ökologisch zerstörerische Projekte mit deutschen und französischen Firmen, nicht zuletzt in der Rüstungsindustrie. Zum dritten beweisen sie, dass die sogenannten „Rettungspakete“ der Troika vor allem die Vermögen der eigenen Reichen und Konzerne retten, aber nicht jenen Teil der griechischen Bevölkerung, der Hilfe zum sozialen Überleben braucht.
[…] weitem nicht der wichtigste. Das bekräftigt noch einmal die Notwendigkeit von Initiativen wie dem Schuldenaudit auf der höheren Ebene und der Demokratisierung von Haushaltspolitik vor allem in den […]