Mitte Mai 2011 entstand in Spanien die Bürgerbewegung „M15“, die in zahlreichen Städten wie Valencia zu Protesten, Zeltlagern und vielen anderen Aktionen aufruft, aber auch zu öffentlichen Diskussionen über Alternativen zur herrschenden Politik einlädt. Die ersten Demonstrationen haben am 15. Mai 2011 stattgefunden. Seitdem ist viel passiert. Am 12. Mai 2012 wollen nun unter „M12“ weltweit Aktive mit dezentralen Aktionen beweisen, dass sie von ihren spanischen Freundinnen und Freunden gelernt haben, dass sie mit den Opfern und den sich gegen die Austeritätspolitik – insbesondere in Griechenland, Irland, Spanien und Portugal – Wehrenden solidarisch sind, dass sie in Kämpfen um demokratische Standards eine prioritäre Herausforderung sehen. Schließlich nutzen die Herrschenden die Krise zum Sozial- und Demokratieabbau. So fällt zunehmend sozialer Widerstand gegen die Regierenden – wie in Spanien – unter die „Anti-Terror-Regelungen“. In Deutschland soll in verschiedenen Städten wie in Berlin „M12“ erneut zu den Aktionen nach Frankfurt am Main „M16-19“ mobilisieren, aber mehr noch: „¡Ya basta! Es reicht! – ¡Democracia real Ya! Echte Demokratie Jetzt!“ soll als radikale Gesellschaftskritik über Sternmärsche in der Hauptstadt hörbar werden. Ein Forum und ein Ideen-Markt sollen Orte eines wirklich demokratisch-solidarischen Austausches werden.
Das erste Occupy-Vernetzungstreffen für “M12” in Berlin verschönte relativ Vielen den vergangenen Samstag. Am Abend davor lud die RLS unter dem Motto „Reclaim Democracy“ zum Gespräch in die Palisade. Drei junge Leute sorgten für gut gewürzten Gesprächsstoff: Cristina Asensi von Attac Spanien und insbesondere von „M15/¡Democracia real Ya!“, die zuvor schon über eine volle Stunde mit Stipendiatinnen und Stipendiaten der RLS sprach, Laura Valentukeviciute von Attac Deutschland und GiB (Gemeingut in BürgerInnenhand) und Florian Häber von der „linksjugend-solid“.
Cristina war beim Protestcamp in Valencia dabei. Am 20. Mai 2011 wurden in der Stadt symbolisch Banken „erobert“, um gegen eine Politik zu demonstrieren, die mehr auf „die Finanzmärkte“ als auf die Menschen hört. Das ist Cristinas Meinung nach einer der beiden Hauptgründe für die Attraktivität von „M15“. Der zweite sei die flache Hierarchie und die einfache Organisation, die den Menschen den Zugang erleichtert hätten. Genau darauf schienen Viele gewartet zu haben. Das habe auch die angeblich so faule spanische Jugend, die nicht verantwortlich für die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist, aufgeweckt.
Die meisten Jugendlichen, zahlreiche Bürgerinnen und Bürger würden den Akteuren der parlamentarischen Demokratie nicht (mehr) trauen. Hinzu kommt, dass es in Spanien de facto ein Zweiparteiensystem gäbe und viele Parlamentarier/innen von „der Wirtschaft“ korrumpiert seien. Daher komme der Ruf vieler Menschen nach „echter Demokratie“. Sie wollten mitbestimmen statt nur alle 4 Jahre an Wahlen teilzunehmen. Politik-machen müsse zum Alltag gehören, weshalb „M15“ vielfältige Aktivitäten organisiere. Über diese könnten die Menschen erfahren, dass sie nicht ohnmächtig seien – auch nicht gegenüber der Korruption oder den Großen in der Tourismusbranche.
Korrumpierte, lebensferne und nur sehr beschränkt kompetente Politiker/innen beklagt auch Laura. Sie ist selbst sehr aktiv in Sachen „mehr Demokratie“, insbesondere im Kampf gegen Privatisierung öffentlicher Leistungen und Einrichtungen, die de facto Demokratieabbau ist. Laura meint, die parlamentarische Demokratie könnte eigentlich funktionieren, würden sich alle an die Spielregeln halten; würden die wirklich Geeigneten in den Parlamenten und Regierungen sitzen und im Interesse ihrer Wählerinnen und Wähler agieren. Dann würden auch nicht solche Gesetze wie der Maastrichter und der Lissabonner Vertrag, Hartz-IV oder die geltenden Steuergesetze beschlossen und zur Wirkung kommen. Die Bürgerinnen und Bürger sollten durch zivilgesellschaftliche Akteure ermutigt werden, ihre Rechte wahrzunehmen, z. B. durch Teilnahme am Bürgerbegehren zur Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung und an der ersten Europäischen Bürgerinitiative. Mit dieser soll die Europäische Kommission dazu aufgefordert werden, allen EU-Mitgliedstaaten verbindliche Ziele zu setzen, um die Anerkennung und Realisierung des Menschenrechts auf Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung in Europa und in der Welt zu forcieren.
Lauras Vertrauen in die Prinzipien parlamentarischer Demokratie wollten nicht alle Gäste teilen. Viele sehen diese Prinzipien als mehr oder weniger unwichtig an, was Florian vom parteinahen Jugendverband der LINKEn, nicht gelten lassen wollte. Dabei verzichtet der vorerst parteilose Jugendliche und Stipendiat der RLS nicht auf Kritik an der Partei, die nach seiner Ansicht viel stärker als sozialistische Opposition erlebbar sein müsse. Ihm ist die parlamentarische Präsens einer starken linken Fraktion sehr wichtig, ohne die es auch die RLS nicht gäbe. Starke linke Fraktionen müssten zusammen gehen mit aktiver außerparlamentarischer Arbeit. Florian ist für den Jugendverband bei der Organisation von „Bloccupy“ in Frankfurt am Main dabei und hofft auf die aktive Beteiligung von möglichst vielen Mitgliedern der Partei DIE LINKE.. Dies sei wichtig für das Profil einer wirklich linken internationalistischen Partei. Der LINKEn. sei es bisher nur unzulänglich gelungen, so zu den Ursachen, Verursachern und Folgen der Krisen zu kommunizieren, dass demokratischer Antikapitalismus gestärkt würde.
In der lebhaften Diskussion über Inhalte, Prinzipien, Formen und Wege wirksamer linker Politik zeigte sich zum einen erneut, dass die Tendenz zum „entweder – oder“ (hohe Wertschätzung oder Geringschätzung parlamentarischer Demokratie) noch stärker ausgeprägt ist als die Tendenz des „sowohl als auch“ (die Vorzüge und Grenzen jeder politischen Form sehen, aber alle demokratischen Möglichkeiten für linke Politik nutzen und neue erschließen wollen). Gerade dazu aber wollen alle beraten, auch und insbesondere am 12. Mai in Berlin und am 16.-19. Mai in Frankfurt am Main. Ob Cristina kommen kann, wird sich noch zeigen, denn für den Mai haben die Linken in Spanien Vieles geplant und nach dem erfolgreichen Generalstreik vom 29.3. soll und muss nachgelegt werden – gerade angesichts der wachsenden sozialen Repressionen und so auch von „Monti II“, dem Vorschlag der EU-Kommission über eine „Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit”. Dessen Annahme würde dazu führen, dass ein EU-weiter Mechanismus zur Überwachung von Streiks etabliert würde. Die EU-Mitglieder würden verpflichtet, Streiks – sofern sie u.a. die effiziente Ausübung der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit berühren und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts schwerwiegend beeinträchtigen – an die Kommission zu melden. Damit drohen Streiks verboten bzw. illegal, das Streikrecht eingeschränkt zu werden.