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Dresden jährlich im Februar: Nazis kommen zu einem ihrer europaweit größten Treffen zusammen. Das fordert Menschen überregional zu Ungehorsam und Widerstand heraus. Die örtliche Polizei versucht die antifaschistischen Aktivitäten mit fragwürdigen Mitteln zu kriminalisieren (Stichwort: “Handygate”). Die Debatte ist bestimmt durch ordnungspolitisches Gehetze von mitte-rechts. Das war schon anders. In den späten 1970ern und frühen 1980er Jahren gab es in Westeuropa angesichts der entstehenden, später sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen wichtige Impulse in der Debatte um Widerstand und Ungehorsam. Foucault etwa entpersonalisierte das stragtegische Feld von Ungehorsam und Widerstand:

Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt der Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromissbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können. (…) Und wie der Staat auf der institutionellen Integration der Machtbeziehungen beruht, so kann die strategische Codierung der Widerstandspunkte zur Revolution führen.“ Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a.M. 1977

Auch der bundesrepublikanische Leitphilosoph Habermas äußerte sich zum Thema und entwickelte zunächst eine Kategorisierung, die – übersetzt man sie in die politische Praxis – jedoch spaltend wirkt: Widerstand=revolutionär=illegitim; Ungehorsam=auf immanente Verbesserung zielend=legitim. Ziel seiner philosophischen Operation: Legitimen Ungehorsam hegt er ein, ordnet ihn der Verfassungsordnung prinzipiell unter:

Die Rechtsordnung im ganzen muß intakt bleiben; … Ferner muß der Regelverletzer für die rechtlichen Folgen seines Tuns einstehen. Und schließlich wird erwartet, daß er, was immer seine subjektiven Überzeugungen sind, seinen Ungehorsam aus anerkannten verfassungslegitimierenden Grundsätzen begründen kann.” Recht und Gewalt – ein deutsches Trauma, S. 114

Diese Habermas’sche Spaltung erklärt auch die merkwürdige Themeneingrenzung der mehr als 400 Seiten starken, aktuellen (Juli 2011) Literatursammlung “Gewaltfreie Aktion, Ziviler Ungehorsam, Soziale Verteidigung Eine Bibliografie des deutschsprachigen Schrifttums mit anderssprachigen Einsprengseln” eines österreichischen Friedensforschers und seiner Mitarbeiterin. Widerstand und Direkte Aktion kommen nicht vor.

Eine transformatorische Perspektive kann in Widerstandsformen im Foucault’schen Sinne Potential erkennen für das Aufbrechen herrschaftlicher Strukturen (und nicht nur für die Verschiebung von Hegemonie innerhalb derselben). Was der Bewegungsforscher Rucht im Hinblick auf zivilen Ungehorsam formuliert, bekäme in einer solchen Perspektive für das gesamte Foucault’sche Widerstandsspektrum Geltung:

Doch hinter der vorgeblichen Sorge um die Legalordnung verbirgt sich nicht selten das Interesse an der Erhaltung von Privilegien und an “law and order”. Der berechtigte Einwand, dass die Voraussetzungen für das allgemeine und für das legalisierte Widerstandsrecht nicht gegeben sind, erspart nicht die Auseinandersetzung darüber, ob angesichts prekärer technologischer Weichenstellungen und fragwürdiger Voraussetzungen bestimmter Mehrheitsentscheide ziviler Ungehorsam geboten ist.” Recht auf Widerstand? (1984)

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