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GAP, GAP, GAP

Der EU-Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Dacian Ciolos erntete harte Kritik vom deutschen Bauernverband, von der CDU/CSU sowie von ihren Kollegen aus Frankreich und Großbritannien für sein Konzept zur Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013. Die Mitteilung „Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bis 2020: Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete – die künftigen Herausforderungen“ (eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0672:FIN:de:PDF)

ist nicht „nur“ Ergebnis langwieriger Analysen und Diskussionen, sondern auch ein anspruchsvolles politisches Diskussionsangebot.

So verwundert es auch nicht, dass aus der parlamentarischen Opposition links von „schwarz-gelb“ die Mitteilung recht engagiert verteidigt wird, so auch von der agrarpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag: „DIE LINKE unterstützt das Ziel der EU-Kommission, die Agrar-Fördermittel an soziale und ökologische Leistungen zu binden.“ (Pressemitteilung 1487).

Doch in der folgenden Diskussion wäre zum einen klar das Ansinnen des Kommissars zu unterstützen, der ländlichen Bevölkerung in den neuen EU-Mitgliedsländern mehr Fairness und Förderung zukommen zu lassen. Zum anderen wäre gegen die Einbettung der GAP in die Lissabon-Nachfolgestrategie EU2020 zu opponieren und zu fordern, dass die lokalen Nahrungsmittel-ProduzentInnen in den armen Weltregionen statt Konkurrenz und/oder Ignoranz Unterstützung aus der EU erfahren.

In der EU-Landwirtschaft sind 11,2 Millionen Menschen vollzeitbeschäftigt. Ihre Einkommen sind ca. 40% geringer als die in der Industrie. Zwischen 2000 und 2009 ist die Beschäftigung um 25% gesunken. 56 % der EU-Bevölkerung leben in ländlichen Räumen. Ihre Einkommen liegen etwa 50% unter den städtischen.

Agrarausfuhren machen 6,8 % der EU-Gesamtexporte aus.

Die Agrarsubventionen beliefen sich im Jahre 2009 auf ca. 56 Milliarden Euro und hatten einen Anteil von rund 40% am EU-Haushalt.

An der Landwirtschaft hängen mit der Lebensmittelindustrie weitere 13,5% der Gesamtbeschäftigung und 12,2% der Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe. Aber die ökonomische Kräfteposition der vielfach vereinzelten Landwirte gegenüber den wirtschaftlich Führenden in der Lebensmittelindustrie schwindet  weiter.

Die Zahlungen aus dem Agrarbudget erfolgen hochgradig unfair: die Bäuerinnen und Bauern in den neuen EU-Mitgliedsländern sind die Verlierer/innen der Erweiterung von 2004 und 2007. Bei ihrem Beitritt betrugen die Zahlungen an sie nur ein Viertel der seit Jahrzehnten subventionierten französischen Bauern. Auch bei den Zuweisungen aus den Regionalfonds werden die neuen Mitglieder deutlich und folgenschwer gegenüber den ökonomisch stärkeren alten benachteiligt.

Dass nun Ciolos Ungerechtigkeiten und soziale Gleichheit abbauen will, verdient von links aus ebenso Beistand wie seine vorgeschlagenen drei Ziele Gewährleistung von Nahrungsmittelsicherheit bei effizienter Nahrungsmittelerzeugung, nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, Erhalt von Ausgewogenheit und Vielfalt der ländlichen Räume. Auch sollte – wie in der Mitteilung vorgeschlagen – die GAP weiterhin in zwei Säulen gegliedert bleiben und dazu beitragen, dass der wachsende weltweite Nahrungsmittelbedarf zunehmend und letztlich vollständig gedeckt wird.

Aber gerade hier muss linke Kritik ansetzen, denn es gibt im Kommissionspapier kein herausgearbeitetes Zusammenspiel mit der Entwicklungspolitik bzw. mit Politik, die auf die Lösung globaler Probleme gerichtet ist. Die Europa2020-Strategie ist Trumpf und da bleiben  die schönen Aussagen zum intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum Wünsche, weil die Hauptstoßrichtung gesteigerte globale Konkurrenzfähigkeit bleibt. Das aber bedeutet letztlich Stärkung gerade jener wirtschaftlichen Akteure, die für die sozialen und ökologischen Probleme in der Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen die Hauptverantwortung tragen. Sie sind vielfach Verursacher von Hunger, Unterernährung und Umweltzerstörung in der Welt. Da klingt der folgende Satz eben nur schön: „Es geht also um ein umweltfreundliches Wachstum im Agrarsektor und in der ländlichen Wirtschaft zur Verbesserung des Wohlergehens durch wirtschaftliches Wachstum unter Vermeidung von Umweltschäden.“ Das soll laut Kommissar gefördert werden „durch Innovation, was die Einführung neuer Technologien, die Entwicklung neuer Produkte, die Änderung von Produktionsverfahren und die Förderung neuer Nachfragemuster, insbesondere im Kontext der im Entstehen begriffenen Biowirtschaft, erfordert.“

Nein, es geht um Entwicklung statt Wachstum, nicht nur um Aufklärung der Öffentlichkeit, Veränderung von Technologien, Produktionsverfahren, Nachfrage und Lebensstilen, sondern um Umbau von Produktions- und Konsumtionsstrukturen und um sozialen Wandel in der Landwirtwirtschaft, in ländlichen Räumen und in der Gesellschaft – indem Akteure mit Interessen an sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklung zunehmend stärker und gesellschaftliches Leben bestimmend werden.

Die Reform der GAP kann hierbei helfen, weshalb mit der Mitteilung 672 ernsthaft und “links” gearbeitet werden sollte. Die Gretchenfrage dabei ist: Soll die GAP-Reform neben „Global Europe“, der Außenwirtschaftsagenda der Lissabonstrategie bzw. der EU2020, erfolgen oder mit deren Korrektur und Aussetzung einhergehen, weil die Bekämpfung von globalem Hunger und globaler Armut Prioritäten führender Politik werden müssen.

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