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Der vor wenigen Tagen vorgelegte „Bericht der Reflexions-Gruppe zur Zukunft der EU 2030 an den Europäischen Rat” geht auf dessen Auftrag vom Dezember 2007 zurück. Es wurde die Frage gestellt, was die wichtigsten Herausforderungen 2030 für die EU seien und wie diese ihnen entsprechen könne. Die zwölfköpfige Gruppe wurde von Felipe González Márquez geleitet. Ihr gehörten u. a. der EU-Promi Mario Monti und Lech Walesa an.

Der Bericht zielt auf Stärkung der EU als globalen Akteur, auf forcierte politische Integration – auf mehr gemeinsame und vergemeinschaftete Politik, auf erneuerte EU-Identität der staatlichen und politischen Akteure, der Bürgerinnen und Bürgern. „Das EU-Projekt soll auch ein Bürgerprojekt werden.“

Allerdings sind in dem Bericht Armut inner- und außerhalb der EU, soziale und ökologische Zerstörung hochgradig marginalisiert. Das Papier ist nicht zuletzt angesichts aktueller „Griechenland“-Debatte außerordentlich interessant und sollte von den europäischen Linken ernst genommen werden. Ihre Antworten, wie in der EU und durch die Union die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrisen sozial gerecht gemildert, Krisenursachen nachhaltig bekämpft, zugleich soziale und ökologische Zerstörung strukturell zurückgedrängt werden können, stehen noch immer aus. Die globalen Probleme wachsen dramatisch weiter an und die Linken sagen kaum, wie die EU solidarisch helfen kann, menschheitliche Existenzfragen gerecht zu lösen.

Der Reflexionsgruppe konstatiert, dass der gegenwärtige „Befund weder für die Union noch für ihre Bürger/innen beruhigend“ sei: eine globale Wirtschaftskrise; Staaten mussten Banken retten; „eine alternde Bevölkerung, die die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaften und die Nachhaltigkeit unserer Sozialmodelle gefährdet; Druck auf die Kosten und Löhne; die Herausforderungen des Klimawandels und zunehmender Energieabhängigkeit, das Produktions- und Ausstattungsgefälle zum Osten hin.”

Dennoch könne die EU ihr Prosperitätsniveau halten, ausbauen und die Welt verändern, die “europäischen Werte und Interessen fördern. Die EU kann ein Akteur sein, der Entwicklungstrends setzt und nicht einfach passiver Zeitzeuge ist”. Allerdings müsse dafür jedes Land seine eigenen Ressourcen erschließen und gemeinsam mit den anderen effektiv zur Wirkung bringen. “Unsere Fähigkeit, Entwicklungen jenseits unserer Grenzen zu beeinflussen“, hänge von solidem wirtschaftlichen  Wachstum ab und von stabiler sozialer Kohäsion. Dafür müssen sich Politiker/innen, Bürger/innen, Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innern neu zusammenfinden.

Die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise macht die Reflexionsgruppe weiterhin in den USA aus, verweist aber auch auf eigene „Kurzsichtigkeit in der Funktionsweise und Überwachung unserer Finanzinstitutionen.“ Wachsende soziale Spaltungen werden nicht als Krisenursache genannt. Die Selbstkritik betrifft eher „strukturelle Schwächen der europäischen Wirtschaft“ bezüglich globaler Konkurrenzfähigkeit.

Die gegenwärtigen Transformationen brächten neue Gewinner und Verlierer hervor. Wenn die EU nicht unter den Verlierern sein wolle, müsse sie in den nächsten 20 Jahren lang anhaltende und tiefgehende Reformen realisieren.

EU bedeute insbesondere Gemeinsamer Markt, gemeinsame Währung, Wachstums- und Stabilitätspakt und dank dieser Unabhängigkeit. Aber diese Mechanismen hätten sich in der Krise nicht als ausreichend stark erwiesen. Nun müssten die „EU-Führer“ weitere Anpassungsmaßnahmen beschließen, um aus der gegenwärtigen Krise heraus zu kommen. Aber diese Maßnahmen sollten mit erforderlichen mittel- und langfristigen Reformen verbunden werden.

„Erforderlich“ im Sinne von Konkurrenzfähigkeit, internem sozialen Zusammenhalt und globaler Handlungsfähigkeit. Damit wären die Prioritäten  „Wachstum und Beschäftigung“ und es gehe um Stärkung und Qualifizierung politischer Governance mit den Schwerpunkten a) ausgeglichene Handels- und Zahlungsbilanzen, weshalb die EU- Konvergenzkriterien fortzuschreiben wären; b) Reformen der Funktionsweise und Supervision von Finanzinstitutionen; c) Humankapital als „strategisches Schlüsselinstrument“ stärken – die Mitgliedsländer müssten mehr für Forschung und Entwicklung tun und die Union ihre Finanzierungsinstrumente vervollkommnen, sie brauche dafür neue Einkommensquellen, z. B. aus einer Kohlenstoffsteuer; d) gemeinsame Energiepolitik sowohl nach innen als auch nach außen; es gehe um höhere Energieeffektivität, um Energieeinsparung, abgestimmte Energieimporte aus anderen Ländern, um sichere Atomenergie und die beschleunigte Entwicklung erneuerbarer Energien; e) gemeinsames Vorgehen bei internationalen Klimaverhandlungen; f) Steuerharmonisierung, Stärkung und Vervollkommnung des Gemeinsamen Marktes, insbesondere bei Dienstleistungen für die Informationsgesellschaft; g) Reformen der Arbeitsmärkte und Unternehmensführung mit den Stichpunkten Flexicurity, Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitskräften, Anpassungsfähigkeit von Unternehmen; i) innere und äußere Sicherheit.

Dafür bedürfe es keiner Änderungen des Lissabonner Vertrages, aber seiner konsequenten Nutzung, eines besseren Zusammenspiels der öffentlichen Haushalte auf  den verschiedenen Ebenen. „Wenn die EU ihre Ziele erreichen will, müssen der Europäische Rat und die Eurogruppe ihre Führungsrolle stärken, in Koordinierung mit der Kommission und dem Europäischen Parlament.“

Der Bericht sollte also die Linken erneut veranlassen, demokratisch über die Ziele der EU zu diskutieren und über Demokratisierung als Bedingung ihrer Realisierung.

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