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Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Papst haben sich fast zeitgleich mit Positionen zur Wirtschaftskrise zu Wort gemeldet. Die EKD wählte als Titel einen Bibelspruch „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“. Der Papst wählte für seine Enzyklika den Titel „Caritas in veritate – Über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit“. Es soll hier nur um erste Eindrücke gehen, eine genauere Analyse beider Dokumente ist damit noch nicht gegeben.
Eine Auseinandersetzung mit Positionsbestimmungen der Kirchen ist schwer, wird doch Kritik sofort als Kritik etwa am sozialen Engagement vieler Menschen in den Kirchen verstanden. Trotzdem ist gerade hinsichtlich der Positionierungen der Kirchen mit Bezug auf die Krise ein kritischer Blick angebracht, bedeutet doch eine Krise immer auch, dass sich bestimmte langfristig wirkende Entwicklungsrichtungen herausbilden. Ideologische Einrichtungen, wie die Kirchen, spielen durch die Art der Ideologieproduktion und –verbreitung dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die ihnen zugeschriebene Rolle im Feld der Werte und der Moral lädt ihnen auch eine Verantwortung auf, an der sie gemessen werden sollten. Letztlich sind sie auch Institutionen mit eigenem ökonomischem Gewicht und einem Eigeninteresse und sie können sich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzung entscheiden. Im 19. Jahrhundert fiel die Entscheidung für eine Obrigkeitskirche mit starkem sozialem Engagement. Diese Entscheidung ist durch beide Dokumente nicht ganz unerwartet bestätigt worden.
Das die Kirchen sich in der gegenwärtigen Krise positionieren mussten, liegt auf der Hand. Ihre Legitimation ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so eng mit der Legitimation der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verknüpft, dass Bedrohungen der Stabilität dieser Gesellschaft quasi reflexartig als Bedrohungen der Kirche (man behauptet mitunter der Religion – aber das war und ist nicht die Frage) identifiziert werden. Das schließt immer ein durchaus kritisches Verhältnis zu dieser Gesellschaft ein. So ist es auch in den beiden nun vorliegenden Stellungnahmen.
Beide Kirchen können dabei auf eine eigene Geschichte der gesellschaftspolitischen Interventionen verweisen. Die EKD verweist u.a. auf das Gemeinsame Sozialwort der Kirchen und auf die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“. Der Papst nimmt vor allem Bezug auf die verschiedenen Sozialenzykliken. Der Rückgriff auf ältere Enzykliken ist nicht einfach dogmatisch zu erklären. Vielmehr kommt darin zum Ausdruck, dass die Katholische Kirche sich und die Gesellschaft in einer Entscheidungssituation sieht. Dies ist zweifelsfrei richtig. Es ist auch richtig, dass die Päpste in verschiedenen Enzykliken auf die Gefahr des Zerfalls der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft hingewiesen haben. Insofern weist die Positionierung der Päpste in verschiedenartigen Krisensituationen eine weitgehende Konsistenz auf. Ein universeller Gestaltungsanspruch macht sich bei Benedikt XVI. am Begriff der Ganzheitlichkeit der Betrachtung des Menschen fest. Diese sei aber eben nur in Einheit mit Gott, genauer mit der Katholischen Kirche als Sachwalter der Wahrheit und der durch sie repräsentierten Werte, zu erreichen. Diese Sichtweise, und hier trifft sich die Enzyklika mit dem entsprechenden Wort der Evangelischen Kirche in Deutschland, bestimmt die Analyse der gesellschaftlichen Situation und die daraus abgeleiteten Forderungen und setzt deren letztlich paternalistischen Charakter.
Wenig verwunderlich ist vor diesem Hintergrund, dass die Ursachen der Krise nicht im System, sondern in Verfehlungen einzelner und mangelnder moralischer Festigkeit der Gesellschaft gesehen werden. Das Versagen der Wirtschaftseliten erwächst nicht aus deren legitimen wirtschaftlichen Interessen, die erst die Entwicklung der Gesellschaft tatsächlich möglich macht, sondern aus der Fehlleitung durch falsche Regulierung und aus moralischen Defiziten. Dementsprechend wird die Krise in erster Linie als Finanzkrise verstanden, die dann die an sich offensichtlich als gesund betrachtete „Realwirtschaft“ infiziert hat. Das trifft in weiten Teilen die gängige Kriseninterpretation in verschiedenen politischen Lagern – erscheint dem Autor aber trotzdem als prinzipiell falsch. Die behauptete Trennung von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft ist eine Illusion, sie ist durch die Ereignisse des letzten halben Jahres auch widerlegt. Auf die Problematik dieser Verflechtung geben beide Papiere keine Antwort.
Gemeinsam ist beiden Papieren neben dem moralischen Appell „an alle“ der hohe Anspruch an den Staat als regulierende Instanz. Dabei komme laut Benedikt XVI. „eine neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht der Staaten“ eine große Rolle zu. Das müsse „klug neu bedacht und abgeschätzt werden, so daß die Staaten wieder imstande sind – auch durch neue Modalitäten der Ausübung –, sich den Herausforderungen der heutigen Welt zu stellen.“ Außerdem sei „wünschenswert, daß in dieser Richtung eine tiefer empfundene Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Bürger an der Res publica wachse.“ (S.17f.) Dies sind an sich keine neuen Forderungen, greift die Enzyklika doch die Frage nach einem neuen Weg der Herrschaftsausübung in einem neuen Konsens und unter Nutzung von erweiterten Formen der Beteiligung von BürgerInnen an politischen Entscheidungsprozessen auf. Diese von neoliberalen think tanks wie der Bertelsmann Stiftung beförderten Veränderungen waren eine Seite des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. Es ist nicht überraschend, dass nicht der Gedanke der Partizipation und damit gegebener selbstbestimmter Gesellschaftsgestaltung Leitschnur der Enzyklika ist, sondern eben die Unterordnung unter den „Plan Gottes“ in Gestalt der moralischen Institution Katholische Kirche. Der Widerspruch zwischen dem Wahrheitsanspruch der Katholischen Kirche und der Realität einer Entwicklung, die in ihrer Grundrichtung befürwortet wird, aber eben nur durch beständige Verletzung der aufgestellten Normen möglich ist, zieht sich durch alle Teile der Enzyklika. Konsequent heißt es denn im Pkt. 78 zum Schluss des Dokumentes: „Umgekehrt stellen die ideologische Verschlossenheit gegenüber Gott und der Atheismus der Gleichgültigkeit, die den Schöpfer vergessen und Gefahr laufen, auch die menschlichen Werte zu vergessen, heute die größten Hindernisse für die Entwicklung dar. Der Humanismus, der Gott ausschließt, ist ein unmenschlicher Humanismus.“
Die mit der Neubewertung der Rolle des Staates verbundene Neuausrichtung internationaler Regulierungsformen findet sich ebenfalls in beiden Positionsbestimmungen. Die EKD spricht von einer „robusten Regulierung der Weltfinanzmärkte“ und „wirksamen Regelungen für die Haftung der „Verantwortlichen““. In der Enzyklika ist von einer „echten politischen Weltautorität“ die Rede. (Pkt. 67)
Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Papieren besteht darin, dass sich die Evangelische Kirche mit großer Deutlichkeit für ein politisches Modell der Krisenlösung ausspricht – das einer geläuterten nachhaltigkeitsorientierten sozialen Marktwirtschaft. Streckenweise liest sich das Papier wie ein Artikel aus der Wirtschaftspresse. Eine solche Festlegung vermeidet die katholische Kirche, auch wenn die Intentionen in die gleiche Richtung gehen. Das liegt zum Teil zweifelsfrei an der Reichweite der Konzepte. Der Papst als Oberhaupt einer Weltkirche muss dem Wesen der Sache nach ein globales Papier vorlegen, das in erheblichem Maße auch entwicklungspolitische Fragen einschließen muss. Die EKD muss die globalen Aspekte zwar berücksichtigen, kann sich aber auf deutsche Politik und deutsche Ideologie konzentrieren. So ist die Positionierung des Papstes in sich auch widersprüchlicher, als die der EKD. In der Enzyklika etwa wird relativ breit die Bedeutung eines nicht dem Profitprinzip unterworfenen Sektors entwickelt: „Neben den gewinnorientierten Privatunternehmen und den verschiedenen Arten von staatlichen Unternehmen sollen auch die nach wechselseitigen und sozialen Zielen strebenden Produktionsverbände einen Platz finden und tätig sein können. Aus ihrem Zusammentreffen auf dem Markt kann man sich erhoffen, daß es zu einer Art Kreuzung und Vermischung der unternehmerischen Verhaltensweisen kommt und daß in der Folge spürbar auf eine Zivilisierung der Wirtschaft geachtet wird. Liebe in der Wahrheit bedeutet in diesem Fall, daß jenen wirtschaftlichen Initiativen Gestalt und Struktur verliehen wird, die den Gewinn zwar nicht ausschließen, aber über die Logik des Äquivalenzprinzips und des Gewinns als Selbstzweck hinausgehen wollen.“ Es sei dahingestellt, wie dies alles gehen soll. In dieser Hinsicht ist die Enzyklika aber bei weitem ökonomischer und auch viel näher an den tatsächlichen Problemen als das Wort der EKD. Immerhin wird dort festgestellt, dass „vermehrte Zukunftsinvestitionen, Schuldenabbau und allgemeine Steuersenkungen… als politische Ziele in Spannung zueinander“ stehen. Das kommt aber recht unvermittelt, ist aber doch eine der Fragestellungen, die die mit weiteren Adjektiven versehene soziale Marktwirtschaft eben beantworten müsste. Beide Papiere kommen mit den Widersprüchen zwischen der von ihnen positiv belegten Dynamik der kapitalistischen Wirtschaftsweise und den diese Dynamik hervorbringenden z.T. wiederum von ihnen abgelehnten Mechanismen nicht zurecht. Sie entscheiden sich im Zweifel für das System.
Freilich kann man die Papiere auch anders lesen. In ihrer Gesellschaftskritik greifen sie tatsächlich brennende Probleme der Gegenwart auf. Dies betrifft in unterschiedlicher Akzentuierung die globale Dimension sozialer Probleme, die Frage der Rechte von Beschäftigten, die Notwendigkeit der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme sowie die Verpflichtung „der Stärkeren“ die Kosten der Krise zu tragen. Allerdings fällt es schwer, bei der Gesamtstruktur der Papiere von einem Bündnisangebot an die sozialen Bewegungen zu sprechen. Aber so waren sie wohl auch nicht gemeint. Adressaten sind die Eliten. Trotzdem bleiben viele Fragen, die auf der Grundlage der Papiere weiter zu diskutieren sind – so eben die zuletzt angesprochenen praktischen sozialen Fragen. Sie fordern auch dazu heraus, die Rolle des Marktes in den ökonomischen Beziehungen und in diesem Kontext Bedeutung und Entwicklungsmöglichkeiten von gemeinwirtschaftlichen Unternehmen in einer kapitalistischen Wirtschaft weiter zu diskutieren. Und es geht auch darum, die Frage nach dem Wie der Krisenüberwindung, die Rolle der Lohnabhängigen, die Organisation ihres Handelns auch in internationalem Maßstab zu beantworten. Mithin lohnt sich bei aller Kritik die Lektüre beider Dokumente.

Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ Wort des Rates der EKD zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise

„Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen gottgeweihten Lebens, an die christgläubigen Laien und an alle Menschen guten Willens. Über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit

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