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10. Brüsseler Wirtschaftsforum

 

Für das Verständnis von EU-Politik und die Arbeit an linken Strategien für eine zukunftsfähige Europäische Integration war die Analyse der jährlich stattfinden Europäischen bzw. Brüsseler Wirtschaftsforen von Anfang an interessant. Das betrifft insbesondere die Bezeichnung der lang- bzw. mittel- und kurzfristigen Herausforderungen für die Europäische Union im Allgemeinen und für die Wirtschaftspolitik im Besonderen. So veränderte sich im Verlauf der nunmehr 10 Foren die zentrale Aufgabenstellung von “den Herausforderungen der Globalisierung entsprechen” über “den Herausforderungen der Globalisierung und des demografischen Wandels (oder “der alternden Gesellschaft”) entsprechen” zu “den Herausforderungen der Globalisierung, der alternden Gesellschaft (oder: “des demografischen Wandels”) und des Klimawandels entsprechen”.  

Das 10. Forum ist besonders interessant, denn zum einen findet es unter den Bedingungen der größten Wirtschaftskrise seit Gründung der Europäischen Union statt, zum anderen zeigen sich Kämpfe unter den Eliten um die weitere Entwicklung des Projektes Europäische Union. Sie machen sich insbesondere an der Frage fest, ob die Lissabonstrategie bzw. die bisherige Wirtschaftspolitik fortgesetzt werden soll und ob es für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung ausreiche, auf – die von allen Redner/innen geforderte – wirksamere Bankenaufsicht, Supervision und Finanzmarktregulierung zu setzen. Die Antwort hängt mit dem Umgang mit drei weiteren Schwerpunkten des Forums zusammen: erstens, mit den Konzepten zur Überwindung der Krisen, insbesondere der Finanz- und Wirtschaftskrise, und mit den zu ziehenden Lehren. Zweitens, mit der demografischen Entwicklung und dem Zustand der öffentlichen Finanzen, drittens mit den globalen Ungleichgewichten als eine Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die globale Kooperation betreffen und ebenfalls auf die Qualität der öffentlichen Finanzen wirken.

 

Konsens gibt es im „Ja!“ zu einer stärkeren Kontroll- und Regulierungsrolle durch EZB und IWF und zur Stärkung von EU-Einfluss im IWF. Konsens gibt es auch im „Ja!“ zur wachsenden Rolle der EU in der Weltwirtschaft sowohl bei Regulierungsprozessen als auch in der globalen Konkurrenz. Dissens gibt es in der gesellschafts- bzw. wirtschaftspolitischen Prioritätensetzung und damit in der Frage, was die Abkehr vom „business as usual“ konkret bedeutet: Stärkung des Sozialen und Ökologischen gegenüber dem Ökonomischen und fortschreitende europäische Integration oder einfach: besser Wirtschaftswachstum fördern und dafür den gemeinsamen Markt vervollkommnen?

Die Diskussion zu nachhaltigen öffentlichen Finanzen und in diesem Kontext insbesondere zu den Rentensystemen lässt befürchten, dass der notwendige gesellschafts- bzw. wirtschaftspolitische Prioritätenwechsel wiederum aufgeschoben und dringliche Probleme zugespitzt werden. Es wird an der Kommerzialisierung und Privatisierung sozialer Sicherung festgehalten und damit zugleich an der Neusetzung von Ursachen für die Finanzkrise. Mit der Thematisierung von „Exit-Strategien aus dem Wachstums- und Stabilitätspakt werden Chancen für notwendige Korrekturen und zugleich Widersprüche gemehrt. 

In der Auseinandersetzung mit den globalen Ungleichgewichten zeigt sich Hilflosigkeit.

Und dennoch gibt es Ansatzpunkte für eine nicht „einfach“ marktradikale Abkehr vom „business as usual“. 

 

Die kurze Reflexion von Forums-Beiträgen zielt keineswegs auf Vollständigkeit. Hier geht es nicht um eine Wiedergabe des Forums. Es werden ausschließlich Beiträge von Redner/innen aus der Europäischen Union behandelt.

 

I. Zur Entwicklungsrichtung der EU

Mit der Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte sowie mit qualifizierter Supervision und Stärkung der entsprechenden Akteure soll mehr wirtschaftliche Stabilität gesichert werden. Zugleich müssten Bildung, Forschung und Entwicklung intensiviert werden, um sowohl Märkte zu verteidigen und zu erschließen als auch, um dem Klimawandel begegnen zu können. Hier endet die Gemeinsamkeit der Redner. Während Almunia und de Larosiére an der bisherigen Wirtschaftspolitik festhalten, weicht Monti in Sachen Steuerpolitik und Budgetregulierung – nicht zuletzt zu Gunsten des Sozialen – vorsichtig ab. Sapir bleibt noch vorsichtiger. Gonzalez hingegen will die Wirtschaftspolitik in ein erneuertes Integrationsprojekt EU einordnen.

1. Kommissar Joaquin Almunia fragt nach der Position der Europäischen Union in der “globalen wirtschaftlichen and gesellschaftlichen Transformation” und schließt eine Rückkehr zum “business as usual” aus. Seine Zukunftsvorstellung konzentriert sich auf “mehr regulierte, supervisionierte Märkte” und eine Fortsetzung der Lissabonstrategie, weshalb er auf Produktivitätssteigerungen in der EU, globale Marktregulierung und neue Märkte setzt – insbesondere für Umwelttechnologien und die kohlenstoffarme Wirtschaft. Dafür würden entsprechende Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung gebraucht. Almunias Sorgen sind zu sehr verselbständigte Finanzmärkte, globale Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen, instabile öffentliche Finanzen und niedrige Wachstumstempi. Dem IWF “als die einzige wirklich globale Wirtschaftsorganisation” soll die “Autorität gegeben werden, nicht nur vor sich aufbauenden globalen Ungleichgewichten zu warnen, sondern auch ihre ordnungs- und zeitgemäße Entspannung zu fördern”. Mit der wachsenden globalen Rolle des IWF müsse auch ein wachsendes Gewicht der EU als Global Player zukommen. 

 2. Ex-Kommissar und Universitätsprofessor Monti wirbt für einen “Pakt” innerhalb der EU, für einen Kompromiss zwischen den “sozialen Marktwirtschaften” und der anglo-sächsischen Wirtschaft, um Steuerkonkurrenz zu mindern. Der Pakt „würde es der Europäischen Union erlauben, der gewachsenen sozialen Herausforderung zu entsprechen und zugleich die Integration zu schützen”. Schließlich könnte so erreicht werden, dass über größere nationalstaatliche Haushalte effektiver reguliert und Ungleichgewichte besser ausbalanciert werden. Der Pakt zur Steuerkoordinierung würde die Europäische Union beleben und befördern. 3. Jacques de Larosiére von der Hochrangigen EU-Expertengruppe zur Finanzsupervision hält an der Lissabonstrategie als “Hauptrichtlinie” fest. Es müsse um “bessere Regulierung” statt um “mehr Regulierung” gehen. “Wir sehen die Krise als das Ergebnis eines Regulationssystems an, das zu sehr gefährlichen Anreizen geführt hat”. Die EU brauche ein Beobachtungssystem systemischer Risiken durch die Zentralbanker und Supervisionäre unter EZB-Ägide sowie mehr globalen Einfluss. 4. Schwindender Einfluss der Europäischen Union in der Welt beunruhigt auch Filipe Gonzalez, den Vorsitzenden der Reflexionsgruppe zur Zukunft der EU 2020-2030. Die EU brauche eine “Neuregelung der Beziehungen”, einen “Gesellschaftsvertrag oder ein Bündnis für das 21. Jahrhundert”, das auch “die Rolle Europas in der Welt erhöhen” würde. Es müsste fünf Bereiche betreffen: a) die Überwindung der Krise, b) die technische und ökonomische Dimension, c) den Energie- und Klimawandel, d) die soziale Integration und Migrationsflüsse, d) Sicherheitsrisiken.

5. André Sapir (Universitätsprofessor in Brüssel) meint, dass Europa Veränderungen in der internen und externen Verwaltung bzw. Governance brauche, insbesondere die einheitliche Vertretung im IWF. Das würde insbesondere den neuen EU-Mitgliedsländern zu Gute kommen. Global sei ein multilaterales Herangehen an Fragen der Weltwirtschaft und des Welthandels erforderlich, wofür die EU über einen guten Rahmen verfüge.      

 

II. Wege aus der Krise und zu einer stabilen Wirtschaftsentwicklung

Den Rednern ist wiederum die Sorge vor zu sehr verselbständigten Finanzmärkten gemeinsam. Diese Problematik wird jedoch in keiner Weise mit sozialen Spaltungen, polarisierter Einkommensverteilung und Privatisierung öffentlicher Leistungen verbunden. Es geht den Experten und Politikern lediglich um effektive Instrumente und die richtigen Signale, um Wirtschaftswachstum zu befördern, wofür die jeweiligen Akteure ihrer Verantwortung entsprechen müssten.

1. Kommissar Almunia fordert, dass die Zentralbanken und Regierungen die riesigen negativen monetären und finanziellen Stimuli, die sich seit über einem Jahr angesammelt haben, aus dem Verkehr ziehen. Er sieht die größte Bedrohung für „die Wirtschaft“ bzw. die „wirtschaftliche Erholung“ im fragilen Finanzmarkt und in den „Feedback-Schleifen zwischen fragilem Finanzsektor und Realwirtschaft“. Die EU braucht nach Ansicht von Almunia a) die fortgesetzte Umsetzung der Stabilisierungs-Maßnahmen, b) die Milderung negativer Krisen-Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte und die Vermeidung hoher Qualitätsverluste an Humankapital, c) die Rettung, Sanierung und Umstrukturierung des Bankensektors. 2. Jorgen Elmeskov (OECD-Chefökonom) nennt zu bekämpfende “enge Ursachen” für die Finanzkrise: a) Moral, Ausmaße und Verquickung von Finanzmarktakteuren, b) pro-zyklische Effekte der Finanzregulation, c) die Abwesenheit einer Balance von Informationskonsolidierung und Transparenz.

Notwendige Maßnahmen seien erforderlich, um die “generellen” Ursachen für die Wirtschaftskrise zu bekämpfen: a) Gewöhnung an makroökonomische Stabilität, b) größeres Sparen, c) einfache Geldpolitik, die gut bekannten Einlagen und Kreditblasen. Elmeskov beklagt den fehlenden klaren Konsens zu Auswegen aus der Krise. Es gehe um a) weitere notwendige Finanzinterventionen, b) um Bereinigung „giftiger Einlagen“ und bessere Regulierung, c) um einen „eleganten Ausstieg aus den gegenwärtigen Interventionen“, d) um fixe Staatsausgaben. 3. Nach Jacques Larosière sind fünf Punkte besonders wichtig: a) globale Ungleichgewichte müssten durch „Anpassung an die politischen Wirtschaften“ abgebaut werden, b) die Geldpolitik dürfe nicht länger „auf einem Auge blind“ sein, c) die Einlagen sollten über den gesamten Zyklus hinweg bewertet werden, d) das enorme Ausmaß der Sicherheiten brauche Transparenz, e) die Supervisionäre und Banker sollten aufhören, sich vor allem auf mathematische Modelle zu stützen.

 

III. Nachhaltige öffentliche Finanzen und Rentenreform

Ungeachtet der Finanzkrise wird an der Privatisierung der Rentensysteme festgehalten, obwohl es sich hierbei um eine relevante Krisenursache und ein enormes soziales Problem handelt. Trotz Verweis auf die Klimakrise wird auf Wirtschaftswachstum gesetzt. Nach wie vor werden Wege zu tragfähigen öffentlichen Finanzen auf Kosten von Bevölkerungsmehrheiten gesucht. Das einzig Innovative ist die Thematisierung von Exit-Strategien aus der Lissabonstrategie und dem Wachstums- und Stabilitätspakt durch Koopmann und Borgaert.

1. Mit ihrer Präsentation des Berichts 2009 zur alternden EU Bevölkerung legen Jan Koopmann (Direktor in der Europäischen Kommission) und Henri Borgaert (Leiter der Arbeitsgruppe zur Alterung) Gefahren für die langfristige Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen dar, die aus dem demographischen Wandel  resultieren. Sie könnten durch Anhebung des Renteneintrittalters, durch kapitalgedeckte Rentensysteme und Pay-as-you-go-Maßnahmen gemildert werden. Derartige Wege seien jedoch unter dem Druck der Finanzkrise und reduzierter Wachstumsraten. Das begründet kurzfristige Interventionen zur Wachstumsstimulierung. Gebraucht würden Exit-Strategien aus der Lissabonstrategie und dem Wachstums- und Stabilitätspakt und Strategien gegen den Klimawandel. 2. Dick Sluimes (Mitglied der Arbeitsgruppe zur Alterung) hebt die besondere Rolle des Privatsektors für jede Problemlösung hervor: „Die Weiterentwicklung fondsgestützter Rentensysteme – vorzugsweise kollektiver fondsgestützter Rentensysteme – ist wesentlich, um den künftigen Generationen einen Zuschuss für ein adäquates und nachhaltiges Renteneinkommen zu geben.“ Die Staaten seien so verschuldet, dass sie ihr Herangehen an die Renten- und Gesundheitssysteme überdenken müssten. Sluimes warnt vor politischen Risiken: „Die künftigen Rentner könnten höhere Rentenzahlungen mittels Wahlurne erzwingen“. 3. Kommissar Almunia wiederholt, was die Europäische Kommission seit langem sagt: Wir brauchen langfristig nachhaltige öffentliche Finanzen, eine Steigerung der Beschäftigungsraten, Reformen zur Anpassung der Sozialsysteme an die veränderten Bedingungen. 4. Ebenso setzt sein Kommissar-Kollege das Übliche fort: a) den Trend zur Frühberentung stoppen, b) länger arbeiten, c) besser aus- und weiterbilden, d) die Integrationspolitik verbessern. 5. Anders Borg (schwedischer Finanzminister) fordert erneut Steuererleichterungen für die Beschäftigung von Frauen und Geringqualifizierten.   

 

IV. Krisenursache „Globale Ungleichgewichte“ und nachhaltige öffentliche Finanzen

Dieses Thema war bereits im Jahre 2007 ein besonderer Schwerpunkt des Brüsseler Wirtschaftsforums. 2009 gesteht man hier Ohnmacht ein. Interessant ist die Orientierung auf ökonomische Konvergenz nach der Krise.

1. Ignacio Angeloni (Berater und EZB-Vorstandsmitglied) erklärt die Auswirkungen globaler Ungleichgewichte auf die makroökonomischen Bedingungen und die Mikrofinanzebene: a) (makroökonomische Dimension) explodierende Nachfrage in den USA und Überschüsse in Asien, falsche Wechselkurse und damit falsche ökonomische Signale, Akkumulation von Dollarreserven in den neuen Mitgliedsländern, sprunghafte Ölpreisentwicklung, b) (Mikrofinanz-Dimension) explodierende Liquidität führt zum Kreditboom, Unterschätzung von Risiken und Einlagen-Preisblasen, Finanzinnovation und Risikotransfer, laxe Regulierung.

Davon würden Krisen verursachende Effekte ausgehen. Andererseits hätte die Krise Einfluss auf globale Ungleichgewichte und Reaktionen darauf: a) drastische Reduzierung der Handelsflüsse und Minderung der Ungleichgewichte in den Netto-Handelsbilanzen, b) große Schwankungen in den Wechselkursen; c) unsichere Risiko-Abschätzungen und ein nervöser Umgang mit Reserven, d) Anstrengungen zur Schaffung einer neuen Finanzarchitektur, die mehr Integrität und Transparenz in den Finanzmärkten hervorbringen, e) zunehmende außenpolitische Zusammenarbeit, f) wachsende Transparenz von Bankinformationen, g) Beförderung der europäischen Finanzintegration, h) Schaffung eines neuen Rahmens für die Bankenaufsicht.            Die niedrigeren Ölpreise hätten Anpassungsprozesse begünstigt, außer in China. Es wäre allerdings zu fragen, ob sich die Außenposition der USA wirklich neu gestaltet. 2. Marco Annunziata (Chefökonom der UniCredit Group) kritisiert mangelnde Ambitionen des Larosiére Berichts in Sachen internationaler Finanzregulierung. 3. Andres Sutt (stellvertretender Direktor der Bank von Estland) verweist darauf, dass die Finanzmärkte nicht die Rolle effizienter Fondsmittler spielten und dass die riesigen Überschüsse in einigen Regionen mit unbefriedigten Nachfrageüberhängen einhergingen. Die damit verbundene Akkumulation von Reserven und ausländischen Einlagen in einigen Ländern, die nicht in Auslandsinvestitionen umgesetzt wurden, würden ökonomische Schwächen widergespiegeln. Überhöhte Preise für Naturressourcen oder überhöhte Wechselkurse, soziale Grundsicherungssysteme oder ein Mangel an funktionierenden Märkten hätten unausgewogene Wachstumsstrukturen produziert. Innerhalb der EU richte sich der Kapitalexport nach Wachstumspotenzen in konkreten Zielregionen, wofür die Integration zwischen skandinavischen Ländern und baltischen Staaten ein Beispiel sei. Ökonomisch schwächere Länder würden Inlandsnachfrage in ökonomisch stärkeren Staaten befördern. Mittel- und langfristig würden die neuen Mitgliedsländer ihre Wachstumspotenzen erschließen und insgesamt würde bewiesen, dass die europäische Union allen nützt.

In der EU müssten jetzt der Binnenmarkt und folglich die Finanzmärkte vervollkommnet werden. Nach der Krise müsse auf ökonomische Konvergenz in der EU gesetzt werden.

 

Was Linke (erneut) schlussfolgern können bzw. sollten

Wer sich dafür engagiert, dass das enorme Potenzial der Europäischen Union genutzt wird, um dringliche soziale, ökologische und globale Probleme gerecht zu lösen, muss dafür sorgen, dass das möglich bleibt und Wirklichkeit wird – dass Entscheidungen zum Einsatz von Ressourcen demokratisiert werden. Sie und er und ihre Organisationen sind gefordert, darum zu kämpfen, dass andere Interessen als die der Herrschenden die Mobilisierung und den Gebrauch von Ressourcen bestimmen bzw. dominieren und dass der problemmildernde und -lösende Ressourceneinsatz effektiv erfolgt. Daher muss auf die Verwaltenden und insbesondere auf die politisch und ökonomisch Herrschenden eingewirkt werden. Perspektivisch müssen sie verändert bzw. verdrängt werden. Das setzt eine Selbstveränderung und die Mobilisierung jener voraus, die eine Europäische Union wollen, in der jede und jeder selbstbestimmt in Würde, solidarischem Miteinander und intakter Natur leben können, und die dafür wirkt, dass dies weltweit allen Menschen möglich wird. Es geht darum, die Verhältnisse untereinander so zu gestalten, dass zunehmend Solidarität gelebt und erfolgreich Kämpfe um sozial und ökologisch nachhaltige Ressourcennutzung, um andere gesellschaftliche Verhältnisse geführt werden.

 

Zwei komplizierte Aufgaben müssen gleichzeitig gemeistert werden: Zum einen die sozialen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu mildern und gegen ihre Ursachen vorzugehen. Zum anderen die Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise zugleich mit energischem Vorgehen gegen die ökologische Krise, gegen die Ernährungs- und die Energiekrisen zu verbinden – so dass sozial und ökologisch zerstörerische Prozesse strukturell zurückgedrängt und überwunden werden.

 

Es gibt vier Ursachen für die Finanz- und Wirtschaftskrise:

Erstens: Die Deregulierung der Finanzmärkte. In Artikel 56 des Vertrages von Nizza bzw. in Artikel 63 des Lissabonner Vertragstextes ist diese festgeschrieben. Artikel 51 des Vertrages von Nizza bzw. Artikel 58 des Lissabonner Vertrages drängen die Finanzinstitutionen darauf, die freien Kapitalflüsse maximal zu verwerten.

Der Lissabonner Vertragstext muss also auch aus diesem Grunde geändert werden.

 

Die zweite Krisenursache betrifft die enorme Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen und Vermögen in unserer Gesellschaft, die dazu führt, dass sich gewaltige liquide Geldmittel in den Händen einer kleinen gesellschaftlichen Minderheit konzentrieren. Es geht also um die Einführung armutsfester Mindesteinkommen und um eine Begrenzung individuell verfügbarer Geldmittel.

 

Drittens hat die Privatisierung öffentlicher Leistungen, insbesondere der sozialen Sicherungssysteme wie der Altersvorsorge, dazu geführt, dass selbst Menschen mit unteren und mittleren Einkommen in Fonds einzahlten, die mehr oder weniger direkt an Spekulation beteiligt waren.

Das Drängen auf Fortschritte einer Rentenreform mit Privatisierung und Kapitaldeckung muss aufhören. Es geht um armutsfeste soziale Sicherungssysteme und den offensiven Ausbau öffentlichen sozialen Schutzes und öffentlicher Dienstleistungen.

 

Viertens müssen die enormen globalen Ungleichgewichte in den Handels- und Zahlungsbilanzen abgebaut werden. Das spricht gegen Exportfixierung und für die Streichung der Schulden der ärmsten Länder. Die konsequente Kursnahme auf Realisierung der ohnehin viel zu bescheidenen Millennium Development Goals ist das Mindeste, was jetzt geschehen muss.

 

Selbstverständlich gehen die vernünftigen Schlussfolgerungen zusammen mit dem Ausbau des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs auf den Schienen, mit drastischer Einsparung des Energieverbrauchs und Steigerung der Energieeffizienz, mit dem konsequenten Übergang zur vorrangigen Nutzung dezentral erzeugter erneuerbarer Energien, mit der Sicherung des Rechts auf Versorgung mit Energie und Wärme für ein Leben in Würde.

 

Der Kampf gegen Armut innerhalb der Europäischen Unon und gegen die globale Armut ist eine humanitäre Herausforderung und erweist sich als vernünftiger Einstig in die Bekämpfung der Ursachen sowohl der Finanz- und Wirtschaftskrise als auch der anderen Krisen: Er verlangt ein anderes Herangehen an die Organisation des Alltags in der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer. Er ist nicht „nur“ eine Frage der Einkommen, sondern der garantierten Teilhabe an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, der dezentralisierten Wirtschaftsentwicklung, des sozialökologischen Umbaus. Damit wird gesellschaftlich notwendige Arbeit neu organisiert und bewertet, öffentlich finanzierte und öffentlich geförderte Arbeit ausgeweitet.   

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