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Am 16. Dezember 2023 starb in Paris im Alter von 90 Jahren der Philosoph, Theoretiker und Aktivist Antonio Negri. In der schon seit 1977 erscheinenden Reihe «Zur Einführung» hat der in Lüneburg lehrende Philosoph Nigro einen Band zu einem der bedeutendsten Autoren des Operaismus und Postoperaismus vorgelegt. Dieser ist die erweiterte Ausgabe eines ursprünglich auf französisch erschienenen Buches, und die erste deutschsprachige Einführung in Negris Werk in Buchform. Nigro stellt das eigentliche Leben Negris nur kurz und punktuell dar. Er interessiert sich mehr für dessen thematisch-inhaltliche Entwicklung, die einordnende Zeittafel zum Leben Negris am Ende des Bandes hilft da etwas.

Mit «Empire. Die neue Weltordnung» (2000, dt. 2002), das er gemeinsam mit Michael Hardt verfasste, erlangte Antonio Negri internationale Bekanntheit und Anerkennung. Negri, der bereits 1966 eine Professur für Staatstheorie bekommen hatte, publizierte auch vorher regelmäßig, viele seiner Texte und Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt, am Ende des Buches findet sich eine Auswahl seiner Veröffentlichungen. Negri dürfte eine/r der wichtigsten Autor_innen des Operaismus und Postoperaismus gewesen sein. Fokussierte «Empire» damals auf die Entwicklung des globalen Kapitalismus und der internationalen politischen Ökonomie, widmeten sich viele seiner vorherigen Schriften der Situation in den Betrieben, der Bedeutung von «1968» und Ökonomie und Politik in Italien und Europa.

Seine Schriften brechen, wie die aller OperaistInnen, mit der traditionell-linken Tradition, die die Arbeiterklasse als passiv und die Herrschaft der kapitalistischen Logik als total, wenn nicht gar totalitär ansieht. Der Operaismus setzt beim Widerstand und den Kämpfen an, er schreibt dem stetigen Klassenkampf und dem vielzitierten Kampf gegen die Arbeit sogar die Funktion eines Motors der kapitalistischen Entwicklung und Innovation zu. Theoretische Bezüge sind die Frühschriften von Marx.

Nigro rekonstruiert, schließlich ist er von Haus aus Philosoph, die Entwicklungen der Philosophie Negris in dessen letzten Lebensjahrzehnten, Stichworte: General Intellect und Multitude, und die Herausbildung seines Denkens in den 1960er und 1970er Jahren, jenen Jahren in den Negri auch in Organisationen der italienischen anti-institutionellen Linken engagiert war. Dieses Denken (und Handeln!) war geprägt von der Erfahrung des Bruchs von 1968 und der Verarbeitung von dessen Folgen, es entstand auch in den langen Jahren (nach) der Niederlage der Sozialrevolte. In der Transformation des Fordismus hin zum Postfordismus veränderte sich die technische und die politische Zusammensetzung der, wenn sie noch so genannt werden soll: «Arbeiterklasse». Mit im Zentrum von Negris Denken steht die Subjektivität, und der Zusammenhang der Transformationen von dieser und der Produktionsweise.

Negri war immer interessiert an neuen Ideen und Bewegungen, hat sich weiterentwickelt, ohne in Zynismus oder Resignation zu verfallen. Nigros Band schreitet zwar den ganzen Negri ab, legt den Fokus aber auf die Philosophie, was das Buch an einigen Stellen (Spinoza!!) nicht ganz leicht lesbar macht.

Roberto Nigro: Antonio Negri. Zur Einführung; Junius Verlag, Hamburg 2024, 202 Seiten, 15,90 Euro

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