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Stuttgart21

Zur Tagesordnung des  Gesprächskreises “Parteien und soziale Bewegungen” der RLS gehörte am 16.11.  auch eine spannende Debatte zu S21, die mit Analysen und Untersuchungsergebnissen von Jonas Rugenstein, vom Institut für Demokratieforschung in Göttingen, Martin Kaul (taz), und  Alexander Schlager, RLS Regionalbüro Stuttgart fundiert wurde.  Meine Zusammenfassung  sieht so aus:

1

Die städtische Massenbewegung wird – etwas flott formuliert – von einem Teil der oberen Mittelklasse dominiert. Die Partei der Grünen wird von einem Großteil dieser Bewegung (die auch als „Right to the City“ – Bewegung verstanden werden kann) als authentischer politischer Repräsentant angesehen.  Wie sieht das Muster dieser Bewegung aus?

2

Kein bester Grund: Snapshot-Analysen der Bewegung ergeben: Es gibt eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Lage (die Krise ist vorbei), aber hohe Unzufriedenheit mit der allgemeinen politischen, sozialen und umweltpolitischen Situation (Die Krise ist noch da). Die Kritik an S21 bündelt Unzufriedenheit. Es gibt keinen „besten Grund“ – aber viele Gründe (Kosten, Umwelt, Baulärm, Immobilienspekulation usw.) gegen S21 zu sein. Es gibt eine markt-, monopol-, wachstums- und machtkritische, keineswegs aber kapitalismuskritische Grundstimmung – es begegnet uns die Massenkultur des grünen Kapitalismus in Bewegung.

3

Mitte-links, gebildet und kulturkompetent: Die weit überwiegende Mehrheit des Kernbereichs der Bewegung ist protesterfahren aus den 68er und 80er Jahren, knapp die Hälfte ist älter als 45 Jahre. Sie entstammen der „oberen Mittelschicht“, sind gebildet – 80 % haben wenigstens Abitur, über 40 % haben einen akademischen Abschluss, Beamte und Angestellte, die Mehrheit verortet sich auf einer politischen Richtungsskala links ein, die hohen Altersgruppen sind z.T. konservativ (CDU/FDP). Die Veranstaltungen und Demonstrationen mobilisieren stark gebildete, informierte, ja aufgeklärte und mit kulturellem Kapital ausgestattete, hoch kommunikationskompetente und mobilisierungsfähige Gruppen, die Bewegung selbst mobilisiert vorwiegend den grünen und den radikallinken Teil der SPD-Grüne-Linke-Wählerschaft sowie Nichtwähler.

5

Selbstbewußt, teilhabeinteressiert und begrenzt risikofreudig: Die Bewegung ist finanziell abgesichert, sie operiert auf sicherem Hintergrund (der „reichen“ Stadt Stuttgart) und bringt sich nicht in Gefahr. Sie sozial hoch vernetzt, links – aber „staatstragend“, selbstbewußt und gewöhnt, Dinge zu bewegen. Sie ist gewohnt politisch zu agieren, besteht oft auf demokratischen Verfahren und mißtraut massiv dem Trend zur postdemokratischen Kultur. Gewaltsame Polizeieinsätze, Ignoranz von Unterschriftensammlungen und Einseitigkeit in der Lokalpublizistik ließen die Demokratiefrage in den Vordergrund rücken und verknüpften lokale mit allgemein- und metapolitischen Bezügen.

6

Milieurränder lösen sich auf: Sie ist nicht allgemein politikverdrossen und –müde, sie lehnt Parteien nicht generell ab (fordert aber „Authentizität“), sie kritisiert in liberaler Manier den Widerspruch zwischen „Soll und Ist“ und hat erstmals die Grenzen zum konservativ-bürgerlichen Milieu überschritten. Die Vielstimmigkeit ihrer dominanten mittelschichtgebundenen Akteursgruppen hat sich mittlerweile über diese Gruppen weit ausgedehnt.

7

Hohes Maß an Selbstorganisation: ein Organigramm der Infrastruktur der S21-Bewegung zeigt eng und lose gekoppelte Organisierung von Berufsgruppen,  Generationen, Territorien, nach Zwecken der Mediation und Vermittlung nach innen und nach außen, Ereignismanagement (Demonstration), Kulturproduktion, Entscheidungsprozeduren, Themengruppen. Die Organisation von Sozialbewegungen aus der underclass, der Arbeiterbewegung und auch von Prekären aus der unteren Mittelklassen sieht weithin völlig anders aus.

8

Die Grünen als Partei sind irgendwie immer auf beiden Seiten zugleich: eine ungefährliche Wohlfühlpartei, die ein bißchen regiert und ein bißchen blockiert, in progressiver Art den kulturellen Umbau der Bürgerlichkeit betreibt (Seeßlen). Sie sind Hauptprofiteur der neoliberalen Krise und operieren im öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Raum. Sie beginnen, in ihrer Zukunft anzukommen: als Brückenakteur, Avantgarde und politischer Arm – ja: als politisch substantieller Hauptrepräsentant! – des staatsgestützten grünen Kapitalismus zu fungieren. Nach einer solchen Parteifunktion besteht jetzt Nachfrage, wogegen der alt- und kleinwirtschaftliche Bürgerliberalismus einer FDP klassischen Typs deutlich schwächelt.

Doch die soziale Frage geben sie jetzt immer mehr auf, ihre grüne Zukunft ist sozial entkernt.

One Response to “Stuttgart21”

  1. […] vielleicht nicht erklären, aber polemisch illustrieren. Natürlich gibt es noch viel mehr Trennendes, man vertritt verschiedene Kernklientel, beantwortet soziale Fragen ganz anders, geht kulturelle […]

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