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zuerst publiziert von Earthscan in Großbritannien und in den USA, 2008

158 Seiten, englisch, ISBN 978-1-84407-627-7  Gesamtpreis: 20,32 brit. Pfd.

 

Das im Jahr 2000 erschienene Buch “Ecological Economics, A Political Economics Approach to Environment and Development” hat zahlreiche Arbeiten des Autors, der in Schweden den Studiengang „Ökologische Ökonomie“ begründete, verdichtet und weitergeführt. Es hat von prominenten Nachhaltigkeitsforscher/innen große Anerkennung erfahren und Peter Söderbaum eine Vielzahl von Einladungen zu Konferenzen und Projekten beschert. Seit einigen Monaten erfreut sich die Monographie „Understanding Sustainability Economics,Towards Pluralism in Economics“ des seit 2006 emeritierten Professors für Ökologische Ökonomie an der Universität Mälardalen großen Interesses.

Mit der Rezension werden Impulse für die weitere Arbeit am Projekt „sozialökologischer Umbau“ gesucht. Vor dem Hintergrund bisheriger Söderbaum-Beiträge und des Inhaltsverzeichnisses – insbesondere des 6. Kapitels – durften die Erwartungen hoch sein.

 

Das Buch besteht aus acht Kapiteln: 1. Ökonomie für Nachhaltigkeit, 2. Nicht-nachhaltige und nachhaltige Trends, 3. Nachhaltige Politiken: Gibt es geschützte Zonen im Entwicklungs-Dialog?, 4. Vom ökonomischen Mann zur politökonomischen Person, 5. Interpretationen von Nicht-Markt- und Marktbeziehungen im Verhältnis zur Nachhaltigkeit, 6. Akteure, Agenden und Arenen für sozialen und institutionellen Wandel, 7. Herangehensweisen an das Fällen von Entscheidungen und an Nachhaltigkeits-Bewertung, 8. Vorwärts zur Nachhaltigkeitsökonomie.

Es soll „verstehen helfen, dass ‚Nachhaltigkeitsökonomie’ eine bessere Chance als neoklassische Ökonomie hat, uns zu NE (nachhaltiger Entwicklung – J. D.) zu führen“ (S. 80). Insbesondere gelte es, zu verstehen, dass „institutionelle Wandlungsprozesse uns näher hin oder weiter weg von NE bringen“ (S. 80).

Söderbaums Darlegungen sind weitgehend „komparativ“ in dem Sinne, „dass Elemente institutioneller Ökonomie systematisch mit Elementen neoklassischer Wirtschaftswissenschaft verglichen werden“ (S. 9). Das geschieht vielfach tabellarisch, insbesondere um Studierenden der Ökonomie die Theoreme und Grenzen der neoklassischen Ökonomie zu verdeutlichen. So wird Lehrenden wie Studierenden ein gut strukturiertes alternatives Lehrbuch in die Hand gegeben, das nicht zuletzt Zusammenhänge zwischen neoklassischer Ökonomie und dem „Neoliberalismus als Fundamentalismus“ aufzeigt (S. 126). Neoliberalismus könne „genauso gefährlich wie die anderen Formen von Fundamentalismus sein“ (S. 126).

 

Söderbaums „Nachhaltigkeitsökonomie“ setzt bei einer „radikalen Interpretation von nachhaltiger Entwicklung“ (S.14) an. „Nachhaltige Entwicklung“ sei zur „Fangphrase“ (S. 3), zu einem „umkämpften Konzept“ (S. 13) geworden. Dem Autor geht es um die Veränderung von Leitbildern, Ideologien und institutionellen Rahmen, wofür pluralistische Strategien nötig seien. Deshalb greift er das Monopol neoklassischer Ökonomie an – speziell in der Lehre und Forschung an den Hochschulen und Universitäten. Söderbaum will die Akzeptanz einer „multidimensionalen Idee von Fortschritt“ (S. 3) und die Überwindung der Gewohnheit, alle Probleme in monetären Größen auszudrücken. Ökologische Einflüsse und Auswirkungen, soziale und kulturelle Probleme seien ernst zu nehmen und endlich wären die Voraussetzungen für Problemlösungen zu schaffen. Das verlange individuelles und kollektives „Bemühen, die ’Horizonte’ zu erweitern’“, Ethik und Ideologie zu verändern. „Die Idee ist, dass die Individuen ihre Horizonte nicht auf ihr Eigeninteresse … und auf unmittelbare Einflüsse beschränken“ (S. 3). Die „politische Verpflichtung“ sei, das Individuum dazu zu bewegen, „in seinem Denken und seinen Werten …  ‚Andersartigkeit’ im Sinne der Internalisierung der Interessen anderer einzuschließen“ (S. 3). „Andersartigkeit“ beziehe sich auf

– die heutige Generation von Individuen in der Heimatregion

– die heutige Generation von Individuen in anderen Regionen und in der Weltgesellschaft

– die kommende Generation von Individuen in der Heimatregion

– die kommenden Generationen von Individuen in anderen Regionen –  in der Welt-

  gesellschaft

– die heutigen und künftigen Lebewesen außerhalb des Menschen (S. 3).

 

Dieses Herangehen müsse insbesondere die Entwicklungspolitik prägen (S.19, 25) und nachhaltige Entwicklung das Ziel politischer Entwicklungskonzepte werden. Das verlange die Berücksichtigung von

– nicht-monetären Einflüssen, insbesondere von verschiedenen nicht-nachhaltigen Trends

– Sicherheitsfragen (Prävention, Verursacherprinzip usw.)

– ethischen Fragen

–  Demokratie-Problemen, Governance und Kapazitäten-Schaffung – vor allem, um einen  

   politischen Richtungswechsel zu erwirken (S. 19).

Das sei “… auch eine Angelegenheit der Vision …, wobei den Politikern eine spezifische Rolle zukommt“ (S. 66). Das „Setzen auf den politischen Aspekt“ erkläre sich aus dem „Glauben an die Demokratie als System von Governance“. „Die erste Priorität – wie ich sie sehe – besteht darin, die Demokratie zu stärken“ (S. 66). Schließlich setzt Söderbaum auf das Lernen und Handeln von lernfähigen Akteuren. Lernen sei nicht zuletzt „Deliberation über Visionen und Ideologie“, Reflexion von Handeln. Beides bedinge Entwicklung der Demokratie (S. 66).

 

Individuen und Organisationen, die darum ringen, entsprechend ihrer Visionen und Ideologien – insbesondere im gesellschaftlichen Wirtschaftsleben – zu handeln, gelten Söderbaum als politische Akteure (S. 52, 63-64). Er stellt dem neoklassischen homo oeconomicus die „politökonomische Person“ (PÖP) gegenüber, der neoklassischen Profit maximierenden Firma die „politökonomische Organisation“(PÖO) (S. 45, 63). Während das Verständnis und Selbstverständnis der Individuen und Organisationen in der neoklassischen Ökonomie nicht oder nur kaum mit Geschichte zu tun habe, spiele Geschichte in der institutionellen Ökonomie für das Denken politischer Akteure eine wesentliche Rolle (S. 45). Allerdings gibt es in Söderbaums Geschichtsverständnis nur indirekt die Entwicklung von Verhältnissen zwischen den Menschen in Bezug auf das Eigentum und den Gebrauch von Produktionsressourcen.

 

Gehen die neoklassischen wirtschaftlichen Akteure von der Kosten-Nutzen-Analyse aus an ihre Entscheidungen und Nachhaltigkeitsbewertungen heran, sei diese für PÖP und PÖO keineswegs ausreichend bzw. orientierend. Deren Ausgangsprämisse seien soziale und ökologische Dimensionen und ihr Zusammenspiel.

Laut neoklassischer Ökonomie sei „Markt“ das Spiel von Angebot und Nachfrage. Märkte seien der einzige Ausdruck und Vermittler von Verhältnissen zwischen den Akteuren. Die institutionelle Ökonomie sehe hingegen neben den Märkten noch andere Akteurverhältnisse und auf den Märkten auch solche sozialen und politischen Verhältnisse wie die Fairness von Marktteilnehmern und über-Märkte-hinaus-sehen (S. 45). Für neoklassische Ökonomie seien gesellschaftlicher Fortschritt das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes und Umwelt ein Wirtschaftssektor – für die institutionelle Ökonomie die ideologisch offene Interpretation nachhaltiger Entwicklung. Umweltbelange gelten hier als in alle Bereiche integriert und Wirtschaft als „in die Ökosphäre eingebettet“ (S. 45, 52).

Neoklassische Ökonomie könne das Problem der nachhaltigen Entwicklung nicht ernsthaft diskutieren und folglich auch keine theoretische Grundlage für eine auf NE gerichtete Politik bieten (S. 80).

 

Allerdings werden in Söderbaums spezifischer institutioneller Ökonomie PÖP, PÖO, ihre Analysen, Netzwerke und Agenden nicht (konsequent) im System gesellschaftlicher Verhältnisse und gesellschaftlicher Arbeitsteilung gesehen.

Er nutzt den Begriff „Institution“, um die „Phänomene“ zu erklären, dass 1) eine Anzahl unterschiedlich denkender Akteure dennoch miteinander kommunizieren bzw. einander verstehen können; 2) sich die Individuen als Akteure „positiv oder negativ in kognitiven oder emotionalen Begriffen“ aufeinander beziehen, sich entsprechend ihrer ideologischen Orientierung organisieren und sich kollektiv mit anderen Akteuren und Akteurgruppen auseinandersetzen können (S. 92); 3) Akteursnetzwerke bzw. Zusammenschlüsse von Akteuren entsprechend ihrer ideologischen Orientierung eigene Manifeste, politische Programme, Agenden und Forderungen in die politischen Arenen tragen, dort artikulieren und in Konkurrenz mit anderen Akteurnetzwerken das Denken und Handeln anderer Akteure beeinflussen. So könne insbesondere das in der Gesellschaft dominierende Verständnis von nachhaltiger Entwicklung verändert bzw. neu interpretiert werden (S. 92).

 

Im vorliegenden Buch findet sich jedoch keine explizierte Auseinandersetzung zwischen politischen Akteuren als Folge gesellschaftlicher Strukturen, die soziale Ungleichheit – unterschiedliche Positionen von Individuen in der Gesellschaft – setzen und erhalten. So dass die einen auf Kosten anderer leben, nicht (nur) weil die einen mit den anderen solidarisch sind, sondern weil einige viele andere ausbeuten – sich ohne Äquivalent Leistungen, letztendlich Arbeitsleistungen, aneignen. „Aneignen“ nicht (nur) im Sinne einseitiger Nutzung von Solidarsystemen, sondern weil sie private Eigentümer an Bedingungen für die gesellschaftliche Arbeit sind, ohne die die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder nicht gleichberechtigt am wirtschaftlichen Leben partizipieren, geschweige es verändern kann. Die privaten Aneigner und die unbezahlt Arbeitenden haben gemeinsame und sich ausschließende Interessen.

Aber bei Söderbaum konzentriert sich Interessenwiderstreit auf ideologische Auseinandersetzung und primär auf die Interpretation von nachhaltiger Entwicklung. Diesen Interessenstreit und aus ihm hervorgehenden Wandel erklärt der Autor anhand des „AAA-Herangehens“: Akteure, Agenden, Arenen (S. 92). Sein „ …Wert … besteht darin, kritisch die öffentliche Entscheidungstheorie zu untersuchen und ein verbessertes Verständnis beizusteuern“ (S. 93). Die Elemente des AAA-Modells sind: 

– PÖP-Annahmen

– das Vorhandensein von Trägheit und von Pfad-Abhängigkeit, die ebenfalls Wandel eröffnen kann

– die Schwerpunkt-Setzung auf Beziehungen zwischen Akteuren mit ihrer spezifischen ideologischen Orientierungen bzw. ihren Agenden, die sie in den politischen Arenen artikulieren

– die Schwerpunkt-Setzung auf die Interpretation von Begriffen und ihre Verwendung in politischen Konzepten

– Dialog, Suche nach Konsens, Moderation, Konfliktlösung und andere Aspekte interaktiven Lernens

– „Institution“ als Interpretation von Begriffen, als Orientierung, Manifestation, Akzeptanz und Verhaltensmuster gegenüber anderen Akteuren und der Natur

– „sozialer und institutioneller Wandel“ als Veränderung der Institutionen und damit als Selbstveränderung

– die Annahme von Heterogenität in der „ideologischen Orientierung“ jeder konventionell definierten Akteurskategorie (wie Bauer, Unternehmer, in der Verwaltung Angestellte)

– die Annahme, dass Akteure nach Gemeinsamkeit in der ideologischen Interpretation von Begriffen suchen und entsprechend unterschiedliche Netzwerke und Allianzen innerhalb konventionell definierter Akteursgruppen bilden (S. 92-93).

 

Also „sozialer und institutioneller Wandel“ im Sinne von Söderbaum – als anders denken und sich anders verhalten – ist vor allem eine Angelegenheit von Veränderung in den ideologischen Orientierungen und Verhaltensweisen der Akteure. Er ist ein Ergebnis von Lernprozessen und politischer Auseinandersetzung. Aber „sozialer Wandel“ wird nicht in Bezug auf die qualitative Veränderung gesellschaftlicher Strukturen gesehen; nicht in Bezug auf die qualitative Veränderung der gesellschaftlichen Positionen von Individuen bzw. Akteuren; nicht in Bezug auf die Veränderung der Verhältnisse zwischen den Individuen bzw. Akteuren im gesellschaftlichen Leben, darunter im Wirtschaftsleben, im gesellschaftlichen Arbeitsprozess.

Für Söderbaums „Wandel“ ist die Positionsanalyse (PA) der Akteure ein wichtiges Instrument, das aber eben weitgehend von den „Positionen“ der Akteure in der konkreten gesellschaftlichen Struktur und von den Eigentumsverhältnissen abstrahiert. Die PA soll ein Problem so ausleuchten helfen, dass bei Respekt vor der ideologischen Orientierung der verschiedenen Akteure Entscheidungsfindungen unterstützt werden, die die Gesellschaft nachhaltiger Entwicklung näher bringen (S. 113). Danach wäre nachhaltige Entwicklung insbesondere eine Frage guter Analysen, des Umgangs mit ethischen und ideologischen Fragen, verantwortungsbewusster Politiker/innen,  gekonnter Moderation und intelligenter Strategien (S. 102), aber des Kampfes um einen Wandel von Akteuren und der Verhältnisse zwischen ihnen – um einen sozialökologischen Umbau, zu dem das Verdrängen konkreter Akteure z. B. (der Eliten) des militärisch-industriellen Komplexes, die strukturelle Rückdrängung und letztendliche Überwindung sozial und ökologisch zerstörerischer Prozesse gehören. Sozial und ökologisch zerstörerisch sind: eine die Menschen ausgrenzende und deformierende gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen, Armut und soziale Ausgrenzung, Repressionen, Entdemokratisierung, politische Extremismen, Kriege und Militarisierung. 

 

Wesentliche Probleme sind also in Söderbaums lesenswertem Buch weitgehend marginalisiert und sogar ignoriert (siehe z. B. „einige nicht-nachhaltige Tendenzen in der EU“, S. 28). Dennoch sollte es für die weitere Arbeit sehr ernst genommen werden. Die Herausforderung besteht in dreierlei: 1) all jenes bei Söderbaum aufgreifen – und das ist recht Viel – , das in der aktuellen Diskussion und politischen Auseinandersetzug den Einfluss neoklassischer Ökonomie schwächen und Opposition gegen neoliberalen Fundamentalismus bzw. gegen neoliberal geprägte Politik mehren kann; 2) die Grenzen der im Buch dargelegten Einsichten und Feststellungen deutlich aufzeigen; 3) in der eigenen Arbeit an Konzepten für einen sozialökologischen Umbau insbesondere drei Probleme stärker berücksichtigen bzw. bearbeiten: a) Werte – siehe Söderbaums Kampf gegen die vermeintliche Wertneutralität in der neoklassischer Ökonomie, b) Zusammenhänge zwischen ökonomischer Theorie, ideologischer Orientierung und Akteurshandeln, c) die Betrachtung der Individuen als handelnde Akteure (siehe „Epilog“, S. 138).   

Ergo: Es geht in der eigenen wissenschaftlichen und politischen Arbeit um mehr Individuum, mehr Solidarität und Demokratisierung und um mehr politische Ökonomie als Wissenschaft von den Produktionsverhältnissen.

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