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Eine Rezension von Bernd Hüttner

Seit 2016 Rückkehr nach Reims von Didier Eribion auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen ist, das Original war bereits 2009 veröffentlicht worden, spielen Fragen von Herkunft, «Bildungsaufstieg» und Klassenwechsel in literarischen Werken und im Feuilleton eine größere Rolle. Der Suhrkamp-Verlag vermarktete ab 2017 dann auch entsprechend die Werke von Annie Ernaux und Éduard Louis. Ernaux, die als «Ethnologin meiner Selbst» mehrere Bücher publiziert hat, erhielt 2022 den Nobelpreis für Literatur.

In der Bundesrepublik hatten diese Titel, und von der Anlage her ähnliche literarische Werke, etwa von Christian Baron, Deniz Ohde, Daniela Dröscher oder Gabriele Kögl ebenfalls eine große Bedeutung. Die mit dieser Debatte zusammenhängende, aber durch sie nicht ausgelöste Diskussion zu Klassismus, wurde anhand etlichen eher als Sachbuch zu bezeichnenden Publikationen oder wenigen Anthologien auch in der politischen Linken geführt.

All diesen literarischen Titeln und auch einzelnen Beiträgen in den Sammelbänden zu Klassismus ist gemein, dass in ihnen die AutorInnen ihr Herkunftsmilieu bzw. wie sie dieses Verlassen beschreiben und, in wenigen Fällen, auch die zeitweise, freiwillige oder zwangsweise Rückkehr dorthin. Die literarische Bearbeitung dieser Klassenreise unterliegt jedoch einem Paradox, und zwar auf zweierlei Art (S. 33). Erstens gibt einem und einer das Verlassen das Herkunftsmilieus erst die Instrumente in die Hand, ebendieses (und die anschließende Klassenreise) überhaupt und erst recht: kritisch zu beschreiben. Zum anderen vollzieht sich der «Aufstieg» der KlassenwechslerInnen in und durch denjenigen Bildungsinstitutionen, deren diskriminierende Effekte sie selbst auch erlebt haben – und nun beschreiben.

In einer noch bis 15. Februar 2026 geöffneten Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek hat sich nun deren Literaturarchiv des Themas «Herkunft» angenommen und zur Eröffnung bereits die aufwendig und ansprechend gestaltete Publikation vorgelegt. Zu Beginn reflektieren Andrea Roedig, Eva Blome und Enno Stahl in ihren drei Beiträgen zusammenfassend und analytisch über die Literatur, die sich mit sozialer Herkunft, ökonomischer Ungleichheit, Bildung, Gewalt, Klasse und Migration auseinandersetzt. Danach folgen 20 Beispiele bekannter Autoren und AutorInnen, etwa zu Adelheid Popp, Peter Handke oder Franz Innerhofer aber auch zu ausserhalb literaturinteressierter Zirkel vermutlich unbekannter AutorInnen. Am interessantesten an diesen Beiträgen sind noch die Fotografien und andere abgebildete Dokumente, die eher kurzen Texte sind oft fahrig und bleiben blass. Auffällig ist es, dass viele der ProtagonistInnen dieser österreichischen Beispiele dort «am Land» aufgewachsen sind, etwa in Kärnten oder anderen, zumindest in den 1950er bis 1970er Jahren noch sehr «strukturschwachen» und konservativen Regionen.

So bleibt unter anderem etwas unklar, wer nun die Zielgruppe dieser Publikation sein soll oder könnte.

Cornelius Mitterer, Kerstin Putz (Hrsg.): Woher wir kommen. Literatur und Herkunft; Zsolnay Verlag, Wien 2025, 272 Seiten, 29 Euro

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