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Eine Rezension von Bernd Hüttner

Die Linke in der Schweiz hat es schwerer als die vieler anderer Länder in Europa. In einem Land zu leben und politisch zu arbeiten, das strukturell so konservativ und einer der Hotspots des globalen Kapitalismus ist, ist eine Herausforderung. In der Schweiz beträgt das durchschnittliche Vermögen statistisch fast 700.000 Dollar pro EinwohnerIn, die reichsten fünf Prozent besitzen drei Viertel des gesamten Vermögens und das Vermögen des reichsten Prozents der Bevölkerung hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.

Das 2004 gegründete Denknetz ist der linke Think Tank der Schweiz. Als Einrichtung von «unten» lebt er finanziell von seinen 1.500 Mitgliedern und leistet gesellschaftstheoretische und politische Grundlagenarbeit. Neben Fach- und Regionalgruppen leistet das Denknetz eine umfangreiche Textproduktion, die online einsehbar ist. Das aktuelle Jahrbuch des Denknetz fordert im Vorwort Geduld und Nüchternheit ein, ohne die es auch keine Hoffnung geben könne. Falls die progressiven Kräfte keine Zukunftshoffnung aufbauen oder vermitteln könnten, dann würde das «Zukunftsvakuum» durch antidemokratische, wenn nicht faschistische Kräfte gefüllt. Die insgesamt 16 Artikel untersuchen in der ersten Sektion «die Krise» bzw. ihre Beschreibungen. Pascal Zwicky, Sekretär des Denknetz, führt den Begriff der «Polykrise» näher aus, bemängelt aber seine mangelnde herrschaftstheoretische Einbettung. Roland Herzog und Hans Schäppi halten «den Marxismus» als Instrument zur Analyse der gegenwärtigen Situation für geeignet. Geeignet, wenn er sich durch die feministische Kritik und eine Aneignung des Gedankenguts der politischen Ökologie zu einer «ökologischen, und care-orientierten, undogmatischen, feministischen und libertären» (S. 10) Lesart modernisiert habe.

Die Artikel der zwei anderen Sektionen thematisieren auf verschiedene Art und Weise Hoffnung und auch die Möglichkeiten und Bedingungen von Solidarität. Sie fragen, was «Hoffnung» heute in persönlicher, politischer und philosophischer Hinsicht überhaupt sei oder sein könne. Und sie plädieren vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Klimabewegung dafür, dass Organisierung ebenso wichtig sei wie Selfcare als Schutz vor Überforderung und Burnout.

Auch wenn einige Texte für Nichtschweizer LeserInnen etwas unzugänglich bleiben, bietet das Jahrbuch eine gute Mischung aus programmatischen, teilweise mit Statistiken unterfütterten Texten und Beiträge, die auch «persönliche» Themen ansprechen. Alle Ausgaben des seit 2005 jeweils mit einem thematischen Schwerpunkt erscheinenden Jahrbuches sind frei zugänglich.

Luzian Franzini, Nadja Mosimann, Beat Ringger, Pascal Zwicky (Hrsg.): Noch Hoffnung? Von den Möglichkeiten der Solidarität im Wirbel von Krisen, Denknetz Jahrbuch 2024, Verlag Edition 8, Zürich 2024, 192 Seiten, 18 Euro (kostenloser Download)

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