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Eine Rezension von Gisela Notz

Am 26. September 2021 stimmte eine Mehrheit der Berliner*innen in einem Volksentscheid für die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne. Das ist ein klares Votum, das nun der Berliner Senat umzusetzen hat. Das Ergebnis von 59,1 Prozent Ja-Stimmen für den Vorschlag der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen war das Ergebnis von Wohnungsnot und Immobilienspekulation. Das unlängst erschienene Buch «Wie Vergesellschaftung gelingt – Zum Stand der Debatte» fragt: Ist Vergesellschaftung eine Alternative zum Marktradikalismus? Und wie kann sie gelingen? Darüber, dass die Vergesellschaftung verfassungskonform, machbar und legal ist, besteht kein Zweifel mehr. Sie ist auch eine Antwort auf die gegenwärtigen Versorgungskrisen.

Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte: Warum vergesellschaften?, rechtlicher Rahmen und drittens Finanzierung von Vergesellschaftung. Es versammelt alle relevanten Beiträge der jüngeren Vergesellschaftungsdebatte. Die Initiative hat seit 2018 eigene Modelle zur Sozialisierung von Wohnraum entwickelt. Jurist*innen und andere Expert*innen haben diese Vorschläge kommentiert, amtliche Gutachten und Stellungnahmen kamen als Ergänzung hinzu. So auch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Darin wird darauf verwiesen, dass Vergesellschaftung durch ein Bundesgesetz erfolgen muss, solange dies nicht existiert, können allerdings die Länder Vergesellschaftungsgesetze erlassen (S. 129). Im Buch befindet sich auch der Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz, das die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen im Mai 2021 veröffentlicht hat. Sie wollte damit den im politischen Raum vielfach geäußerten Scheinbedenken, die Vergesellschaftung sei wegen der Vielzahl ungeklärter Rechtsfragen nicht umsetzbar, durch eine konkrete Vorlage entgegentreten (S. 199). Im Artikel «Vergesellschaftung von Wohnraum – Vom Schlagwort zur Umsetzung» wird die geplante Rechtsform «Anstalt öffentlichen Rechts» (AöR) erklärt. Die Initiative setzt sich damit von der bisher demokratischsten Rechtsform und sichersten Wohnform mit niedrigen Mieten – der Genossenschaft ab, weil diese gemeinschaftlicher Besitz ihrer Mitglieder ist, während die AöR Gemeineigentum der Stadtgesellschaft sein soll. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass eingetragene Wohnungsgenossenschaften (eG) bereits gemeinwirtschaftlich arbeiten und von der Vergesellschaftung ausgenommen sind (S. 77). Beide Rechtsformen entziehen Grund und Boden dem privatwirtschaftlichen Profitstreben.
Abgeschafft ist der Kapitalismus weder mit der AöR noch mit der eG. Kooperation zwischen beiden Formen, wenn die AöR gegründet werden sollte, ist besser als Konkurrenz. Dazu kann das Buch einen Beitrag leisten. Während der Senat die schnelle Umsetzung des Volksentscheids blockiert, spitzt sich die Mietenkrise zu, weil die Mieter*innen zusätzlich durch die Energiekrise belastet werden. Die Initiative fordert nun auch die Vergesellschaftung von Energiekonzernen. Energiegenossenschaften gibt es schon.

Deutsche Wohnen & Co enteignen (Hg): Wie Vergesellschaftung gelingt. Zum Stand der Debatte. Parthasverlag, Berlin 2022, 295 Seiten, 20 Euro

Bonus: «Wir schreiben gegen die Taktik des Verdrängens und Vergessens an». Interview zum Buch (mehr) auf dem Blog der stadtpolitischen Zeitschrift Común.

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