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In den Ruinen des „Gemeinsamen Hauses Europa“

Am 21. Juni 2021 ist im Haus der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Ausstellung unter dem Titel „Krieg und Frieden“ [1] eröffnet worden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den „neuen Kriegen“ der 2000er Jahre, und dazu habe ich einen Beitrag geschrieben. Natürlich musste der gekürzt werden, so hier die etwas bearbeitete Urfassung.

Eine der trügerischen Hoffnungen der Jahre 1989/1990 war, dass das Ende der Systemkonfrontation befriedend auf die Situation in Europa wirken würde. Der damalige sowjetische Partei- und Staatschef Michael Gorbatschow hatte bereits einige Jahre zuvor mit seiner Konzeption eines „Gemeinsamen Hauses Europa“ versucht, die Systemauseinandersetzung aus dem Feld des Militärischen vorrangig in das von Ökonomie und Ideologie zu verschieben. Die sowjetische Seite betonte ganz in diesem Sinne, dass es mit der deutschen Einheit keine Ostausdehnung der NATO geben dürfe, was übrigens 1990 auch Meinung der Mehrheit der Menschen in der noch-DDR und in der BRD war. Aber schon schnell wurde klar, dass das eine Illusion bleiben würde.

Mit dem Zerfall der kollektiven Sicherheitssysteme wurden Unsicherheit und Willkür in den europäischen Beziehungen zur Normalität. Hier liegt die Wurzel der Konflikte und Kriege der letzten dreißig Jahre. Die Ausweitung von NATO und der sich zunehmend militarisierenden EU wurde von den meisten der neuen HerrscherInnen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nicht zuletzt als Chance verstanden, die eigene Position der angesichts neoliberaler Reformen möglichen sozialen Unruhen mit Hilfe von EU und NATO zu sichern. Die Konflikte im postsowjetischen Raum oder auch in Syrien sind simple imperiale, die nichts mit Demokratie und Menschenrechten zu tun haben, wie so oft behauptet wird.

Natürlich verfolgt die russländische Oligarchie ihre eigenen Interessen, die keine linken und auch keine nationalen Interessen der RussländerInnen sind. Trotzdem und darum muss man das Agieren Russlands im ukrainischen Bürgerkrieg und auf der Krim genauso betrachten, wie das Handeln der ukrainischen Oligarchie, der USA, der NATO und der EU. Der Konflikt begann als Echo der Maidan-Ereignisse und der damit verbundenen, bis heute so undurchsichtigen wie anhaltenden Machtkämpfe in der ukrainischen Oligarchie. Die EU forderte dem Wesen der Sache nach im Zusammenhang mit den Verhandlungen zu einer vertieften Zusammenarbeit den Abbruch der Kooperation der Ukraine mit Russland als Preis. Dabei setzten EU und andere interessierte Kreise auch auf die nationalistische Karte. Die sozialen und Arbeitskämpfe im Donbass und anderen Gebieten mit einem hohen Anteil an russischsprechender Bevölkerung im Umfeld des Maidan erhielten somit von vornherein eine ethnische Note. Diese verdeckt bis heute die dahinter liegenden sozialen Konflikte um Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Verhältnisse. Das gab den NationalistInnen beider Seiten einen willkommenen Anlass, die Konflikte für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Damit wurde die Ostukraine auch ein Magnet für alle Arten von politischen Abenteurern. Wie die USA und die EU verhielt Russland sich imperial, in klarem Bewusstsein, dass ein einseitiges Nachgeben als Einladung zu weitergehenden Interventionen, seien sie militärisch oder politisch, betrachtet werden würde. Die von einer breiten Koalition in der deutschen Politik getragenen Versuche, mit Druck von außen innenpolitische Veränderungen in Russland zu erzwingen, bestätigt diese Befürchtung. In den Ruinen des „Gemeinsamen Hauses Europa“ wird so ein Konflikt auf „kleiner Flamme“ gehalten, der, befeuert von neuen Nationalismen, Sanktionspolitik und interventionistischen Träumen, durch an sich unbedeutende Zufälle zu einem neuen Krieg eskalieren kann.

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