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Nach dem 4.7. und vor dem 15./16.9.

Hinter dieser mystisch anmutenden Überschrift verbergen sich zwei Strategie-Diskussionen im IfG. Einige wenige Bemerkungen sollen Streitfragen unseres Austausches vom 4.7. reflektieren und die allgemein große Lust auf die bevorstehende Fortsetzung noch steigern. Anfang Juli ging es zunächst um den Begriff „Strategie“ und die Notwendigkeit, ihn zu definieren. Diese Notwendigkeit wurde infrage gestellt, aber ich meine jede Diskussion beginnt mit der Klärung ihres Gegenstandes. M.E. gingen in unserem Austausch „linke Gesellschaftsstrategie“ und „Strategie der LINKEn“ bzw. anderer linker Akteure etwas durcheinander. Ich meine, dass die „linke Gesellschaftsstrategie“ das Ensemble linker Akteure adressiert und die Debatte dazu zur Arbeit an der Strategie für die eigene Organisation gehört. Schließlich geht es um neue politische Bündnisse.

M.E. sollte die Strategie linker kollektiver Akteure bzw. die linke Gesellschaftsstrategie auf die Veränderung gesellschaftspolitischer Kräfteverhältnisse zielen, so dass sozial und ökologisch zerstörerische Prozesse zunächst verlangsamt und gestoppt, dann strukturell zurückgedrängt und letztendlich überwunden werden; dass sozial und ökologisch nachhaltige Prozesse, die insgesamt eine sozialökologische Transformation in Gang bringen, eingeleitet werden und zunehmend zur Wirkung kommen.

Eine solche Strategie geht

a) von einen Zeitrahmen von mindestens 5 Jahren aus und blickt auf die nächsten 15 Jahre.

Und sie geht

b) von kritischen Szenarien gesellschaftlicher Entwicklung aus, die wiederum auf der Analyse und Reflektion von Entwicklungen der letzten 15 und insbesondere der letzten 5 Jahre basieren. Dabei interessieren insbesondere etwaige kritische Zäsuren und Szenarien, welch den Realitätstest der Zeit bestanden haben. Mit dem Blick voraus, auf die nächsten 5 Jahre und weitergehend auf 15 Jahre, sind dann wiederum insbesondere zu erwartende, mögliche oder auch als solche erst herbeizuführende kritische Zäsuren auszumachen.

„Kritische Zäsur“ meint hier die Markierung von Zeitabschnitten, um die Entwicklung von gesellschaftlichen Problemen und Machtverhältnissen zu erklären.

„Kritische Szenarien“ meint mögliche bzw. möglich gewesene gesellschaftliche Prozesse im Kontext einer Veränderung gesellschaftspolitischer Kräfteverhältnisse.

Die linke Gesellschaftsstrategie basiert weiter

c) auf der Analyse der Ressourcen des Ensembles der linken Kräfte sowie auf der Einschätzung, wie die Linken ihre aktuell verfügbaren Ressourcen (und damit auch sich selbst) in den nächsten zunächst 5 Jahren verändern können.

Eine solche Strategie besagt dann schließlich,

d) was die Linken mit welchen Auswirkungen für kritische Szenarien gesellschaftlicher Entwicklung in den nächsten fünf und dann bis zu 15 Jahren anstreben sollten und erreichen könnten.

Und

e) orientiert sie auf das, was JETZT zu tun ist sowohl um die Ressourcen der Linken zu mehren, als auch um in Richtung auf das angestrebte kritische Szenario weiter voranzukommen.

Die Herausforderung für DIE LINKE. und die linken kollektiven Akteure in der Europäischen Union besteht m. E. gegenwärtig erst einmal darin, strategiefähig zu werden. Das bedeutet insbesondere, eben an einer linken Gesellschaftsstrategie zu arbeiten und zugleich an der Strategie der eigenen Organisation, um derart, sich selbst verändernd, das gesamte Ensemble der linken Akteure zu stärken.

Ausgehend von dieser Überlegung und in direkter Anlehnung an eine These von Dieter Klein möchte ich formulieren: Auf die Agenda rückt zunehmend die Aufgabe, die anhaltende Schwäche der Linken zu überwinden, die Verteidigung gegen neue neoliberale Zumutungen und fortschreitende Entdemokratisierung mit offensiven Positionen zu verbinden, sowie die Kämpfe gegen die Hauptakteure neoliberaler Globalisierung einerseits wie der religiösen und politischen Fundamentalismen wie Rassismen andererseits zu organisieren, zu intensivieren und zu vernetzen. Diese Kämpfe sollten mit Globalisierungskritik, radikaler Kapitalismuskritik lebendiger Solidarität mit Schwächeren verbunden und mit der Stärkung postkapitalistischer Elemente verknüpft sein. Es geht also um den Erhalt und die Mehrung bzw. Nutzung der Möglichkeiten für eine postneoliberale, eine sozialökologische Transformation, für Schritte einer systemüberwindenden sozialistischen Transformation.

Wenn die Frage steht: wie und mit welchen Inhalten DIE LINKE. auf lange Sicht im Rahmen der bundesdeutschen Gesellschaft mit EU- und europaweitem Blick klarer profiliert werden könne, wäre zu sagen: globalisierungskritisch, radikal kapitalismuskritisch, für eine Gesellschaft der selbstbestimmt, solidarisch und ökologisch gemeinsam Handelnden eintreten. In diesem Sinne wäre dann die seit 2001 mehrfach thematisierte „Mitten-Unten-Option“ weiter zu konzipieren – als eine auf die gesamte Gesellschaft – nicht nur auf das offizielle politische System bezogene – Kräftekonstellation zur Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens im umfassenden Sinne, also für alle gesellschaftliche Bereiche und Politiken. Die Grundprinzipien wären dabei, wiederholend gesagt, solidarisch – daher auch ökologisch – und demokratisch zu sein.

Diese Mitte-Unten-Option wäre kulturelles Projekt und Leitbild, breites Aktionsbündnis verschiedener emanzipativ-solidarischer und ökologischer Akteure und mögliches Bündnis von offiziellen politischen Akteuren. Sie kann alle Formen politischer Inititiative und Auseinandersetzung miteinander verbinden, von der Straßenblockade über die parlamentarische Vertretung, von der BürgermeisterIn- bis zur MinisterpräsidentIn-Sein.

Dazu wäre es allerdings notwendig, Konzepte emanzipativ-solidarischer und ökologischer Lebensweisen qualifiziert zusammenzubringen und in einem breiten Prozess aufzuheben.

Das A+O ist also immer wieder Gesellschaftsanalyse als sozialer Prozess. Also Gesellschaftsanalyse, die wissenschaftliche Arbeit und praktisches Tun verbindet und zugleich die Anzahl der reflektierenden, analysierenden, kooperierenden, an der linken Gesellschaftsstrategie und der eigenen Strategie selbstkritisch Arbeitenden mehrt. In diesem Sinne ist es völlig richtig zu sagen: Wir haben genügend Analysen, um zu handeln, und dennoch fehlen uns immer die notwendigen konkreteren Analysen!

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